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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 06/2019

Tarifabschluss im öffentlichen Dienst der Länder
von Jürgen Senge, Ver.di-Linke NRW

Seit der Aufteilung des alten BAT bzw. MTL bei der Tarifrunde 2006 in den TV-Länder bzw. den TVöD klaffen die Entgelte der Beschäftigen bei den Ländern und denen bei Bund und Kommunen teilweise bis zu 4,5 Prozent auseinander. Unterschiedlich lange Laufzeiten verhindern seitdem ein gemeinsames, abgestimmtes Vorgehen und schwächen Ver.di.
Mit der Forderung einer Erhöhung der Entgelte um 6 Prozent, mindestens aber 200 Euro, sowie 300 Euro mehr für die Pflegekräfte ist Ver.di Ende 2018 in die Tarifverhandlungen für die Beschäftigen der Länder (außer Hessen) gestartet. Weitere qualitative Forderungen konnten sich in der Organisation nicht durchsetzen bzw. wurden nicht flächendeckend diskutiert.

Der Abschluss
Am 2.3.2019 gab es nach mehrstündigen sowie ganztägigen Warnstreiks in der 3.Verhandlungsrunde eine Einigung. Diese sieht im wesentlichen die Erhöhung der Entgelte in drei Stufen bei einer Laufzeit von 33 Monaten vor. Je nach Lesart bedeutet dies neben den ausgehandelten Mindestbeträgen eine durchschnittliche Erhöhung von 2,6 Prozent, bzw. dynamisiert 2,83 Prozent (bezogen auf 12 Monate). Besonders angehoben werden die untersten Entgeltgruppen um, so die Aussage, den öffentlichen Dienst für BerufsanfängerInnen attraktiver zu machen. Ebenfalls erhöht werden die sogenannten Garantiebeträge, also Mindestgewinne, bei Höhergruppierungen. Abhängig von der Entgeltgruppe betragen sie 100 Euro bzw. 180 Euro. Auszubildende und PraktikantInnen erhalten zum 1.1.2019 und zum 1.1.2020 jeweils 50 Euro mehr, außerdem einen Urlaubstag mehr, sie kommen somit, wie alle anderen, auf 30 Tage Jahresurlaub.
Die Tarifeinigung beinhaltet zudem die Aufspaltung der Entgeltgruppe 9 in die Entgeltgruppen 9a und 9b. Als hälftiger Ausgleich der Mehrkosten für die vereinbarten strukturellen Verbesserungen, so das Flugblatt zur Einigung, wird die Jahressonderzahlung für die Jahre 2019–2022 festgeschrieben. Grundlage für die Berechnung der Jahressonderzahlung sind die Entgeltwerte aus dem Jahre 2018.
Für den Bereich der Pflege wurde zusätzlich eine dynamische Zulage von 120 Euro erreicht, und die sog. Angleichungszulage für Lehrkräfte wird zum 1.1.2019 um 105 Euro erhöht. Vereinbart wurde außerdem die Aufnahme von Gesprächen nach Abschluss der Tarifrunde, etwa über die Weiterentwicklung der Entgeltordnung der Lehrkräfte, die Definition von Arbeitsvorgängen in Hinblick auf die Eingruppierung sowie über die Bedingungen in ausbildungsintegrierten Studiengängen.

Bewertung des Ergebnisses
Ver.di spricht in allen Veröffentlichungen von «dem besten Ergebnis seit vielen Jahren». Hervorgehoben wird vor allem die deutliche Anhebung der Stufe 1, die Vereinbarung von Mindestbeträgen als starke soziale Komponente (diese greifen 2019 bis zur Entgeltgruppe 8, 2020 bis zur Entgeltgruppe 7, Stufe 2, und 2021 bis zur Entgeltgruppe 11, Stufe 2) sowie die gesonderte Anhebung der Entgelte für die Pflegekräfte. Dies ist sicherlich richtig. Richtig ist auch, dass das Tarifergebnis mit relativ geringem Aufwand und wenigen Warnstreiks erreicht wurde. Es spiegelt in seiner Höhe nicht den, bis auf einzelne Ausnahmen im Bereich der IT und Justiz, größtenteils schlecht organisierten Bereich der Landesbeschäftigten wieder.
Der Teufel steckt jedoch, wie immer, im Detail. Wahr ist nämlich auch, dass die lange Laufzeit die Streikkasse schont und Frank Werneke als dem designierten Nachfolger von Frank Bsirske eine lange Einarbeitung in die schwierige Gemengelage der Tarifrunden im öffentlichen Dienst erlaubt. Die lange Laufzeit (schon eine Laufzeit von 24 Monaten wurde an der Basis oft mit Murren aufgenommen) führt auch dazu, dass die Beschäftigten «das Streiken» verlernen. Sie birgt zudem die Gefahr, dass es einen Reallohnverlust gibt, wenn die Preissteigerung in den nächsten Jahren deutlich anzieht.
Das Ergebnis wurde zudem mit einem Einfrieren der Jahressonderzahlung erkauft. Für den Bereich der in der IT-Beschäftigten wurde erst zum 1.1.2021 die analoge Anwendung der Entgeltregeln mit den Kommunen vereinbart. Wie die Arbeitgeber der Länder unter diesen Bedingungen qualifiziertes Personal für den IT-Bereich gewinnen wollen, bleibt ihr Geheimnis.
Auch die weitere Aufspaltung der Beschäftigten nach unterschiedlicher Bezahlung für den Bereich der Pflege, der IT und der Beschäftigten in den anderen Dienststellen muss sehr kritisch gesehen werden. Ver.di betreibt eine weitere Aufteilung der Tarifverträge.
Mit Misstrauen muss man zudem der Aufnahme von Gesprächen zur Änderungen der Bestimmungen bei den sog. Arbeitsvorgängen begegnen. Käme es hier zu Änderungen, würde dies eine Herabstufung um 1–2 Entgeltgruppen bedeuten. Solange es nur bei Gesprächen bleibt, ist es ja gut, aber wehe, diese münden in Verhandlungen!
Bedenklich ist auch, dass es gelang, in Gesprächen mit den Landesregierungen für die Beamtinnen und Beamten durchweg eine Erhöhung der Gehälter um die o.g. Prozentpunkte zu erreichen. Für den Bereich der angestellten LehrerInnen gibt es aber immer noch keinen Tarifvertrag. Die Verbesserungen in einzelnen Bereichen wie Sozial- und Erziehungsdienst, Pflege u.a. werden von allen Beschäftigtengruppen bezahlt. Das kann so nicht gewollt sein!
Fazit: Wenn es Ver.di nicht gelingt, durch einen höheren Organisationsgrad für mehr Kampfkraft zu sorgen und Entscheidungen – Mitgliederbefragung schön und gut – im wesentlichen weiter alleine von der Bundestarifkommission und dem Bundesvorstand getroffen werden statt durch die ständige Einbeziehung der betrieblichen Arbeitskampfleitungen vor Ort, wird sich an der strukturellen Schwäche und entsprechenden Abschlüssen nichts ändern.

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