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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 02/2018

China baut sich ein Weltreich
von Oscar René Vargas*

«Ein Gürtel, eine Straße» heißt das chinesische Projekt für den Ausbau eines weltumspannenden globalen Handels offiziell, inoffiziell wird die 900-Milliarden-Dollar-Initiative der chinesischen Regierung die Neue Seidenstraße genannt – das größte Projekt seit dem Marshall-Plan der US-Regierung nach dem Zweiten Weltkrieg.

China verzeichnete 2016 mit 21,3 Billionen Dollar das nach Kaufkraftparität höchste Bruttoinlandsprodukt (BIP) auf der Welt, so die Angaben des World Factbook des US-Auslandsgeheimdienstes CIA. Schätzungen zufolge wird Chinas nominales BIP um das Jahr 2020 größer sein als das der USA und der EU zusammengenommen. (Die USA kamen 2016 auf ein BIP von 18,6 Billionen US-Dollar, die EU auf 17,3 Billionen.) Das Land ist auch im Besitz der höchsten Devisenreserven (3,1 Billionen US-Dollar; EU: 775 Mrd., USA: 117,3 Mrd.).

Der chinesische KP-Chef Xi Jinping hat sich vorgenommen, die Seidenstraße als Wirtschaftskorridor zwischen Ost und West wieder aufzubauen, sie ist seine große strategische Wette. China verfügt über das ausgedehnteste Eisenbahnnetz der Welt (112000 Kilometer, 20000 davon sind Hochgeschwindigkeitsstrecken). Bis 2025 will er weitere 15000 Kilometer bauen lassen.

Die Neue Seidenstraße ist ein gigantisches Netz von Verkehrsstraßen zu Wasser und zu Land. Sein Bau wird geschätzte 900 Mrd. Dollar für Investitionen, Finanzierung, Handelsverträge und Dutzende von Sonderwirtschaftszonen kosten. Insgesamt will China nicht weniger als 4 Billionen Dollar in 64 Ländern investieren.

Das Projekt steht symbolisch für eine neue Diplomatie, mit der Peking seine Nachbarn gewinnen und das Land zu einem der großen Akteure auf der Welt, wenn nicht den größten, machen will. So wie die USA ihren wirtschaftlichen Einfluss in Europa mit dem Marshall-Plan ausgebaut haben, indem sie den Wiederaufbau der durch den Zweiten Weltkrieg zerstörten Länder finanzierten, will Peking ein ausgedehntes Transportnetz für Güter und Personen, Öl- und Gaspipelines und technische Kabel aufbauen, um mit seiner Wirtschaftskraft über Asiens Grenzen hinaus Europa, Afrika und Lateinamerika zu durchdringen.

China entwickelt sich mit großem Tempo zum größten «Handelsimperium» der Welt. Man vergleiche nur den Marshall-Plan – nach heutigen Preisen 800 Mrd. Dollar – mit den chinesischen Investitionen: 300 Mrd. Dollar hat China bereits investiert und plant, in den kommenden zehn Jahren weitere 1000 Mrd. Dollar zu investieren. China hat allein mehr Kredite an sog. Entwicklungsländer vergeben als die Weltbank.

 

Wege nach Europa…

Das Projekt nennt sich «Ein Gürtel, eine Straße», weil eine Route über Land und eine über See führt. Die Sonderwirtschaftszonen bilden entlang dieser Routen Handelsgarnisonen für die internationalen Lieferketten, mit denen China seinen Handel schützen kann, ohne koloniale Strukturen aufbauen zu müssen.

In der chinesischen Wachstumsstrategie spielt Europa eine zentrale Rolle, als Markt für die chinesischen Produkte, für den Einkauf von Hochtechnologie und für die Kooperation in Fragen von globaler Bedeutung wie die Umweltfrage. Auf dem Landweg führt die Neue Seidenstraße deshalb über zwei Hauptarme mit einer Vielzahl von Terminals und abzweigenden Routen.

Der erste Arm folgt den alten Karawanenwegen, seine Route ist immer noch nicht endgültig festgelegt. Hier sind die meisten Konflikte zu erwarten, weil er Zonen der Instabilität in Zentralasien und im Mittleren Orient quert. Die Kriege in Afghanistan und in Syrien verzögern den Bau dieser Route; in anderen Ländern wie Kirgisistan und Tadschikistan sind es Armut und Misstrauen sowie das fast vollständige Fehlen einer Infrastruktur.

