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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 02/2010

Die Kunst bleibt politisch
von Trautl Brandstaller
Alfred Hrdlicka, gestorben am 5.12.2009, war einer der bedeutendsten Bildhauer des 20. Jahrhunderts. Er war daneben auch Zeichner, Maler, Grafiker und Schriftsteller. «Ein erratischer Block, der ihn an die Figuren der Ersten Republik, an die große Zeit des Roten Wien erinnert», so hat Elias Canetti einmal Alfred Hrdlicka beschrieben.
Ein erratischer Block, der aus einer anderen, künstlerisch und politisch explosiven Zeit in den modischen Kulturbetrieb von heute hineinragt, ein erratischer Block, der sich den ästhetischen und politischen Strömungen des ausgehenden 20.Jahrhunderts und des beginnenden 21.Jahrhunderts entgegenstellt.

Geboren in einem Arbeiterbezirk von Wien, dort wo die Kommunisten eine kleine politische Randgruppe bildeten, an den Rand gedrängt von Österreichs damals marxistisch inspirierten Sozialisten, hat Hrdlicka politische Konflikte und politische Verfolgung von früh auf kennen gelernt. Polemisches Talent und Widersetzlichkeit gegen politische und ästhetische «Trends» sind Hrdlickas Markenzeichen von Anfang an.
Ernst Fischer, Österreichs prominentester kommunistischer Intellektueller, 1945 kurzfristig Unterrichtsminister, erkennt früh sein Talent und empfiehlt dem Vater, seinen Sohn auf die Akademie der bildenden Künste zu schicken. Dort lernt Hrdlicka Österreichs führende Maler und Bildhauer kennen – die, die sich mit dem Nationalsozialismus arrangiert hatten, wie Herbert Boeckl, aber auch die, die der Nazionalsozialismus in die Emigration getrieben hatte, wie Fritz Wotruba und Oskar Kokoschka.
In den kulturpolitischen Auseinandersetzungen, die das Wien der Nachkriegszeit prägen, bezieht Hrdlicka kämpferisch Stellung für den Realismus und gegen die Abstrakten, für die Fortführung der Traditionen des deutschen Expressionismus und gegen eine entpolitisierte Kunst des informel. Im «Kalten Krieg» der Nachkriegskünstler gilt Hrdlicka bald als «der Russ», der sich weder mit der Wiener Schule des phantastischen Realismus, noch mit den Neo-Abstrakten rund um die Wiener Galerie nächst St.Stephan anfreundet.
1964 stellt er bei der Biennale in Venedig aus: inmitten des abstrakten Mainstreams eine Kreuzigungsgruppe von expressivem Realismus – thematisch wie stilistisch ein Schlag ins Gesicht derer, die ihn als «sozialistischen Realisten» abstempeln wollten.

Hrdlickas Kunst sucht die Öffentlichkeit. Und Hrdlicka sucht die Provokation. Schon sein erstes Denkmal im öffentlichen Raum löst 1963 einen Skandal aus: Der Kopf des zweimaligen Staatsgründers Karl Renner, umgeben von stählernen Stäben, platziert direkt neben dem Parlament auf der Wiener Ringstraße, ist den Sozialdemokraten zu wenig heldisch, den Kommunisten zu freundlich geraten.

25 Jahre später, im Jahr 1988 – 50 Jahre nach dem Anschluss in Österreich zum «Ge- und Bedenkjahr» erklärt, wird das Denkmal gegen Krieg und Faschismus auf dem Albertinaplatz hinter der Wiener Staatsoper fast zur Staatsaffäre. Die größte Zeitung des Landes, die Kronenzeitung, will es, wenn schon nicht zur Gänze verhindern, so doch an einen möglichst versteckten Ort verbannen. Minister und Bürgermeister geraten ins Trudeln, Fluten von Leserbriefen überschwemmen die Zeitungen, doch Hrdlicka pocht auf seinen Vertrag. Inzwischen haben sich die Stürme gelegt. Das Denkmal ist fixer Bestandteil aller Wien-Besichtigungstouren.
Hauptangriffspunkt in allen öffentlichen Auseinandersetzungen ist Hrdlickas angeblich ungeklärtes Verhältnis zum Kommunismus.

