von Sebastian Gerhardt
Es reicht ihnen nicht. Es genügt ihnen nicht, dass der so widersprüchliche wie lebendige Versuch zur Reformierung des Landes DDR am Ende resigniert im bürgerlichen Normalzustand gelandet ist, dass der Beitritt zum Geltungsbereich des Grundgesetzes objektiv das zentrale Ergebnis des politischen Aufbruchs im Herbst ‘89 in der DDR gewesen ist. Staat und Kapital wollen nicht nur gewonnen, sie wollen auch noch Recht gehabt haben. Deshalb der Aufwand zum 9.November.
Dabei mussten drei Stolpersteine geschickt umgangen werden. Erstens ist da das Problem, dass bis in ferne Zukunft von einer Angleichung der Lebensverhältnisse in Ost und West keine Rede sein kann. Zweitens war die deutsche Einheit gerade nicht das Ziel der Protagonisten des Aufbruchs ‘89, sondern markiert umgekehrt das einstweilige Ende ihrer Hoffnungen. Und drittens fällt der Tag des Mauerfalls ausgerechnet auf ein Datum, das die umstandslose Vereinnahmung als Nationalfeiertag nicht zulässt. Anders als die Revolution von 1918 lässt sich der Tag des Novemberpogroms 1938 nicht einfach in den Hintergrund drängen.
Schon vor Jahren hatte die Bundesstiftung für die Aufarbeitung der SED-Diktatur ihre Förderschwerpunkte für die Jahre 2008 bis 2010 vorgestellt. Darin verkündete sie ihre Konzentration auf „Projektvorhaben, die besonders geeignet sind, die epochale historische Bedeutung der friedlichen Revolution in der DDR und der Wiederherstellung der deutschen Einheit zu stärken” Nachdem im Jahr 2004 viele Menschen in Ostdeutschland ihren positiven Bezug auf den Herbst 1989 mit der Wiederaufnahme von Montagsdemonstrationen deutlich gemacht hatten, sollte nun das letzte Jahr der DDR endgültig in die Geschichte des deutschen Nationalstaats zurückgeholt werden.
Mit solchem Vorlauf von mehreren Jahren wurden die Feiern zum Mauerfall weit gründlicher vorbereitet als das Ereignis selbst. Auch wenn man heute gerne so tut, als habe man den Zusammenbruch der Diktatur im Osten schon immer vorhergesehen — im Herbst ‘87 war es wohl anders. Sonst hätte die Bundesregierung damals dem Generalsekretär der SED und Vorsitzenden des Staatsrats der DDR, Erich Honecker, die Ehrenformation der Bundeswehr sicher verweigert. Hat sie aber nicht. Auch den Planungshorizont imperialistischer Mächte sollte man nicht überschätzen. Erst im Nachhinein sind alle schlauer.
Die großen Schwierigkeiten einer offiziösen Geschichtsschreibung in Zeiten wechselnder politischer Konjunkturen kennen wir aus dem „sozialistischen Lager” nur zu gut. Schließlich sollte der Kommunismus — d.h. die jeweilige Linie der Parteiführung — stets als historische Notwendigkeit nachgewiesen werden. Ja nach aktueller Lage war deshalb die Geschichte zu ändern, erschienen und verschwanden Personen auf Fotografien und in historischen Darstellungen. Radio Jerewan gab auf die Frage „Was ist schwerer vorauszusagen, die Vergangenheit oder die Zukunft?” die weise Antwort: „Die Vergangenheit. Unsere Zukunft ist sicher, die Vergangenheit aber ist unvorhersehbar."
Auch in den heutigen Feierlichkeiten fehlt vieles. Vor allem fehlt, was 15 Jahre später zu einer Neuauflage von Montagsdemonstrationen führen konnte: die Erinnerung an einen Moment, als man es denen da oben mal so richtig gezeigt hat. Diese Erfahrung, aber auch die Grenzen und Widersprüche des „Kurzen Herbst der Utopie” haben wir versucht, in einer Ausstellung der Stiftung Haus der Demokratie zugänglich zu machen (www.hausderdemokratie.de/ herbstderutopie).
Darin findet sich auch ein von Renate Hürtgen notierter Rückblick, der ganz neue Perspektiven eröffnet: „Und ick würds wieder so machen, ganz genauso. Und ick würd mich wieder an der falschen Stelle aufräufeln, das heißt ja, an der richtigen, mit dem gleichen Nichteffekt. Ich würde nichts anders machen, nee. Aber ick wär doch am Ende schlauer” (Frau K., Arbeiterin in einem Ostberliner Metallbetrieb, ‘89 Mitinitiatorin einer unabhängigen Betriebsgruppe).
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