China hat im Dezember 2015 eine Hochgeschwindigkeitsverbindung zwischen Peking und der Hauptstadt seiner westlichsten Provinz, Ürümqi in Xinjiang, eröffnet. Die Eisenbahnlinie, die China bauen will, würde Ürümqi mit Sofia in Bulgarien verbinden und über Kirgisistan, Tadschikistan, Usbekistan, Turkmenistan, Iran und die Türkei führen. Damit diese Länder die Verlegung von Schienen und den Bau von Straßen und Pipelines genehmigen, sollen in jedes dieser Länder Milliarden Dollar für die Finanzierung verschiedenster Projekte fließen.

Der zweite Arm führt durch Russland und Kasachstan, er ist bereits in Betrieb, muss aber auf den neuesten Stand gebracht werden. Derzeit verkehren regelmäßig Personen- und Güterzüge zwischen Peking und Moskau, sie brauchen sechseinhalb Tage für die Strecke. China hat jedoch schon 6 Mrd. Dollar in den Bau einer Hochgeschwindigkeitsstrecke zwischen Moskau und Kasan investiert, insgesamt sollen dafür 24 Mrd. Dollar locker gemacht und die Strecke durch Kasachstan bis nach China verlängert werden. Das würde die Reisezeit zwischen Moskau und Peking auf 33 Stunden reduzieren.

Auch der Seeweg hat, wie der Landweg, mehrere Haupt- und zahlreiche Nebenstrecken. Die Hauptstrecken führen von Fujian im Südosten Chinas durch das Südchinesische Meer, den Indischen Ozean zum Horn von Afrika. Von dort aus führt eine Strecke nach Norden durch das Rote Meer und das Mittelmeer nach Venedig, die andere führt zur tanzanischen Hauptstadt Daressalam, an der Ostküste Afrikas. Die dritte Hauptstrecke führt nach Lateinamerika.

Eine Voraussetzung für diese Route war der Staatsvertrag, der am 17.November 2017 zwischen Panama und China geschlossen wurde. Panama hat sich damit der Seidenstraßeninitiative angeschlossen und stellt ihren dritten maritimen Arm dar.

Wenn Panama aber durch China in den Genuss der Mehrbegünstigungsklausel kommt, verbaut es damit die Möglichkeit, dass der Nicaraguakanal gebaut wird, der beide Ozeane verbinden soll. Der Staatsvertrag sieht die Möglichkeit vor, künftig große Infrastrukturprojekte zu bauen, etwa eine vierte Schleuse für den Panamakanal. Der Vertrag, den Nicaraguas Präsident Daniel Ortega im Jahr 2013 mit dem chinesischen Unternehmer Wang schloss, könnte somit dasselbe Schicksal erfahren wie 1914 der Vertrag zwischen dem damaligen US-Außenminister William Bryan und dem nicaraguanischen General Emiliano Chamorro, der in Vertretung seiner Regierung handelte. Der Vertrag diente nur dazu, sich ein Vorrecht für den Kanalbau zu sichern, damit kein anderer ihn bauen könne.

Der Seegürtel der Seidenstraße hat das Potenzial, die aufkeimende Entwicklung Afrikas dauerhaft zu beeinträchtigen. Seit Beginn dieses Jahrzehnts ist China zum wichtigsten Handelspartner des schwarzen Kontinents aufgestiegen, und China will das Handelsvolumen bis 2020 noch verdoppeln. Im Jahr 2015 betrugen Chinas Investitionen in Afrika annähernd 25 Mrd. Dollar. Inzwischen gibt es mehr als 2000 chinesische Betriebe in den verschiedenen Ländern des Kontinents – in Bereichen wie Bergbau, Ölförderung und -raffinerie, Infrastruktur, Bau, Landwirtschaft, Textilindustrie und andere gewerbliche Produkte.

Auf der Seeroute der Neuen Seidenstraße sollen gigantische Hafenanlagen entstehen, die einem Bericht des Pentagon zufolge nicht allein Handelszwecken dienen, sondern letztlich auch Chinas Sterben nach einer Seemacht unterstützen sollen.

