von Dirk Vogelskamp
Am 7.Januar 2005 verbrannte Oury Jalloh, ein schwarzer Asylsuchender, im Gewahrsam der Dessauer Polizei bei lebendigem Leib. Er war an Händen und Füßen auf einer feuerfesten Matratze fixiert. Noch am selben Tag vermeldete die zuständige Polizei, es sei alles mit rechten Dingen zugegangen: Der Arrestierte habe sich selbst entzündet, die Beamten hätten unverzüglich reagiert.
Damit war die staatsanwaltliche Ermittlungslinie festgelegt. Die black community und die «Initiative zum Gedenken an Oury Jalloh» mobilisierte die Öffentlichkeit, sonst wären die Ermittlungen vermutlich eingestellt worden - wie so oft bei Polizeigewalt gegen Migranten und Flüchtlinge. Erst zwei Jahre später, am 27.März 2007, wurde am Landgericht Dessau ein Verfahren gegen zwei Polizeibamte, darunter den Dienstgruppenleiter, eröffnet. Die Anklage lautete auf Körperverletzung mit Todesfolge im Amt bzw. fahrlässige Tötung infolge unterlassener Hilfeleistung. In der Folge bestimmte allein die Polizei den Verlauf des 22 Monate dauernden Prozesses, am Ende gab es einen Freispruch.
Der vorsitzende Richter Manfred Steinhoff vermochte keine strafbare Mitschuld am Tod Oury Jallohs zu erkennen. In seiner mündlichen Urteilsbegründung am 6.Dezember 2008 rügte er jedoch nicht nur die mangelhaften Ermittlungen und die schlampigen Sicherheitsvorkehrungen im Dessauer Polizeirevier, er kritisierte auch scharf das Aussageverhalten der Polizeizeugen, die sich in Widersprüchen, Erinnerungslücken und Lügen verstrickt hatten. Die Polizeibeamten hätten eine Aufklärung verunmöglicht, so der vorsitzende Richter, das Ganze habe mit Rechtsstaat nichts mehr zu tun und das Verfahren sei gescheitert. «Wir hatten nicht die Chance auf ein rechtstaatliches Verfahren.»
Im Prozess war klar geworden, dass die gesamte Dessauer Polizeibehörde schuldig war, dass sie den Tod Oury Jallohs strukturell mit herbeigeführt hat: durch Nachlässigkeit, Inkompetenz, Fahrlässigkeit, Koordinations- und Leitungsschwäche, Arroganz und Vorurteile.
In der am 2.März 2009 veröffentlichten schriftlichen Urteilsbegründung ist jedoch davon keine Rede mehr. Vielmehr vermeint man nun, den Tathergang sicher feststellen zu können. Die Polizeizeugen - ausgenommen die polizeilichen Belastungszeugen - erscheinen nun glaubwürdig. Anhand ihrer Darstellung ist die Dessauer Polizei samt der beiden Angeklagten unschuldig. Eine Verkehrung des Prozessverlaufs.
Die lückenhafte und widersprüchliche Beweisführung in der Rekonstruktion des Geschehens durch das Dessauer Landgericht hielt jedoch der Revision des Bundesgerichtshofes (BGH) nicht stand, dieser hob am 7.Januar 2010 das Urteil auf. Es sei nicht nachvollziehbar, so der BGH, wie sich der Brand der mit einem feuerfesten Bezug umhüllten Matratze im Einzelnen entwickelt habe und wie viel Zeit zum Eingreifen den Beamten zwischen dem ersten Rauchalarm und dem tödlichen Inhalationsschock Oury Jallohs tatsächlich geblieben sei. Zudem beanstandete er die Annahme, der Dienstgruppenleiter hätte sich pflichtgemäß verhalten, obwohl er das Alarmsignal zweimal ignorierte, anschließend ein Telefongespräch führte und vergaß, die Fußfesselschlüssel mitzunehmen, sodass er auf dem Weg zur Zelle noch einmal habe umkehren müssen. Der Tathergang muss nun vor dem Landgericht Magdeburg neu verhandelt werden.
Gewiss, das BGH-Urteil ist für alle, die seit fünf Jahren beharrlich auf Aufklärung der Todesumstände drängen, eine Genugtuung. Was aber ist von einem neuen Verfahren zu erwarten? Wenn nicht einer der Polizeizeugen «umfällt», wie es der Vorsitzende Richter Manfred Steinhoff einmal ausdrückte, wird sich das gesamtpolizeilich verdunkelte Tatgeschehen kaum erhellen lassen, selbst wenn der Dienstgruppenleiter wegen pflichtwidrigem Verhaltens und unterlassener Hilfeleistung strafrechtlich zur Verantwortung gezogen würde.
Denn es bleiben entscheidende Fragen offen: Wie gelangte das Feuerzeug, mit dem Oury Jalloh die Matratze selbst entzündet haben soll, in die Zelle? Wieso taucht ein angekokelter Rest des Feuerzeugs erst in der zweiten Asservatenliste auf? Warum fehlen entscheidende Passagen des Videobands über die Spurensicherung? Wer brach Oury Jallohs Nasenbein und verletzte sein Mittelohr, bevor er verbrannte?
Die entscheidende Frage, die gerichtlich bislang ausgeblendet wurde, ist jedoch: Warum geriet er überhaupt in die Hände der Staatsgewalt und anschließend in den tödlichen Gewahrsam? Das ist wohl polizeiliche Alltagspraxis, die scheinbar nicht mehr hinterfragt zu werden braucht - obwohl es der Beginn tödlich endender Gewaltverhältnisse war. Ein stark angetrunkener Mann, später wird man über 3 Promille Blutalkohol bei ihm feststellen, wird wegen Belästigung - obwohl er niemandem Schaden zugefügt hatte - gewaltsam mit angelegten Hand- und Fußfesseln auf das Revier gebracht, um seine Identität festzustellen. Dort ist er den Beamten bereits bekannt. Er wird untersucht, gegen seinen Willen nimmt man ihm Blut ab. Wider besseren Wissens wird ihm ärztlich Gewahrsamstauglichkeit attestiert. Man bugsiert ihn gewaltsam in den Zellentrakt, fesselt ihn an die Matratze und überlässt ihn, nur unterbrochen von unregelmäßigen Kontrollen sich selbst.
Warum musste er das über sich ergehen lassen? Nachdem seine Identität geklärt und er medizinisch versorgt war, hätte man ihn, menschenrechtlich und rechtstaatlich allein angemessen, nach Hause schicken können. Aber nein, er ist ein schwarzer Flüchtling und daher potenziell kriminell, auch wenn ihm keine strafbare Handlung vorgeworfen werden kann. Es führt ein direkter Weg vom institutionellen Rassismus der Polizei in den Zellentrakt, in dem Oury Jalloh schließlich verbrannte.
Der Autor arbeitet für das Komitee für Grundrechte und Demokratie.
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