Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

Bert Brecht hielt nicht viel vom Recht auf geistiges Eigentum. Wir auch nicht. Wir stellen die SoZ kostenlos ins Netz, damit möglichst viele Menschen das darin enthaltene Wissen nutzen und weiterverbreiten. Das heißt jedoch nicht, dass dies nicht Arbeit sei, die honoriert werden muss, weil Menschen davon leben.

Hier können Sie jetzt Spenden
PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 03/2018

Eine kurze Geschichte des Internationalen Frauentags
von Tatiana Montella*

Der 8.März ist ein Tag, der eng mit den Kämpfen von Frauen und der Frauenbewegung verbunden ist. Dabei bleibt sein Ursprung im Dunkeln, es ist kein besonderes Ereignis, das gefeiert wird, eher ist es ein symbolisches Datum, das für die Frauenbewegung schlechthin steht.

Einige haben versucht, die Geburtsstunde des 8.März auf den Streik der Textilarbeiterinnen in New York am 8.März 1857 zu datieren, aber es scheint, dass das Ereignis nicht wirklich stattgefunden hat. Vielfach wurde der 8.März auch mit dem Brand in der Textilfabrik Cottons in Chicago Anfang März 1908 in Verbindung gebracht, anlässlich dessen die Arbeiterinnen gegen ihre inhumanen Arbeitsbedingungen in den Streik traten. Der Streik dauerte bis zum 8.März, als der Besitzer der Fabrik beschloss, alle Ausgänge zu verbarrikadieren. Ein Feuer brach aus, vielleicht vom Besitzer selbst gelegt, in dem 129 Arbeiterinnen umkamen. Aber auch darüber gibt es nur lückenhafte und widersprüchliche Quellen.

Sicher ist jedoch, dass die Geschichte des 8.März von Frauen geschrieben wurde, die der Frauenbewegung ein Gesicht gegeben und einen aktiven Beitrag zu ihrer Entwicklung geleistet haben: Clara Zetkin, eine Führungsfigur der deutschen Arbeiterbewegung; Rosa Luxemburg, die Gründerin der polnischen Sozialdemokratie und der KPD; Alexandra Kollontai, die feministische russische Revolutionärin und führende Vertreterin der Kommunistischen Partei mit kritischen Positionen zur Familie; Corinne Brown, die US-amerikanische Feministin, die den ersten Frauentag organisiert hat.

Es ist die Geschichte von Frauen, die in ihren politischen Organisationen dafür gekämpft haben, dass der Kampf der Frauen einen zentralen Platz einnahm. Ihre Kämpfe umfassten von Anfang an alle Kontroversen, die die Frauenbewegung prägen sollten: das Verhältnis der sozialistischen zur bürgerlichen Frauenbewegung, der Frauenbewegung zu revolutionären Bewegungen, zu Parteien usw.

Der gemeinsame Nenner war der Kampf für Gleichheit in der Freiheit, gegen Stigmatisierung, Ausgrenzung und Assimilation und für eine menschenwürdige Existenz von Frauen. Dank ihrer Zähigkeit, ihrer Praxis, ihrer Erfahrungen und Ideen ist der 8.März zum Sinnbild des Kampfs der Frauen geworden.

 

Der Internationale Frauentag

Im Jahr 1910 fand in Kopenhagen eine Konferenz sozialistischer Frauen statt, Clara Zetkin koordinierte die Vorbereitungen und schlug vor, einen Internationalen Frauentag einzurichten. In jenen Jahren setzten Frauen ihr Wahlrecht in Neuseeland, Australien und Finnland durch.

In den USA wurde bereits an jedem letzten Sonntag im Februar ein Frauentag (Women’s Day) gefeiert, das Datum erinnerte an die Festigung des Bündnisses zwischen sozialistischen und bürgerlichen Frauen. In den USA ging dieses Bündnis weiter, als es die Positionen der II.Internationale vorsahen, in deren Augen der Sieg über das Patriarchat untrennbar mit dem Sieg über den Kapitalismus verbunden war.

Gerade in der Zeit des Kampfes für das Frauenwahlrecht behauptete sich die feministische Solidarität über die Klassengrenzen hinweg. Der Streik in New York im Jahr 1909 wurde dadurch zu einem Streik der Frauenbewegung. Im selben Jahr kamen Tausende Frauen zum Internationalen Frauentag zusammen.

So war das Datum bereits 1909 symbolisch aufgeladen, auch wenn die Konferenz in Kopenhagen im darauffolgenden Jahr, an der auch Frauen vom Women’s Day teilnahmen, den Beschluss über die Einrichtung eines Internationalen Frauentags noch auf «reifere Zeiten» vertagen wollte. Bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs wurde das Datum deshalb nur in einzelnen Ländern gefeiert: in Russland im März 1913, unter dem Namen «Tag der Arbeiterin», im Jahr darauf in Deutschland, Frankreich, Finnland und Norwegen. Im Vordergrund stand die Forderung nach politischer Emanzipation und nach Frieden.

Ein Bruch mit dem klassenübergreifenden Ansatz war die Einrichtung eines Tages der Arbeiterinnen auf der Zweiten Konferenz kommunistischer Frauen in Moskau im Jahr 1921. Den Vorsitz führte Alexandra Kollontai. Das für die Konferenz gewählte Datum war der 23.Februar, nach dem neuen gregorianischen Kalender der 8.März – in Erinnerung an den Aufstand der Petersburger Frauen gegen den Zaren am 23.Februar 1917. Mitten im Krieg, durch Hunger erschöpft, hatten sie den Mut, energisch nach Brot und Frieden zu rufen.

Der Tag hat sich in die Geschichte der russischen Revolution eingeschrieben, in der, um es mit den Worten Kollontais zu sagen, «die russischen Frauen die Fackel der proletarischen Revolution hochgehalten und Feuer an das Pulver gelegt haben. Die Februarrevolution nahm damit ihren Anfang.» Obwohl der Tag der Arbeiterin bekannt ist, wird die Geschichte der russischen Revolution nur selten mit der Geschichte des 8.März in Verbindung gebracht.

Auch 1945 folgte der Drang nach Emanzipation der Frauen den Gegebenheiten, die dem Kriegsende vorausgegangen waren. In London wurde eine Frauencharta verabschiedet und an die UNO geschickt, die gleiche Rechte und Gleichstellung auf der Arbeit forderte. In Italien feierte im selben Jahr die Frauenunion, die ein Jahr zuvor gegründet worden war, den Frauentag am 8.März. Ein Jahr später wurde der Tag im ganzen Land gefeiert, zur Symbolblume wurde die Mimose gewählt.

Es waren die Jahre der schwierigen Geburt der italienischen Verfassung, in denen Frauen ein neues Bewusstsein entfalteten, dass sie an diesem Prozess teilnehmen und für ihre Rechte kämpfen mussten. Die Märzfeierlichkeiten waren deshalb noch keine Selbstverständlichkeit, es gab zahlreiche Zusammenstöße mit der Polizei und Anklagen gegen Frauen, die Flugblätter verteilten oder an nicht genehmigten Demonstrationen teilnahmen. Oft wurden sie verfolgt und verhaftet, sie würden die öffentliche Ordnung stören.

In den 70er Jahren veränderte sich der Charakter des 8.März in dem Maße, wie die neue Frauenbewegung auf den Plan trat, die grundlegende Rechte für die Frauen durchsetzen konnte. Es waren die Jahre der großen Mobilisierungen für das Recht auf legalen Schwangerschaftsabbruch und auf Scheidung. Gleichzeitig wurde mit einem historischen Erbe gebrochen. Die Arbeiterbewegung, die in der ersten Hälfte des Jahrhunderts eine Quelle der Inspiration für die wichtigsten Kämpfe und die größten Errungenschaften der Frauenbewegung gewesen war, hatte inzwischen Bürokratisierungsprozesse durchlaufen, die ihre Fähigkeit zur Kritik des Bestehenden unterminierten. Die Frauenbewegung holte sich ihre Inspiration deshalb woanders her, nämlich aus den Kämpfen der Afroamerikanerinnen und der Studierenden in den USA gegen den Vietnamkrieg, von Gruppen, die Lehren aus der Psychoanalyse ziehen wollten, und aus dem unorthodoxen und radikalen Marxismus.

Im dem Maße, wie die Frauenbewegung dann zurückging, veränderte sich auch der 8.März: An die Stelle von Kämpfen traten Konferenzen und Theateraufführungen – aber selbst da fehlte es nicht an Versuchen, Politik und Mobilisierung ins Zentrum zu rücken.

 

Frauenstreik

Die Bewegungen, die wir derzeit erleben, greifen diesen Faden wieder auf und arbeiten an einem 8.März, an dem die Frauen in aller Welt streiken. Mit dieser Aktionsform knüpfen sie an die großen Frauenbewegungen in der Geschichte an. Sie pflegen damit ein kollektives historisches Gedächtnis und füllen diese Aktionsform gleichzeitig mit den Inhalten von heute. Überraschendes kommt dabei zutage: So etwa, dass einer der erfolgreichsten Frauenstreiks der Geschichte 1991 in der Schweiz stattfand: 500000 Frauen beteiligten sich daran; an zweiter Stelle stehen die Frauenstreiks in Island 1975 und in New York 1970.

Eine große Neuigkeit war 2016 der Streik der polnischen Frauen gegen den Beschluss der Regierung, Schwangerschaftsabbrüche nur noch in Ausnahmefällen zuzulassen. Die Frauen in Polen haben es geschafft, die konservative Regierung und die Kirche zum Rückzug zu zwingen und die Strafbewehrung eines Schwangerschaftsabbruchs mit dem Thema Gewalt gegen Frauen zu verbinden. Auch Argentinien war Schauplatz großer Frauenstreiks.

Das waren die Wegbereiterinnen für den massiven Streik am 8.März 2017. Er stellte alles bisher Dagewesene in den Schatten. Nicht nur deshalb, weil er weltweit stattfand und nicht an einen besonderen Sektor der Arbeitswelt gebunden war, nicht einmal notwendig an die Erwerbsarbeit, sondern weil er weltweit die Forderung nach einem Ende der Gewalt gegen Frauen als Mittel der Unterdrückung und Ausbeutung in den Mittelpunkt stellte. «Wenn mein Leben nichts wert ist, bleibe ich stehen und produziere nicht mehr», so in etwa ließe sich die Parole übersetzen, die um die Welt kreiste.

In den USA war dem Frauenstreik 2017 eine riesige Mobilisierung der Frauen gegen die Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten und gegen die sexistische und homophobe Rechte, die er verkörpert, vorangegangen. Im Rahmen dieser Mobilisierung entstand die Idee, am Tag seiner Amtseinführung einen Streik zu organisieren: «Die Regierung Trump verspricht, jede Form von Sozialpolitik zu kürzen, zu schwächen, zu privatisieren oder ganz abzuschaffen, angefangen bei den öffentlichen Schulen bis zur bundesstaatlichen Krankenversicherung Medicare und der Sozialhilfe. Er erwartet, dass die Familie (d.h. die Frauen) die so entstehenden Löcher füllen und die Scherben aufsammeln. Das werden wir nicht tun. Dieser Streik ist eine Warnung. Unsere Arbeit (auch die Hausarbeit) ist nicht mehr selbstverständlich.»

Wir wollen uns die Geschichte des Feminismus wieder aneignen, um unsere Zeit zu begreifen und einen neuen feministischen Internationalismus aufzubauen.

 

* Bei dem von der Redaktion gekürzten Text handelt es sich um das Nachwort von Tatiana Montella zum Buch Storia delle storie del femminismo (Geschichte der Geschichten des Feminismus) von Cinzia Arruzza und Lidia Cirillo (Rom: Edizioni Alegre, 2017).

Teile diesen Beitrag:

Kommentar zu diesem Artikel hinterlassen

Spenden

Die SoZ steht online kostenlos zur Verfügung. Dahinter stehen dennoch Arbeit und Kosten. Wir bitten daher vor allem unsere regelmäßigen Leserinnen und Leser um eine Spende auf das Konto: Verein für solidarische Perspektiven, Postbank Köln, IBAN: DE07 3701 0050 0006 0395 04, BIC: PBNKDEFF


Schnupperausgabe

Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo.