Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

Bert Brecht hielt nicht viel vom Recht auf geistiges Eigentum. Wir auch nicht. Wir stellen die SoZ kostenlos ins Netz, damit möglichst viele Menschen das darin enthaltene Wissen nutzen und weiterverbreiten. Das heißt jedoch nicht, dass dies nicht Arbeit sei, die honoriert werden muss, weil Menschen davon leben.

Hier können Sie jetzt Spenden
PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 10/2017

Die "neue" DSA
von Dan La Botz*

Die sozialistische Bewegung in den USA hat einen Riesenschritt nach vorn geschafft als sich Anfang August rund 700 Delegierte, die rund 25000 Mitglieder der Democratic Socialists of America (DSA) repräsentierten, in Chicago zur zweijährigen Hauptversammlung der Organisation einfanden. Es war die erste Versammlung, seitdem die DSA nach den letztjährigen Wahlen ihre Mitgliedschaft verdreifacht hat.

Die meisten Delegierten waren Neumitglieder, die letztes Jahr im Zuge der Kampagne von Bernie Sanders und der beängstigende Aussicht auf eine Präsidentschaft Trumps eingetreten waren. Durch den gewaltigen Zustrom an neuen Mitgliedern wurde die DSA praktisch neu gegründet. Die Konferenz bot den Teilnehmern die Möglichkeit, ihre eigene Organisation neu zu formen, mit Statutenänderungen und Leitlinien für eine Strategie, die die DSA nach links rückten.

Die DSA wurde 1982 gegründet durch die Vereinigung von Aktivisten der alten Linken aus dem Democratic Socialist Organizing Committee (DSOC), geleitet von Michael Harrington, mit Aktivisten der Neuen Linken der 70er Jahre, die das New American Movement (NAM) gegründet hatten. Inspiriert von Harringtons Auffassung, dass es möglich sei, die Demokratische Partei zu reformieren, indem ihre politischen Apparate in den großen Städten und die rassistischen Demokraten der Südstaaten vertrieben werden, orientiert sich die DSA bis zu den 2000er Jahren auf fortschrittliche Gewerkschaftsführer, die Führer der Bürgerrechtsbewegung und auf den liberalen Flügel der Demokratischen Partei.

Die DSA gehörte zur «Sozialistischen Internationale» und identifizierte sich mit den skandinavischen sozialdemokratischen Parteien, die erfolgreich Wohlfahrtsstaaten errichtet hatten mit beeindruckenden Gesundheits-, Erziehungs- und Wohnprogrammen.

In den 90er Jahren war klar, dass Harringtons Strategie fehlgeschlagen war. Ohne klare alternative Perspektive stolperte eine kleinere, schwächere DSA in das 21.Jahrhundert.

 

Die neue DSA

Die Bernie-Sanders-Kampagne mit ihrem Aufruf für eine «politischen Revolution» und zum Kampf gegen die «Milliardärsklasse» – und vor allem Sanders’ Selbstdefinition als «demokratischer Sozialist» bescherten der Organisation einen gewaltigen politischen Aufschwung, besonders unter den Jungen, und erweckten die DSA zu neuem Leben. Langjährige führende DSA-Mitglieder, der kleine Stab der Organisation und die Leiter ihrer Jugendabteilung (die sich auf der Konferenz in Young Democratic Socialists of America umbenannte) nahmen die Gelegenheit wahr und rekrutierten Tausende aus der Sanders-Bewegung. Als Trump die Präsidentschaftswahlen gewann und im Januar sein Amt antrat, gewannen sie Tausende weiterer Mitglieder.

An der Konferenz nahmen vor allem diese jungen Aktiven teil – 20 Prozent von ihnen Schwarze, 40 Prozent waren Frauen, allesamt stark entschlossen, Sozialistinnen und Sozialisten zu werden und sich die DSA zu eigen zu machen. Natürlich sind in so einer Organisation der Grad der Beteiligung an der Bewegung, der sozialistischen Bildung und der politischen Erfahrung sehr ungleich. Auf der Konferenz bemühte man sich jedoch sehr, eine gemeinsame Basis für die neue Organisation zu erarbeiten – auch dank der Workshops, die eine Art Einführung in den Sozialismus darstellten.