Aus der KPÖ ist er 1956 ausgetreten. «Der Sozialismus ist eine verlorene Sache», bemerkte er resignierend in einem Interview und ergänzte, dass er nicht zufällig nie einen Zyklus über die russische Revolution gemacht habe. Und als er im Zuge seines Zyklus Glaubenskriege sich 1998 mit Dostojewskis Großinquisitor beschäftigt, kann er nicht umhin, sich die Frage zu stellen: «Was hätte Stalin, der ‹Großinquisitor des Realen Sozialismus›, zu Karl Marx gesagt, hätte dieser ihn in Moskau heimgesucht?»

Wer Alfred Hrdlicka nur als Provokateur und Polemiker sieht, verkennt die gründiche Beschäftigung, die aufwendigen intellektuellen Vorarbeiten, die seinem zeichnerischen und bildnerischen Schaffen vorausgehen. Als Hrdlicka 1972 von der Evangelischen Kirche in Berlin den Auftrg zur Gestaltung des Gemeindezentrums Plötzensee erhält, beginnt er sich mit der Geschichte des Widerstands gegen die NS-Diktatur systematisch zu beschäftigen; er studiert nicht nur die gesamte zeitgeschichtliche Literatur, er forscht nach den tieferen kuturgeschichtlichen Wurzeln, den mentalen Traditionen, die den Nationalsozialismus ermöglichten. Resultat dieser Arbeit ist der Radierungszyklus Wie ein Totentanz – Die Ereignisse des 20.Juli 1944.

Die 53 Radierungen des Zyklus hat Alfred Hrdlicka mit Kommentaren versehen. So schreibt er zum Blatt «Paramilitärische Paralyse der Weimarer Republik»:

«Der Zyklus zum 20.Juli ist bei allem Respekt für jene Männer, die es wagten, sich gegen ein barbarisches Regime zu erheben, nicht als verspätete Heldenehrung gedacht, er ist vielmehr eine Warnung vor seinen Leitbildern. Selbst Stauffenberg und seine Freunde waren lange Zeit der Ansicht, das deutsche Wesen werde an der militärischen Disziplin genesen.»

Am Ende seines Zyklus zum 20.Juli 1944 zieht er den Bogen vom Nationalsozialismus zur damaligen Militärdiktatur in Chile, wo ein als Kriegsverbrecher gesuchter SS-Offizier, Walter Rauff, offiziell zum Mitarbeiter des chilenischen Geheimdienstes benannt wurde.

Die feine Witterung für alles Totalitäre, den Sensus für politische Entwicklungen, die das Wölfische, die Bestie im Mernschen wecken, hat sich Alfred Hrdlicka bis zum Schluss erhalten. Die Auseinandersetzung mit aktueller Politik hat ihn nie losgelassen. «Mir fällt nichts ein, mir fällt was auf.»

Manche Jünger des Zeitgeistes haben ihn deshalb für politisch starrköpfig und ästhetisch antiquiert gehalten. Hrdlicka hat es jedoch nur abgelehnt, mit den Wölfen zu heulen. Politisch hat er am «linken Projekt» festgehalten, er war nicht bereit, mit dem Zusammenbruch des Kommunismus auch die Utopie einer freien, gerechten, menschlichen Gesellschaft aufzugeben. Ästhetisch hielt er daran fest, dass sich alle Kunst um den Menschen dreht, den ewig Geschundenen, Leidenden, Schuldhaften, in Wahn, Gewalt und Raserei Verstrickten. Abel und Kain, Opfer und Täter. Die Bibel blieb eins seiner liebsten Bücher.

Trautl Brandstaller ist seit 1975 am ORF tätig.
Sie erstellte u.a. Dokumentationen zum Thema Minderheiten und Migration, «Juden in Wien heute», «Wien–Babylon», «Islam in Österreich».

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