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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 12/2009
Das neue Schutzgesetz für Berlusconi, das Prozesse pro Instanz auf zwei Jahre verkürzen soll, gefährdet auch den Prozess gegen ThyssenKrupp.
von Angela Huemer

Am 6.Dezember ist es zwei Jahre her, als einer der schlimmsten tödlichen Arbeitsunfälle ganz Italien und halb Deutschland aufrüttelte: In der Turiner Niederlassung des deutschen Großkonzerns ThyssenKrupp brach in der Nacht zum 6.Dezember ein Brand aus. Der Grund war ein Rohrbruch, im Kaltwalzwerk lief heißes Öl aus, entzündete sich und setzte binnen kurzem die Abteilung „Linea 5” in Brand. Ein Arbeiter starb noch am

Unfallsort, sechs starben später an schweren Verbrennungen. Wenige Tage vorher hatte der Vorstandsvorsitzende von ThyssenKrupp stolz vom erfolgreichsten Geschäftsjahr seit Bestehen des Unternehmens berichtet, 11% Umsatzsteigerung konnte er verkünden.

Der schwere Brandunfall brachte zu Tage, wie verantwortungslos das Unternehmen seine Niederlassungen in Italien betrieb. Im Juli 2007 war entschieden worden, das Werk in Turin zu schließen und die gesamte Produktion nach Terni in Umbrien zu verlegen. Wie später die Arbeiter berichteten, waren die Sicherheitsstandards in Turin schon lange nicht mehr eingehalten worden. Die Notruftelefone funktionierten nicht, drei der fünf Feuerlöscher waren leer. Defekte Rohre -- ein solches war der Grund für den Brand -- wurden nur notdürftig repariert. Noch dazu arbeitete man in Turin schon seit Monaten in 12-Stunden-Schichten, da es im Werk in Umbrien Schwierigkeiten gab, die Aufträge fristgerecht fertig zu stellen.
In den Tagen nach dem Unfall gab es Protestdemonstrationen, an denen sich mehr als 30.000 Menschen beteiligten.

Im Januar 2008 leitete die Turiner Staatsanwaltschaft ein Verfahren wegen fahrlässiger Tötung und Körperverletzung gegen die Verantwortlichen der Unternehmensleitung ein, u.a. gegen den Vorstandsvorsitzenden von ThyssenKrupp Italien, Harald Espenhahn. Der Hauptvorwurf: Espenhahn hatte, wie er Anfang November bei seiner Aussage vor Gericht bestätigte, die Gelder für geplante Reparatur- und Sicherungsarbeiten für ein anderes Projekt verwendet bzw. angesichts der bevorstehenden Schließung des Werks in Turin nicht mehr wirklich für notwendig erachtet.

Im Mai 2008 wurde der Prozess eröffnet.
Einen Monat zuvor einigte sich der Konzern mit den Opfern auf eine Entschädigungssumme von 13 Millionen Euro. Diese verzichteten dafür, als Nebenkläger im Prozess aufzutreten.

ThyssenKrupp bei den Filmfestspielen Venedig

Wie sehr der schwere Arbeitsunfall Italien aufgerüttelt hat, zeigte sich auch bei den Filmfestspielen in Venedig im Sommer 2008. Die Regisseure des Films ThyssenKrupp Blues, Paolo Balla und Monica Repetto, hatten schon vor dem Unfall den Arbeiter Carlo porträtiert, einen jungen Mann aus Kalabrien, der seit mehreren Jahren in Turin lebte und arbeitete. Es sollte ein Film über den normalen Alltag von Arbeitern heute werden. Doch es wurde ein anderer Film, denn sieben Kollegen von Carlo starben. Er selbst überlebte an diesem Tage nur, weil seine Schicht am Nachmittag begann. Nach einigem Überlegen entschieden sich die Regisseure, den Film unter den geänderten Vorzeichen fertigzustellen.

Ein anderer Film, La fabbrica dei tedeschi, „Die Fabrik der Deutschen”, des Spielfilmregisseurs Mimmo Calopresti, konzentriert sich auf das Unglück selbst. Im ersten Teil des Films nehmen professionelle Schauspieler die Rollen der Menschen ein, deren Geschichten wir im zweiten, dokumentarischen Teil von ihnen selbst hören. Beide Filme sind zumindest in Teilen im Internet zu sehen (unter Google-Videosuche).
Nun droht dem Prozess Gefahr: Als Anfang Oktober das Immunitätsgesetz für die vier höchsten Staatsämter gekippt wurde, zimmerten Berlusconis Juristen in Windeseile einen neuen Gesetzesvorschlag mit dem Ziel, die Prozessdauer für Verbrechen, die mit wenigen Jahren Haft geahndet werden, zu verkürzen.

Die Voruntersuchungen zum Prozess hatten schon im Januar 2008 begonnen, seit dem Prozessbeginn gab es bereits 41 Gerichtsverhandlungen, in denen 101 Zeugen gehört wurden. Wenn nun den Angeklagten -- ausgenommen dem Hauptangeklagten Espenhahn -- mildernde Umstände zugestanden werden (u.a. wegen der Entschädigungszahlungen), besteht die Gefahr, dass die Anklagen im Mai 2010 verjähren, wenn Berlusconi sein Gesetz über den kurzen Prozess durchboxen kann.

Der einzige Überlebende, Antonio Boccuzzi, reagierte auf diese drohende Gefahr wütend: „Schon wieder müssen die Allerschwächsten dafür zahlen, dass ein einzelner Mann (Berlusconi) gerettet wird. In den Prozessen Eternit und Thyssen geht es um Tote und um die Angehörigen der Opfer, die darauf warten, dass Recht gesprochen wird."

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