 

Ein Linksruck

Da so viele Mitglieder politisch unerfahren waren, waren die Sitzungen mitunter ermüdend, frustrierend oder sogar ärgerlich, wurden jedoch von erfahrenen Moderatoren geleitet. Nach langen Debatten verabschiedete die Konferenz am Ende ein nationales Dokument, in dem der Kampf für ein steuerfinanziertes, gesetzliches Gesundheitssystem zur nationalen Priorität erklärt wurde.

Die Konferenz verabschiedete auch einige Statutenzusätze und Resolutionen, die sie deutlich nach links rückten. Außerdem beschloss sie:

– den Austritt aus der Sozialistischen Internationale (SI), da die europäischen Sozialdemokraten zu Vertretern des Neoliberalismus und Austerität geworden sind und unter den Mitgliedsparteien zudem viele autoritäre Regierungen sind; ohnehin ist die SI dabei sich aufzulösen;

– die Kampagne Boycott, Divest, Sanctions (BDS) gegen den israelischen Apartheidstaat zu unterstützen und allen Bestrebungen, die BDS-Kampagne zu kriminalisieren, eine Abfuhr zu erteilen;

– eine Struktur (Caucus) für schwarze Mitglieder einzuführen;

– die Einführung einer Kommission zu Betrieb- und Gewerkschaftsarbeit;

– die Einführung eines Forums für die politische Debatte innerhalb der Organisation.

 

Die Demokratische Partei

DSA-Mitglieder lehnen weitgehend sowohl Trump als auch die neoliberalen Demokraten ab. Den zentralen Knackpunkt bildete die Haltung zur Demokratischen Partei. Zwei verschiedene Anträge zielten darauf ab, dass die DSA ihr gegenüber eine kritischere Haltung einnehmen sollte, insbesondere gegenüber progressiven Demokraten in Gruppen wie Indivisible, MoveOn.org und Our Revolution.

Der Antrag schlug fehl, erhielt aber rund 40 Prozent der Stimmen, ein weiteres Zeichen für die wachsende Radikalisierung der DSA-Mitgliedschaft. Eine dritte Resolution, die verlangte, dass die DSA damit beginnt, selber zu einer politischen Partei zu werden, wurde wegen rechtlicher Fragen vertagt. Schließlich wurde der Antrag, Bernie Sanders für eine People’s Party zu gewinnen, von einer überwältigenden Mehrheit abgelehnt.

 

Gewerkschaften

Gewerkschaftsaktivisten der DSA hatten für die Einrichtung einer Kommission zur Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit gestimmt. Für diese haben sich 350 Gewerkschaftsmitglieder eingetragen, einer Umfrage unter 5000 Mitgliedern ergab, dass es in der DSA rund 1440 Gewerkschaftsmitglieder gibt, das sind rund 6 Prozent aller Mitglieder. Es gab eine Gewerkschafterversammlung auf der Konferenz, da trafen sich rund zwanzig Lehrerinnen und Lehrer, um grundlegende Gewerkschaftsfragen zu besprechen.

Die Tagesordnung der Konferenz war durch Umfragen unter Mitgliedern und Delegierten zustandegekommen. Sie konzentrierte sich auf die Gesundheitspolitik, das Thema Klimawandel kam nicht vor. Außerdem gab es nicht einen Antrag zu LGBT-Themen, wie ein Aktivist anmerkte. DSA-Mitglieder sind jedoch in beiden Themen unterwegs und werden sie zweifellos in ihren Ortsverbänden und im neu gewählten Leitungsgremium vorbringen.

Als der Versammlungsleiter eine zeitlich unpassende Resolution zur Behindertenpolitik als «out of order» deklarierte, gab es einen kurzen Protest einer Gruppe von Mitgliedern mit Behinderungen, die forderten: «Nothing about us without us» (Nichts über uns ohne uns). Dies führte zu einem Antrag, die Entscheidung der Versammlungsleitung zu kippen. Ein weiterer Antrag forderte eine Änderung der Geschäftsordnung und die Ergänzung des Prioritäten-Dokuments und einen Abschnitt, der auch für die Behindertenversammlung akzeptabel sei.

