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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 04/2019

Die Venezuela-Linie der Bundesregierung ist ein historischer Bruch in der deutschen Außenpolitik
von Andrej Hunko*

Durch ihre blinde Gefolgschaft für die Umsturzpolitik der USA in Venezuela hat sich die Bundesregierung in eine diplomatische Sackgasse manövriert.
Mit seiner Selbsternennung zum Präsidenten Venezuelas hat Juan Guaidó ein politisches Erdbeben ausgelöst. Auch wenn gut zwei Monate nach Beginn dieses Putschversuchs die Regierung Maduro weiterhin im Amt ist, bleibt die Situation brandgefährlich. Die Bundesregierung gibt vor, für eine friedliche Lösung zu arbeiten. Doch hat sie durch die vorschnelle Anerkennung Guaidós den Konflikt verschärft. Schon im Juli 2017 hatte US-Präsident Donald Trump von einer Militärintervention gesprochen. Zunächst verhängten die USA Sanktionen. Das war der eigentliche Beginn der aktuellen Eskalation.
Bis Februar 2018 hatte die Opposition in Venezuela mit der Regierung verhandelt. Ein Abkommen lag zur Unterzeichnung bereit. Es sah vor, die Wahlen vorzuziehen, den Wahlrat teilweise neu zu besetzen und internationale Wahlbeobachter einzuladen. Im letzten Moment verweigerte die Opposition jedoch die Unterschrift. Schließlich boykottierte ein Großteil der Opposition die Wahlen am 20.Mai. So wurde Nicolás Maduro bei einer Wahlbeteiligung von 46 Prozent mit etwa zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen wiedergewählt. Die USA, die rechtsregierten Länder der Lima-Gruppe und die Europäische Union sprachen dem Präsidenten daraufhin die Legitimität ab, weil es sich nicht um freie und faire Wahlen gehandelt habe.
Mit der Amtseinführung Maduros am 10.Januar sah der radikale Flügel der Opposition dann seine Chance gekommen. Gemäß einer Absprache der vier relevantesten Oppositionsparteien wechseln sich diese jährlich bei der Parlamentspräsidentschaft ab. So kam ab Januar der relativ unbekannte Abgeordnete Juan Guaidó von der kleinen radikalen Partei Voluntad Popular (VP) an die Reihe. Im Dezember war Guaidó in die USA, nach Kolumbien und Brasilien gereist, um seinen Coup vorzubereiten. Am 23.Januar schließlich erklärte er sich selbst zum Präsidenten Venezuelas. Schon nach ein paar Minuten verkündete US-Präsident Trump die Anerkennung Guaidós. Dem folgten ähnliche Erklärungen von etwa 50 der 193 UNO-Mitgliedsländer.

Deutschland als Hardliner in der EU
Die Bundesregierung entwickelte nach anfänglichem Zögern eine harte Linie. Im Einvernehmen mit Spanien, Frankreich und Großbritannien setzte sie sich für eine Anerkennung Guaidós ein. Zuvor stellten diese vier der Regierung Venezuelas ein Ultimatum, binnen acht Tagen Neuwahlen auszurufen. Wie zu erwarten war, wies die Regierung Maduro dies zurück. Am 4.Februar verkündeten mehrere EU-Mitglieder die Anerkennung Guaidós, darunter auch Deutschland. Auf EU-Ebene reichte der Widerspruch einiger Länder um zu verhindern, dass die EU insgesamt der Anerkennungslinie folgte. Vor allem Italien und Griechenland waren zu dieser Zeit dagegen.
Die Anerkennung Guaidós basiert auf einer fragwürdigen Interpretation der Verfassung Venezuelas. Gutachten der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestags legen zudem nahe, dass sie völkerrechtswidrig ist. Guaidó hat sich in Venezuela als Präsident offensichtlich nicht «endgültig durchgesetzt». Dieser Tatsache kann sich inzwischen sogar die Bundesregierung nicht mehr entziehen. Trotzdem hält sie an ihrer Linie fest. Das Auswärtige Amt hat gar den deutschen Botschafter in Caracas angewiesen, Personenschützer für den Putsch-Präsidenten zu spielen. Gemeinsam mit den Botschaftern Frankreichs und Spaniens sowie der rumänischen Geschäftsträgerin hat Daniel Kriener Guaidó am Flughafen empfangen, als dieser am 4.März nach Venezuela zurückgekehrt war. Der deutsche Botschafter erklärte seine Unterstützung Guaidós und forderte erneut Neuwahlen. Nach diesem Auftritt wies die venezolanische Regierung Kriener aus.

Diplomatie in der Sackgasse
Die Bundesregierung hat sich damit zunehmend in eine diplomatische Sackgasse manövriert. Einen Abgeordneten ohne reale Macht als Staatsoberhaupt anzuerkennen, ist ein historischer Bruch. Bislang hatte das Auswärtige Amt lediglich Staaten ihre Anerkennung ausgesprochen, nicht Regierungen oder Personen. Nun könnte sich die Büchse der Pandora öffnen. Nach welchen Kriterien sollen Regierungen anerkannt werden? Im Fall Venezuelas sagt die Bundesregierung, die Wahl sei nicht frei und fair gewesen. So gesehen müsste Dutzenden Regierungen die diplomatische Anerkennung verweigert werden. Doch hofiert die Bundesregierung auch lupenreine Diktatoren – wenn es ihr passt.
Sollen jetzt etwa, wie in den USA, die diplomatischen VertreterInnen Venezuelas des Landes verwiesen werden? Sollen Gesandte Guaidós als Botschafter anerkannt werden? Wie soll dann noch das vorgebliche Ziel einer friedlichen Lösung des Konflikts in Venezuela gefördert werden?

Ignoranz und Zynismus
Zur humanitären Situation in Venezuela gibt sich die Bundesregierung ignorant. Sie betont, dass Hilfe dringend benötigt wird. Wenn es aber darum geht, diese zu leisten, windet sie sich: Maduro lasse keine humanitäre Hilfe ins Land. Allerdings erreichen sehr wohl Hilfslieferungen Venezuela, und diverse UNO-Organisationen sind in dort aktiv. Die Bundesregierung jedoch stellt ihnen die versprochenen 5 Millionen nicht zur Verfügung. Sie instrumentalisiert das Thema der humanitären Hilfe für ihre politischen Ziele.
Zynisch ist der Umgang mit den Wirtschaftssanktionen der USA. Diese verschärfen die Krise in Venezuela seit August 2017. Ende Januar 2019 hat die US-Regierung ein Öl-Embargo verhängt. Gegen ein Land, dessen Einnahmen zu über 90 Prozent vom Erdölexport abhängen! Verheerende soziale Folgen drohen. Diese Gefahr sieht auch der UN-Sonderberichterstatter Idriss Jazairy. Die Bundesregierung aber stellt sich in dieser Hinsicht taub.
Die Bundesregierung hat durch ihre Venezuela-Politik am Rockzipfel der USA dem vorgeblichen Ziel einer friedlichen und demokratischen Lösung der Krise einen Bärendienst erwiesen. Deutschland hätte durchaus eine vermittelnde Rolle spielen können. Diese Chance ist vorerst vertan. Stattdessen hat die Bundesregierung dazu beigetragen, den Konflikt zu verschärfen.

* Der Autor ist für DIE LINKE Abgeordneter des Bundestags und Mitglied des Ausschusses für die Angelegenheiten der EU.

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