Für den Land- wie den Seeweg bildet Pakistan einen wichtigen Knotenpunkt. Auf seinem Gebiet sollen die Seewege und die Landwege durch eine Eisenbahn zusammengeführt werden, die Pakistan vom Hafen Gwadar im äußersten Südwesten am Arabischen Meer bis in den äußersten Nordosten durchquert, wo sie Anschluss an das chinesische Eisenbahnsystem findet.

China scheint mit dem Seidenstraßenprojekt den Grundstein seiner Philosophie gefunden zu haben. Im Jahr 2013 überraschte Parteichef Xi Jinping die Welt noch mit der Idee, die alte Karawanenstraße zu neuem Leben erwecken zu wollen. Vier Jahre später will er China und Europa durch ein ausgedehntes Netz von Eisenbahnen, Fahrzeugen und Schiffen verbinden, in das Zentralasien, der Mittlere Osten, Südostasien und Ostasien integriert sind, aber auch Lateinamerika.

 

…und Lateinamerika

Im Jahr 2010 betrugen die chinesischen Investitionen in Lateinamerika 31,72 Mrd. Dollar; Ende 2016 sind sie bereits auf 113,7 Mrd. Dollar gestiegen – ein Zuwachs von fast 82 Mrd. US-Dollar. Ende 2016 konzentrierten sich die chinesischen Investitionen in drei Ländern: Brasilien (54,9 Mrd. US-Dollar), Peru (12,4 Mrd.) und Argentinien (10,6 Mrd.). Diese drei Länder zusammengenommen stellen 71 Prozent der chinesischen Investitionen in Lateinamerika dar.

China ist seit 2014 mit 263,6 Mrd. Dollar der zweitgrößte Handelspartner Lateinamerikas und hat die EU damit bereits überflügelt. China ist von einem zweitrangigen Akteur zu einem fundamentalen Faktor für die Entwicklung von Wirtschaft und Handel in Lateinamerika geworden.

Auf diesem Kontinent verfolgt die chinesische Regierung vor allem das Projekt einer Eisenbahnlinie, die den Atlantischen mit dem Pazifischen Ozean verbindet und durch Brasilien und Peru führt. China will zum ersten Handelspartner Lateinamerikas aufsteigen und eine Weltmacht werden. Das Handelsvolumen zwischen China und Lateinamerika ist im letzten Jahrzehnt um das 22fache gestiegen und steigt weiter.

Die geplante Eisenbahnlinie soll den Hafen von Açu 315 Kilometer nördlich von Rio de Janeiro mit dem peruanischen Hafen Ilo 1200 Kilometer südlich von Lima verbinden. Der Hafen von Açu boomt, es soll der drittgrößte der Welt und der größte Lateinamerikas werden.

Diese transozeanische Route wird die Handelszeiten erheblich verkürzen. Derzeit müssen südamerikanische Produkte durch den Panamakanal und brauchen noch weitere 30 Tage, um den Hafen von Tianjin südlich von Peking zu erreichen.

Zwischen 2005 und 2013 hat China in Lateinamerika Kredite über 102 Mio. Dollar vergeben. Der Kontinent ist attraktiv: 600 Millionen Menschen leben hier, und es gibt eine bedeutende Mittelklasse, die einen wichtigen Markt für billige Produkte und für die technologische Industrie darstellt. Kein Wunder also, dass Xi Jinpings Projekt in Washington alle Alarmglocken ausgelöst hat.

Die Neue Seidenstraße spielt auch eine zentrale Rolle im Zweckbündnis zwischen China und Russland. «Wenn China es schafft, seine blühende Industrie und seine großen natürlichen Ressourcen mit dem Herzen Eurasiens zu verbinden, dann ist es möglich, dass ein neues Weltreich entsteht, wie der britische Geograf Halford Mackinder 1904 vorhergesagt hatte», so der Historiker Alfred McCoy.

«Der beste Sieg ist der, den man erzielt, ohne zu kämpfen, das macht den Unterschied zwischen einem vorsichtigen Menschen und einem Dummkopf aus», schreib Sun Zi in seinem Buch über die Kriegskunst, dessen Philosophie die Außenbeziehungen Chinas bestimmt.

 

* Der Autor ist Ökonom, er lebt in Nicaragua und hat zahlreiche Bücher über Zentralamerika geschrieben (Quelle: http://alencontre.org/asie/chine).

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