Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 04/2013

von Jochen Gester

Rund um das heißeste Thema der Stadt konnte sich in den letzten Jahren in Berlin eine starke Bewegung aktiver Mieter entwickeln, die ihre Basis in vielen Initiativen in den Stadtteilen hat. Die Protestdemonstrationen ebben nicht ab. Die Organisatoren der Bewegung sind nicht nur sehr reserviert gegenüber den parlamentarischen Parteien. Sie sind auch gegen Vereinnahmungen durch organisierte Linke. Der Bewegung gelingt es, unterschiedliche soziale Milieus zusammenzuführen und dauerhaft Menschen zu mobilisieren.

Zuletzt gab es am 14.Februar eine große Protestaktion gegen eine Zwangsräumung im Kiez. Betroffen war eine fünfköpfige Migrantenfamilie, die seit 16 Jahren in der Lausitzer Str.8 wohnte. Der Mieter, Ali Gülbol, ist Malermeister und hatte mit dem Vorvermieter eine Vereinbarung getroffen, durch die Übernahme von Wohnungssanierungen von Mieterhöhungen ausgenommen zu werden. Der Handwerker hatte dafür über Jahre 20.000 Euro investiert. Der neue Hausbesitzer, die Immobiliengesellschaft Francell Consulting GmbH, hatte jedoch das Haus Lausitzer 8 erworben, um die Immobilie besser zu verwerten. Die Gesellschaft sah sich nicht an die Vereinbarung des Vorbesitzers gebunden und erhöhte der Familie kräftig die Miete. Diese klagte erst, zahlte aber dann doch den erhöhten Mietzins. Doch weil diese Zahlung um wenige Tage nicht fristgerecht erfolgte, gab das Gericht grünes Licht zur Zwangsräumung.

Damit war jedoch kein Endpunkt gesetzt. Denn anders als bei normalen Zwangsräumungen, die lautlos und anonym ablaufen, war die von der Räumung bedrohte Familie nicht nur damit einverstanden, sie öffentlich zu machen. Sie setzte sich nach Kräften auch dafür ein, ihren Fall zu einem Symbol des Protests gegen die Verdrängung nicht betuchter Mieter aus ihren angestammten Kiezen zu machen. Mit Erfolg. Der erste Räumungstermin wurde verhindert, weil die nichtsahnend anrückende Gerichtsvollzieherin durch Unterstützer daran gehindert wurde, das Haus zu betreten. Beim dritten Räumungsversuch gab es eine öffentliche Gegenmobilisierung. Über 800 Kreuzberger kamen, um die für um 7 Uhr angesetzte Räumung zu verhindern. Doch die Polizei hatte die Straße schon morgens um 6 Uhr an beiden Seiten gesperrt und später sogar den U-Bahn-Verkehr unterbrochen. Über den Fronten ratterte die ganze Zeit ein Polizeihubschrauber. Schließlich gelang den Ordnungskräften der Zugang durch einen Nebeneingang des Hauses. Die Justizbeamtin hatte man sicherheitshalber als Polizistin eingekleidet.

Die Wohnung ist nun geräumt. Doch der Ärger bleibt. Denn in diesem neuen «Häuserkampf» können die Aktivisten der Protestaktionen im Gegensatz zu anderen Themen auf die ungeteilte Sympathie der Anwohner bauen. Das sieht auch der Geräumte so: «Es geht uns sehr schlecht, weil die Räumung vollzogen wurde, aber es geht uns auch sehr gut, weil wir so viel Solidarität erfahren haben.»

Mehr Infos zum Thema unter: http://gentrificationblog.wordpress.com/2012/11/22/berlin-nichts-lauft-hier-richtig-konferenzdokumentation

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