Es gab auch Momente von großem Enthusiasmus und symbolische Beschlüsse, die zeigten, dass die DSA sich mit den breiten Parteien der Linken in Europa und Lateinamerika identifiziert. Beim Bankett am Samstagabend gab es großen Applaus für die Sprecher der PSOL aus Brasilien, von France Insoumise, Podemos aus Spanien, dem Linksblock aus Portugal und der britischen Labour Party. Der Sprecher der Labour Party konnte ob der «Oh Jeremy Corbyn»-Gesänge kaum das Wort ergreifen.

 

Wahl einer neuen Leitung

Es gab 42 Kandidatinnen und Kandidaten für das aus 16 Mitgliedern bestehende Leitungsgremium. Die DSA-Statuten besagen, dass «von den gewählten Mitgliedern mindestens acht Frauen sein müssen und mindestens vier einer ethnischen oder nationalen Minderheit angehören müssen» .

In der gesamten Geschichte der DSA gab es bislang keine Tradition, organisierte Strukturen (Caucus) zu bilden, auf dieser Konferenz war es jedoch anders. Zu Beginn gab es eine Erklärung unter dem Titel «Einheit und Vielfalt», die von einer Anzahl von DSA-Mitgliedern unterzeichnet war, und wenn es auch nicht wirklich ein Caucus war, so war es doch der Versuch einiger langjähriger Mitglieder, jüngere Mitglieder für eine Neuauflage des Konzepts vom «Großen Dach» zu gewinnen.

Eine Gruppe junger DSA-Mitglieder bildete die nach links tendierende Momentum-Liste, die die Notwendigkeit einer Gewerkschaftsarbeit von unten betonte und eine Kampagne «Medicare für alle» forderte. Es gab auch eine Praxis-Liste, die NGO-artiges Training anbot, kombiniert mit der Betonung von lokalem Aktivismus.

Die meisten Kandidaten traten zur Wahl als Individuen an, nicht für eine politische Plattform. Ich kandidierte als Fürsprecher einer kritischeren Haltung gegenüber progressiven Demokraten, was meines Erachtens das zentrale Thema der DSA ist.

Am Ende wurden sechs Delegierte von Momentum und ein unabhängiger Kandidat gewählt, der Momentum nahesteht, fünf Delegierte der Praxis-Liste und vier DSA-Mitglieder vom alten Führungsteam.

Das neue Führungsteam wird der größten sozialistischen Organisation der USA seit der Communist Party der 40er Jahre und der Socialist Party des frühen 20.Jahrhunderts vorstehen. Es gibt viele Herausforderungen, es gibt aber auch großartige Möglichkeiten. Die zukünftigen Entwicklungen – die Kongresswahlen 2018, ein möglicher wirtschaftlicher Abschwung, eine autoritärere Regierung – werden Prüfsteine sein für die DSA. Besteht sie diese, wird die DSA den Grundstein für die erste wirkliche sozialistische Massenpartei in den USA im 21.Jahrhundert legen.

 

* Dan La Botz ist Gründungsmitglied der Teamsters for a Democratic Union (TDU) und Mitherausgeber von New Politics und Mexican Labor News and Analysis. Er ist Mitglied der revolutionär-sozialistischen Organisation Solidarity (www.solidarity-us.org).

Teile diesen Beitrag:

Kommentar zu diesem Artikel hinterlassen

Spenden

Die SoZ steht online kostenlos zur Verfügung. Dahinter stehen dennoch Arbeit und Kosten. Wir bitten daher vor allem unsere regelmäßigen Leserinnen und Leser um eine Spende auf das Konto: Verein für solidarische Perspektiven, Postbank Köln, IBAN: DE07 3701 0050 0006 0395 04, BIC: PBNKDEFF


Schnupperausgabe

Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo.