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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 01/2019

Berliner Initiative erinnert an den Sozialisierungsartikel im Grundgesetz
von David Stein

Die Initiative «Deutsche Wohnen & Co. enteignen» hat den Startschuss für einen Volksentscheid gegeben.
Damit wird der Berliner Senat aufgefordert, einen Gesetzentwurf auszuarbeiten, mit dem Immobilien, soweit sie gewerblichen, profitorientierten Unternehmen gehören, die einen Wohnungsbestand von 3000 oder mehr Wohnungen in Berlin aufweisen, nach Art.15 Grundgesetz in Gemeineigentum überführt werden. Die Wohnungen sollen durch eine Anstalt öffentlichen Rechts demokratisch von Mietern, gewählte Vertretern der Stadtgesellschaft unter Mitbestimmung der Angestellten verwaltet werden. Eine Privatisierung der Bestände soll ausgeschlossen werden. Der Beschlusstext (siehe Kasten) wurde am 23.11.2018 beim Berliner Senat zur Kostenschätzung eingereicht.
Unter die Vergesellschaftung würden nach ersten Schätzungen fast 200000 Wohnungen fallen. Neben der Deutsche Wohnen SE halten u.a. Vonovia, Akelius, ADO Properties und Grand City Property einen Wohnungsbestand weit über dem Schwellenwert von 3000 Wohnungen. Die meisten Unternehmen gehören zu einem neuen Typ von börsennotierten Wohnungsunternehmen. Diese kaufen billige, sanierungsbedürftige Wohnungen und bewerten sie in ihrer Bilanz mit Rekordwerten, um hohe Dividenden an ihre Aktionäre ausschütten zu können. Das zwingt sie aber zu Luxusmodernisierungen und kräftigen Mieterhöhungen, die sie nur durch Angriffe auf den Mietspiegel erreichen können. Sie treiben mit Modernisierungsumlagen, soweit sie auf die Mieter abgewälzt werden können, die Mieten drastisch hoch und fahren parallel hierzu den Service gegenüber den Mietern zurück. Diese Wohnungsunternehmen gehören zu den größten Mietzinstreibern in der Stadt. Sie setzen aufgrund ihrer Marktmacht den Mietpreisspiegel und die Mietpreisbremse de facto außer Kraft. Der Berliner Landespolitik fehlen die gesetzlichen Instrumente, diesem Treiben wirksam entgegenzusteuern. Die jüngst vom Deutschen Bundestag beschlossenen Änderungen des Mietrechts («Mietrechtsrefom 2018») ändern daran nichts.
Bisher stößt die Kampagne auf viel Zustimmung; nicht nur unter Mieterinitiativen und Mietern der genannten Wohnungsunternehmen, die zusätzliche, kreative Aktionen gegen diese Haifische initiieren. DIE LINKE unterstützt diese Initiative, Berliner Bundestagsabgeordnete der Grünen (Canan Bayram) und der SPD (Cansel Kiziltepe) ebenfalls. Bei Plakatieraktionen konnten durch eine große Zahl von Freiwilligen 5000 Plakate in einer Nacht verklebt werden. Die Berliner Medien (Springer ausgenommen) berichten bisher relativ fair und moderat. Die Gegenreaktion der Haus- und Grundbesitzerlobby oder von Deutsche Wohnen SE und Vonovia und der Springerpresse verpuffte bislang.

Zur Geschichte des Sozialisierungsartikels
Die Initiative stützt sich auf einen Grundgesetzartikel (Art.15 GG), der seit der Verkündung des Grundgesetzes im Mai 1949 in einem Zustand praktischer Bedeutungslosigkeit verharrt. Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel können zum Zwecke der Vergesellschaftung nach Art.15 GG durch ein Gesetz, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt, in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden. Dieser Artikel soll nun erstmals aktiviert werden. Als Eingriffsermächtigung wurde er noch kein einziges Mal seit 1949 angewandt.
Für die Entstehung der Norm war entscheidend, dass in den Jahren nach 1945 nicht nur SPD und KPD, sondern auch die bürgerlichen Parteien, Ökonomen und Kirchen angesichts der Erfahrungen der engen Verflechtung von NSDAP und Wirtschaft prinzipiell gegenüber einer Vergesellschaftung insbesondere der Montanindustrie offen waren. Dies wurde auch im Ahlener Wirtschaftsprogramm der CDU von 1947 dokumentiert. Dort wurde in der Präambel festgestellt, das «kapitalistische Wirtschaftssystem» sei «den staatlichen und sozialen Lebensinteressen des deutschen Volkes nicht gerecht geworden»; das Programm erklärte daher die «Bedarfsdeckung des Volkes» zum künftigen «Ziel aller Wirtschaftspolitik» und forderte u.a. «die Vergesellschaftung der Bergwerke» und der Montanindustrie, industrielle Entflechtungen und allgemeine Mitbestimmung.
In kürzester Zeit kippte jedoch die Aufgeschlossenheit für Sozialisierungen. Die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse hatten sich durch den Kalten Krieg und den wirtschaftlichen Aufschwung zuungunsten einer neuen Wirtschaftsverfassung verschoben – und damit die verfassungsrechtliche Ausrichtung des zukünftigen Grundgesetzes. Bereits 1949 richtete sich die CDU in ihren «Düsseldorfer Leitsätzen» des Jahres 1949 an einer marktwirtschaftlichen Wirtschaftspolitik aus. Das kapitalistische Wirtschaftssystem hatte jedoch seine Vorkriegsstärke noch nicht wieder erreicht.
Aus diesem Übergangszustand ist zu erklären, dass sich in den Verhandlungen im Parlamentarischen Rat zwar einerseits keine Partei außer der KPD für mehr als die Verankerung einer bloßen Sozialisierungsermächtigung im Grundgesetz aussprach, andererseits aber niemand außer der rechten Deutschen Partei eine solche Ermächtigung für eine Vergemeinschaftung von Grund und Boden in Frage stellte.
Art.15 GG zeichnete somit im Grundgesetz die Kompromisslinie für die Wirtschaftsverfassung vor, die bis heute fortbesteht – obwohl die Verfassungswirklichkeit eine andere ist. Versuche aus dem Lager der CDU, Art.15 GG zu streichen, wurden in der Folgezeit im Nachkriegsdeutschland nur halbherzig aufgegriffen, später gänzlich aufgegeben.
Art.15 GG eröffnet bis heute die Möglichkeit, die dort aufgeführten Sozialisierungsgüter in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft zu überführen. Die Norm gilt, vom Bundesverfassungsgericht ausdrücklich bestätigt, bis heute als Beleg für die wirtschaftspolitische Neutralität oder «Offenheit» des Grundgesetzes. Die Regelung hält also im Prinzip die Tür für sozialistische Gestaltungsmöglichkeiten der Wirtschafts- und Sozialordnung des Grundgesetzes offen. Es wäre ein politischer Fehler, wenn von linker Seite beim «Kampf um Verfassungspositionen» (so der linke Politologe und Rechtswissenschaftler Wolfgang Abendroth) auf diese Forderung verzichtet würde.

Entschädigung muss sein – aber wie hoch?
Allerdings wird die «wirtschaftspolitische Neutralität» der Verfassung auf anderem Wege deutlich reduziert und damit eine wirtschaftspolitische Gestaltungskraft durch Vergesellschaftung deutlich eingeschränkt. Das Grundgesetz erlaubt keine entschädigungslose Konfiskation von Grund und Boden, wie sie etwa Trotzki im «Übergangsprogramm» der IV. Internationale von 1938 gefordert hatte.
Art.15 GG verweist auf die Entschädigungsregelung von Art.14 GG, der das Privateigentum grundsätzlich gewährleistet und Enteignungen nur gegen Entschädigung vorsieht. Was die Höhe der Entschädigung anbelangt, gilt jedoch bei einer Vergesellschaftung nach Art.15 GG ein anderer Maßstab als für die Enteignung einzelner Grundstücke für den Straßenbau etc. nach Art. 14 GG. Während sich bei der Enteignung einzelner Grundstücke die Höhe der Entschädigung in der Regel am Verkehrswert, d.h. an Marktpreisen, zu orientieren hat, gilt für die Entschädigung bei Vergesellschaftung nach Art.15 (2) GG in erster Linie ihr «Billigkeitscharakter», sodass die Verkehrswertentschädigung die absolute Ausnahme darstellt.
Der Berliner Senat besitzt somit hinreichende Gestaltungsspielräume und Flexibilität bei der Anwendung dieser Maßstäbe. Sie eröffnen dem Berliner Gesetzgeber im Rahmen des Art.15 GG hinreichende fiskalische Spielräume, deutlich unter dem Verkehrswert zu entschädigen. Bei der nun anstehenden Kostenschätzung des Senats in bezug auf das vorgeschlagene Rekommunalisierungsgesetz ist darauf zu achten, dass dieser nicht höhere Entschädigungswerte als von Art.15 GG verlangt bei der Kostenschätzung ansetzt, um mit dem Argument, das Gesetz würde den Berliner Haushalt erdrosseln bzw. sei mit der Schuldenbremse unvereinbar, den Volksentscheid bereits im Vorfeld als unzulässig abzuschmettern.

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