Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 09/2015

Alfred Kosing, Berlin: Verlag am Park, 2015. 865 S., 39,99 Euro
von Jürgen Meier

Alfred Kosing lebt heute in der Türkei und war seinerzeit Professor für Philosophie in der DDR. Sein Marxistisches Wörterbuch der Philosophie erschien erstmals 1985. Die jetzige Neuauflage begründet der Autor mit der «Krise des Marxismus», deren Beginn er bereits mit der Machtübernahme der kommunistischen Bewegung durch Stalin datiert und die mit dem Zerfall der Sowjetunion und der DDR auf die Spitze getrieben wurde. Aber auch damit, dass er heute «ohne Rücksicht auf irgendwelche Vorgaben und Grenzen» schreiben könne.
Für die «Krise des Marxismus» sieht Kosing in erster Linie «innere Gründe». Da sich die Führungen der osteuropäischen Länder in ihren Entscheidungen und Handlungen stets auf den «Marxismus-Leninismus» berufen hätten, sei im Denken vieler Menschen der Marxismus zum Schreckgespenst geworden. Die Staatsführungen hätten die Theorie des Marxismus stets als «Magd der Politik» benutzt, dadurch habe sie keinerlei Entwicklungsmöglichkeiten mehr gehabt. Interessant ist, dass Kosing, ganz im Gegensatz zu seinem Rezensenten Robert Steigerwald (Marxistische Blätter, Nr.2/2015), Stalins Einführung des Begriffs «Leninismus» als «theoretische Grundlage und Instrument zur Rechtfertigung der von ihm betriebenen Politik» wertet. Kosing, dessen Buch 1985 mit dem Adjektiv «marxistisch-leninistisch» in der DDR erschien, sieht hierin eine der Ursachen, die zur Krise des Marxismus geführt haben. Er habe dem Adjektiv damals zustimmen müssen, weil der Dietz-Verlag als «offizieller Parteiverlag der SED» sonst sein Werk nicht veröffentlicht hätte. Warum verschweigt Steigerwald dies?
An anderer Stelle heißt es, «wenn alle Prinzipien des Marxismus erhalten blieben und keinerlei neue Prinzipien durch die weitere Entwicklung hinzukommen, entfällt offenbar auch die Berechtigung, dem Marxismus einen anderen Ismus gleichberechtigt zur Seite zu stellen». Stalin habe den «Leninismus» als Ismus aber gebraucht, um ihm einen «konstruierten Trotzkismus» als Todfeind des Leninismus gegenüberstellen zu können, und hielt deshalb 1924 Vorträge vor Studenten unter dem Titel «Fragen des Leninismus». Er kürte sich damit selbst zum Nachfolger Lenins.
Lukacs, ein großer Verehrer Lenins, sprach stets von dem «Marxisten Lenin». Ganz in diesem Sinne wird Lenin bei Kosing als «konsequenter und zugleich schöpferischer Marxist» bezeichnet. An vielen Stellen des Wörterbuchs, ob unter den Begriffen «Philosophie», «Leninismus», «Stalinismus» oder «Sozialismus» setzt sich der Autor explizit mit den Theorien Stalins auseinander, die er stets als Ursache für die «Krise des Marxismus» verantwortlich macht. Natürlich werden auch Begriffe wie Agnostizismus oder Positivismus so erklärt, dass die Leser aktuelle Bezüge zur heute herrschenden Ideologie der Bourgeoisie herstellen können, um die «Krise des Marxismus» durch konkret historische Blicke auf die Wirklichkeit besser überwinden zu können.

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