Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 04/2019

Vorbereitungen des DGB auf neuen Koalitionspartner
von Manfred Dietenberger

Das jüngste Spitzentreffen des DGB-Vorstands mit den Grünen, zu dem der DGB nach Berlin eingeladen hat, sollte dazu dienen, Gemeinsamkeiten auszuloten. Bei dem Gespräch sollte es, wie im Vorfeld vom DGB zu hören war, vor allem darum gehen, wie man sich bei den Themen Soziales und Ökonomie strategisch aufstellt – also etwa beim Thema Tarifbindung, der Internetökonomie oder der Erleichterung der Allgemeinverbindlichkeitserklärung von Tarifverträgen. Letzteres wäre den Vorstellungen des DGB zufolge z.B. durch ein zu schaffendes Bundesvergabegesetz möglich, das vorschreibt, dass «öffentliche Aufträge nur an solche Unternehmen vergeben würden, die tariflich entlohnten», so DGB-Chef Reiner Hoffmann.
Der DGB pflegt regelmäßige Kontakte zu allen im Bundestag vertretenen politischen Parteien außer der AfD. Auch zu den Grünen, wobei es sich da bislang eher um «Pflichttermine» handelte. Ein Treffen ist also auf den ersten Blick weder neu noch aufregend. Aber hinter dem Turteln von DGB und Grünen stecken beiderseits handfeste Interessen, auch wenn Habeck nur von einer «normalen Arbeitsbeziehung» spricht.
Die Gewerkschaften leiden unter einem anhaltenden Mitgliederschwund. Der auch dadurch abnehmende gewerkschaftliche Organisationsgrad der Wählerschaft führt dazu, dass der politisch/parlamentarische Einfluss der Gewerkschaften kontinuierlich sinkt. Traditionell war die SPD die Partei, die die meisten Stimmen aus dem Lager der gewerkschaftlich organisierten Beschäftigten holte. Das ist Vergangenheit. Die in Lobbyistenarbeit verliebten Gewerkschaftsspitzen glauben, dass Kontakte zu den Fraktionsvorsitzenden, zu den Vorsitzenden und Berichterstattern der Ausschüsse, die bei interessierenden Gesetzen federführend sind, zu den maßgeblichen Fachabgeordneten und zu Arbeitsgruppenvorsitzenden der Fraktionen entscheidender sind als der ehemals enge Kontakt zur Masse der gewerkschaftlich Organisierten.
Während die SPD angezählt am Boden liegt und nach Luft schnappt, sind die Grünen, wie es scheint, auf dem Weg zur «Volkspartei». Eine aktuelle Umfrage von Infratest belegt dies: 47 Prozent der Bürger können sich prinzipiell vorstellen, bei der nächsten Bundestagswahl die Grünen zu wählen. 22 Prozent denken gar, es könnte nach der nächsten Wahl einen grünen Kanzler oder eine grüne Kanzlerin geben. Ein internes, vom Spiegel aber veröffentlichtes, Analysepapier der Grünen stellt fest, dass die meisten Zugewinne für die Grünen in der letzten Zeit von der SPD kommen. Grünen-Bundesgeschäftsführer Michael Kellner empfiehlt daher: «Wichtig bleibt, dass wir die Betonung von Gerechtigkeitsthemen, die wir seit Beginn des neuen Bundesvorstands entschiedener erzählen, weiterführen.»
Diese Strategie leitet ihr neues Verhältnis zum DGB. Gelingt der Schulterschluss, stärkt dies die Glaubwürdigkeit ihrer Gerechtigkeitsversprechen. Es spricht nicht wenig dafür, dass die nächste Regierung eine schwarz-grüne ist, nicht nur aus Gründen der Wahlarithmetik, sondern auch weil es die für das Kapital wohlfeilste Option zur Systemstabilisierung ist.
Dessen eingedenk, versucht sich der DGB nun der neuen Situation anzupassen. Dabei müssen er und seine Einzelgewerkschaften sich nicht ganz neu erfinden. Während noch 1986 Ulrich Briefs ein Kündigungsschreiben von seinem Arbeitgeber, der Geschäftsführung des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) des DGB, erhalten hat weil seine Kandidatur für den Bundestag auf der Liste der Grünen in Recklinghausen «für den DGB und seine Gewerkschaften eine erhebliche Belastung darstelle» (so das Schreiben des Institutsleiters). Denn der Kandidat der SPD im selben Wahlkreis sei ein «weithin bekannter hauptamtlicher Gewerkschafter». Das sei «dem WSI nicht gleichgültig». Bei dem weithin bekannten Gewerkschafter handelte es sich um Horst Niggemeier, seines Zeichens Spitzenfunktionär der IG Bergbau und Energie, ein vehementer Verfechter von Atomkraftwerken, Bürgermeister von Datteln und Reserveoffizier. Noch im gleichen Jahr (1986) beschloss der DGB-Bundesvorstand in geheimer Sitzung, im folgenden Jahr Gespräche mit der grünen Bundestagsfraktion zu führen.
2002 wurde die frühere Bundestagsabgeordnete der Grünen, Annelie Buntenbach, Leiterin der Abteilung Sozialpolitik beim Bundesvorstand der IG Bauen-Agrar-Umwelt. Sie kandidierte als Mitglied der IG BAU auf Vorschlag der Gewerkschaftsführungen auf dem Bundeskongress des DGB 2006 für das Amt eines geschäftsführenden Bundesvorstands und wurde gewählt. In dieser Funktion gehört sie auch heute noch der DGB-Führung an.
2000 wurde Frank Bsirske als erster Grünen-Funktionär zum Vorsitzenden einer DGB-Gewerkschaft, nämlich der ÖTV, gewählt. Seit 2001 ist er Vorsitzende von Ver.di. Schon seit einiger Zeit ganz oben mit dabei, aber nicht im DGB, sondern bei der Metallgewerkschaft ist Ralph Obermauer. Der frühere Zuarbeiter für die Büros von Rezzo Schlauch und Jürgen Trittin wechselte von den Grünen in die Grundsatzabteilung der IG Metall.
Künftig wird der Funktionärsapparat der Gewerkschaften wohl merkbar grüner werden. Beim Gipfeltreffen mit den Grünen herrschte Friede, Freude, Eierkuchen. Das Vorsitzenden-Duo Reiner Hoffmann (DGB) und Robert Habeck (Grüne) forderte gemeinsam die Große Koalition auf, das Konzept für einen Ausstieg aus dem Kohlestrom so umzusetzen, wie die Kohlekommission es vorschlägt. Einig traten sie auch für die Stärkung der Tarifbindung auf. Habeck präzisierte, Tarifbindung und Mitbestimmung seien auch in Ökobranchen wie den erneuerbaren Energien, Bioläden und im modernen Verkehr notwendig. «Super, wenn die auf dem Weg sind, die Welt ökologisch zu machen», so Habeck weiter, «aber nicht auf Kosten der Sozialpartnerschaft in Deutschland.»
Ja es sieht nach diesem Spitzentreffen so aus, als habe Reiner Hoffmann recht, wenn er sagt, DGB und Grüne seien, «lernende Organisationen» und hätten sich in den letzten Jahren «sehr stark aufeinander zubewegt». Über die programmatischen Annäherungen hinaus wurde bei dem Treffen deutlich: DGB und Grüne teilen miteinander die Erfahrung, dass das frühere Paktieren mit der SPD einer babylonischen Gefangenschaft gleicht. Der gemeinsame Wunsch, sich daraus zu befreien, erklärt die Suche nach einer neuen strategischen Partnerschaft. Macht die Sache aber nicht besser.

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