Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

Bert Brecht hielt nicht viel vom Recht auf geistiges Eigentum. Wir auch nicht. Wir stellen die SoZ kostenlos ins Netz, damit möglichst viele Menschen das darin enthaltene Wissen nutzen und weiterverbreiten. Das heißt jedoch nicht, dass dies nicht Arbeit sei, die honoriert werden muss, weil Menschen davon leben.

Hier können Sie jetzt Spenden
PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 11/2016

«¡No pasarán!» – Der Kampf um Madrid
von Paul Michel

Der Massenaufstand im Spanien der 30er Jahre – erst gegen die alten gesellschaftlichen Verhältnisse, dann gegen den Putsch General Francos – war in Europa die letzte Chance, den Faschisten noch einmal in die Arme zu fallen, bevor sie den Zweiten Weltkrieg entfesseln konnten. Diese Chance wurde gründlich vertan, die Folgen davon spüren wir noch heute. In einer mehrteiligen Serie beleuchtet die SoZ diese Tragödie, die sich über fast vier Jahre hinzog, von verschiedenen Seiten.

Dank der Luftbrücke der Deutschen konnten die Franquisten bis etwa zum 10.August 1936 in Andalusien eine Truppe zusammenstellen, die in der Lage war, einen massiven Vorstoß in Richtung Norden durchzuführen, die Republikaner von der portugiesischen Grenze abzuschneiden und sich schließlich mit der Nordarmee zu vereinigen. Anfang September war für die Republik ein großer Teil Andalusiens und fast komplett die Extremadura verloren.

 

Francos blutiger Marsch nach Norden
Die Putschisten konnten ihren großen Vorteil als kampferfahrenes und diszipliniertes Heer nutzen. Erfolgreich wendeten sie eine im Kolonialkrieg in Marokko oft genutzte Strategie an: Mobile Kolonnen auf Lastwagen führten in geschlossener Formation schnelle Vorstöße durch. Stießen sie auf Widerstand, wurden Artillerie und Flugzeuge eingesetzt. Dem hatten die meist schlecht bewaffneten Milizionäre nichts entgegenzusetzen. Sie, die im Straßenkampf große Tapferkeit gezeigt hatten, bekamen angesichts der Schrecken des ihnen unbekannten Artilleriebeschusses und Luftbombardements Angst und ergriffen oft die Flucht. Am 10.August waren die Truppen von General Franco um 300 Kilometer vorgerückt und standen vor Merida. Weniger als eine Woche später wurde Badajoz erobert.

Wann immer Francos Legionäre einen Ort eroberten, folgten Massenhinrichtungen von vermeintlichen Anhängern der Republik. Es traf nicht nur Milizionäre, alle Anhänger der Republik waren potenzielle Opfer. Trauriger Höhepunkt war das Wüten von Francos Truppen in Badajoz, wo mindestens 4000 Menschen ermordet wurden. Von hier ging der Vormarsch im gleichen Stil weiter Richtung Norden. Am 3.September wurde Talavera von den Nationalisten gestürmt, die letzte große Stadt vor Madrid.

In dieser für die Verteidiger Madrids sehr prekären Situation verschaffte ihnen eine folgenschwere Entscheidung Francos etwas Luft. Während Francos General Yague rasch in Richtung Madrid vorstoßen wollte, bestand Franco darauf, dass man zuerst den in Toledo eingeschlossenen, nationalistischen Soldaten zu Hilfe kommen solle. Er versprach sich von der «Befreiung» des Alcázar von Toledo einen wichtigen psychologischen Effekt: Das war ihm wichtig, weil er als «Befreier des Alcázar» seine Vormachtstellung als «Generalissimus» im nationalen Lager festigen konnte. Für den Vormarsch auf Madrid verlor er dadurch aber kostbare Zeit.

Ohne diesen «Umweg» über Toledo wäre Franco vermutlich die Eroberung Madrids gelungen. Denn zu diesem Zeitpunkt war die Verteidigung Madrids noch völlig desorganisiert, die Unterstützung von außen, die sowjetischen Waffen und die Internationalen Brigaden standen noch nicht zur Verfügung. Franco rechnete aber nicht damit, dass sich durch eine zeitliche Verzögerung das militärische Kräfteverhältnis verändern würde.

Am 4.November stand die Vorhut der Truppen Francos nur vier Kilometer vor Madrid. Die aufständischen Generale strotzten vor Siegesgewissheit. Sie rechneten mit einem alsbaldigen Fall Madrids. Am 7.November gab Franco bekannt, er werde am nächsten Tag in Madrid einer Messe beiwohnen. Im republikanischen Lager herrschte Mutlosigkeit und Pessimismus. Das Kabinett Largo Caballero beschloss am 6.November, den Regierungssitz nach Valencia zu verlegen.

 

Einheitsfront und ­kollektiver Heldenmut
Für die Verteidigung Madrids wurde eine Verteidigungsjunta mit General Miaja als Oberkommandierendem eingerichtet. Miajas Stabschef, Oberstleutnant Rojo, machte sich mit großem Eifer daran, die zur Verfügung stehenden Kräfte zu reorganisieren.

Die Flucht der Regierung aus Madrid hatte eine bemerkenswerte Wirkung. Die gerade in die Regierung aufgenommenen Anarchisten gaben die Losung aus: «Lang lebe Madrid ohne Regierung!» Eine neue Stimmung machte sich in der Hauptstadt breit. Jetzt waren plötzlich aus den Reihen der PCE (Kommunistische Partei Spaniens) revolutionäre Parolen zu vernehmen. Die PCE forderte die Bildung lokaler Komitees, also ausgerechnet jener Gremien, gegen die sie sich vorher so vehement gewehrt hatten. Im November galt unter den Arbeiterorganisationen eine Art Waffenstillstand. Ohne große Umstände zu machen, arbeiteten die Vertreter der verschiedenen Strömungen in Nachbarschaftskomitees zusammen. Anarchisten bejubelten die Ankunft der Internationalen Brigaden mit der gleichen Begeisterung wie PCE-Anhänger die Ankunft von Durrutis Brigade feierten. Die Einheiten der POUM bekamen plötzlich, wie alle anderen, Waffen.

Wie in Barcelona im Juli löste die Entscheidung der Massen, Madrid zu verteidigen, einen kollektiven Heldenmut aus. Innerhalb weniger Tage trat an die Stelle von Kleinmut und Niedergeschlagenheit eine nicht für möglich gehaltene Begeisterung und Siegeszuversicht der Bevölkerung, die sich in Parolen wie «¡No pasarán!» (Sie werden nicht durchkommen) und «Madrid wird das Grab des Faschismus» Ausdruck fand. Ketten aus Frauen und Kindern beteiligten sich am Bau von Barrikaden. An der bedrohten Westseite der Stadt wurden Schützengräben ausgehoben, die Häuser der Vorstadt Carabanchel im Südwesten wurden für den Straßenkampf vorbereitet. Es wurden  Komitees für die einzelnen Wohnhäuser, Siedlungen und Stadtviertel zusammengestellt.

 

Endlich Hilfe von außen
Entscheidend war, dass just in diesen Tagen Hilfe von außen eintraf. Die So­wjetunion war von ihrer ursprünglichen Politik der «Nichteinmischung» abgerückt und hatte mit der Lieferung vor allem von dringend benötigten Panzern und Flugzeugen begonnen. Die erste Lieferung sowjetischen Kriegsgeräts umfasste 42 Doppeldecker vom Typ Iljuschin 15 («Chato») und 31 Jagdflugzeuge Iljuschin 16 («Mosca»). Einen Tag später schlugen die sowjetischen Flugzeuge über Madrid italienische FIATs und deutsche Heinkel 51 in die Flucht. Hinzu kamen die russischen T-26-Panzer, deren Angriffe die nationalistischen Truppen überraschten.

Parallel dazu trafen die ersten Einheiten der Internationalen Brigaden in Madrid ein. Auf dem Weg zu ihren Kampfstellungen marschierten sie durch das Zentrum Madrids und hinterließen einen überwältigenden Eindruck. An den Kämpfen im November und Dezember sollen insgesamt 8500 Soldaten der 11. und 12.Internationalen Brigade teilgenommen haben. Zudem erhielt die Hauptstadt Unterstützung aus den anderen Gebieten der Republik. Aus Katalonien trafen anarchistische Milizkolonnen unter Führung von Buenaventura Durruti ein.

 

Francos Angriff scheitert
Als die Truppen Francos am 8.November ihren Frontalangriff auf Madrid starteten, waren die Verteidiger Madrids durch einen glücklichen Zufall über deren Angriffsplan genau informiert. Bei einem in den Kämpfen am Vortag gefallenen, nationalistischen Offizier hatten sie ein Exemplar des Angriffsplans gefunden und waren damit über die Vorhaben informiert. General Mola griff am 8.November mit 20000 Mann und mit Unterstützung von italienischen gepanzerten Fahrzeugen und deutschen Panzerkampfwagen an. Die Republikaner waren zwar zahlenmäßig überlegen, aber schlechter ausgerüstet, hatten wenig Munition zur Verfügung und kaum  Kampferfahrung.

Trotzdem gelang es ihnen, am 8.November den Angriff auf das Casa de Campo abzuwehren. Am 9.November lenkten die Nationalisten ihren Angriff vermehrt auf die Vorstadt Carabanchel. Doch die Bauweise des Quartiers machte es zu einem schwer zu überwindenden Hindernis. Die Kolonialtruppen aus Marokko wurden in einen harten Häuserkampf verwickelt, dabei erlitten sie erhebliche Verluste, da sie keine Erfahrung in dieser Art Kriegführung hatten und die Milizen auch über bessere Geländekenntnisse verfügten.

Am 19.November starteten die Nationalisten ihren letzten Frontalangriff auf die Stadt. Unterstützt durch starkes Artilleriefeuer, drangen marokkanische Kolonialsoldaten und Fremdenlegionäre in das Universitätsquartier von Madrid vor. Sie begannen einen Brückenkopf über den Fluss Manzanares zu bauen und es folgten schwere Straßenkämpfe. Der anarchistische Anführer Durruti wurde bei diesen Kämpfen unter nicht ganz geklärten Umständen getötet. Es gelang den Nationalisten zwar, den Universitätskomplex zu zwei Dritteln zu halten. Trotz dieses Erfolgs sah Franco ein, dass der Angriff auf Madrid an der unerwartet starken Gegenwehr gescheitert war. Er verbot weitere Infanterieangriffe, da er es sich nicht erlauben konnte, noch mehr seiner besten regulären und Legionärstruppen zu verlieren. Aber auch die republikanische Seite hatte schwere Verluste zu beklagen.

Anfang Dezember flauten die Kämpfe ab, da beide Seiten erschöpft waren. Francos Angriff auf Madrid endete faktisch mit einer Niederlage. Gegenüber dem Kampfgeist, der Initiative und Beweglichkeit der bewaffneten Arbeiter verpuffte im Straßenkampf die materielle und strategische Überlegenheit der nationalen Truppen.

Obwohl gerade die Zusammenarbeit der unterschiedlichen linken Strömungen einer der Gründe für die erfolgreiche Verteidigung von Madrid war, beendete die von der PCE dominierte Verteidigungsjunta Ende November die Politik des guten Einvernehmens mit anderen Strömungen. Die Kompetenzen der Komitees wurden beschnitten, die Zellen-, Bezirks- und Kreissekretäre der PCE verwandten nun ihre ganze Kraft darauf, die Auflösung der Komitees zu betreiben. Es kam wieder zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen Stalinisten und Anarchisten. Vor allem die in Madrid relativ schwache POUM geriet ins Fadenkreuz der PCE: Ihre Zeitungen wurden verboten, ihre Rundfunksender und Büros geschlossen. Die POUM und ihre Jugendorganisation JCI (Iberische Kommunistische Jugend) wurden faktisch verboten. Jetzt, da die akute Gefahr vorbei war, gingen die Stalinisten daran, ihre Vernichtungspolitik gegen die «Trotzkisten» auch in Madrid umzusetzen.

Teile diesen Beitrag:

Kommentar zu diesem Artikel hinterlassen

Spenden

Die SoZ steht online kostenlos zur Verfügung. Dahinter stehen dennoch Arbeit und Kosten. Wir bitten daher vor allem unsere regelmäßigen Leserinnen und Leser um eine Spende auf das Konto: Verein für solidarische Perspektiven, Postbank Köln, IBAN: DE07 3701 0050 0006 0395 04, BIC: PBNKDEFF


Schnupperausgabe

Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo.