Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 02/2010

von Tim Laumeyer
Die sächsische Landeshauptstadt Dresden darf sich seit Jahren eines traurigen Rekords rühmen: Europas größter Naziaufmarsch kann Jahr für Jahr durch diese Stadt marschieren, begleitet und beschützt von Tausenden Polizisten. 2009 beteiligten sich 6500 Neonazis aus dem In- und Ausland, während die Polizei die antifaschistische Demonstration angriff und nicht zu Ende laufen ließ.

In diesem Jahr soll alles anders werden, ein breites Bündnis aus Gewerkschaften, Parteien, Jugendorganisationen, Studentenverbänden und autonomen Antifa-Gruppen mobilisiert zu Massenblockaden, um den Naziaufmarsch wirksam verhindern zu können. Der Dresdner Hauptbahnhof - voraussichtlicher Treffpunkt der Nazis - soll von Tausenden Menschen umzingelt und blockiert werden. Die Erfahrungen mit Blockaden von Naziaufmärschen in Köln, Leipzig, Jena und der Kampagne «Block G8» während des G8-Gipfels in Heiligendamm 2007 stehen hierbei Pate.

Selbstverständlich gab es auch in den letzten Jahren immer wieder antifaschistische Proteste, allerdings getrennt in ein autonomes und einem bürgerliche Lager. Während die zivilgesellschaftlichen Gruppen ihren Protest auf Orte weit ab vom Geschehen, bei schlechter Musik und Bratwurst beschränkten, beschimpften gerade sächsische Antifa-Gruppen pauschal die Dresdner Bevölkerung und potenzielle Bündnispartner als faschistisch und setzten diese mit den demonstrierenden Nazis gleich.

Was ist los in Sachsen?
Sachsen ist eines der Bundesländer mit einer besonders konservativen CDU-Regierung. Politischer Stichwortgeber in Sachen Rechtsextremismus und Antifa ist das Hannah-Arendt-Institut in Dresden, das mit seiner «Extremismustheorie» seit Jahren die Gleichsetzung von Linken und Rechten forcieren. Sachsen hat eine große und militante Naziszene, die im Jugendkulturbereich stark verankert ist, die NPD sitzt im sächsischen Landtag und hetzt von dort gegen alles, was irgendwie links erscheint. Hinzu kommt, dass die offiziellen Gedenkveranstaltungen zum Jahrestag der Bombardierung Dresdens als Opfermythos der Deutschen herhalten muss. Von Tätern will man bei der CDU und anderen Gruppen nichts mehr wissen, alle waren irgendwie Opfer.

Auf dieser Logik versuchen die Nazis ideologisch aufzubauen und das Gedenken für sich zu vereinnahmen. Die Bombardierung wird als «Holocaust» aufgebauscht und soll der Opferstilisierung aller Deutschen gegenüber den Alliierten dienen.
Die Antifaschistische Linke Berlin (ALB) beschloss daher im Jahre 2008, ein neues, breites zivilgesellschaftliches Bündnis unter Beteiligung autonomer Antifa-Gruppen und der linksradikalen Szene zu initiieren, um den Aufmarsch möglichst zu verhindern. Während die Proteste 2009 noch getrennt verliefen, zeichnet sich für 2010 ein gemeinsames Agieren ab. Unter dem Aufruf «Dresden Nazifrei - gemeinsam blockieren» haben sich bisher 486 Gruppen und knapp 2000 Einzelpersonen gesetzt.

Damit wäre der Weg frei für eine erfolgreiche Blockade, allerdings versucht die politische Rechte mit zahlreichen Störmanövern, das Bündnis zu spalten, zu kriminalisieren und mit den Nazis gleich zu setzen. Am 19.Januar verfügte die Staatsanwaltschaft Dresden Hausdurchsuchungen in Berlin und Dresden und beschlagnahmte das Bündnisplakat sowie Aufrufe und Flyer. Die Webseite vom Bündnis, www.dresden-nazifrei.de, wurde abgeschaltet, der Vorwurf lautete: Aufruf zu Straftaten. Gemeint war der Satz «Gemeinsam blockieren». Einige Medienvertreter, vor allem in Sachsen, sprangen auf den Zug auf und wünschten sich ein Verbot sowohl des Naziaufmarschs als auch der antifaschistischen Blockaden. Die Rechnung geht allerdings bisher nicht auf, eine breite Solidarisierungswelle war die Folge des Kriminalisierungsversuchs. Die Seite www.dresden-nazifrei.com konnte schnell als Ersatzseite aufgebaut werden, das inkriminierte Plakat wurde 30000mal nachgedruckt und am 27.1. bundesweit plakatiert. Aus über 50 Städten wird es Busse nach Dresden geben.

Die von der Dresdner Oberbürgermeisterin Orosz (CDU) initiierte Menschenkette rund um die Dresdner Frauenkirche, um diese vor den Nazis symbolisch zu «schützen», spielt in der öffentlichen Wahrnehmung trotz kräftiger Unterstützung der Bild-Zeitung kaum noch eine Rolle. Die zentrale politische Frage in Dresden lautet: «Ist die Blockade eines Naziaufmarschs legitim?» Ja das ist sie, und diese Form des politischen Protests lässt sich das breite Bündnis auch nicht mehr nehmen.

Tim Laumeyer ist Mitglied der Antifaschistischen Linke Berlin (ALB).

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