Deutschland ist seit geraumer Zeit ein Steuerparadies für Kapitalbesitzer und andere Vermögende. Dennoch streitet die derzeitige Koalition darüber, ob sie trotz selbst verschuldeter Haushaltslöcher weitere Steuererleichterungen gleich beschließen oder auf eine günstigere Konjunktur hoffen soll, damit die bittere Pille leichter verdaut wird.
In Deutschland sind die Steuern der Wohlhabenden längst nicht so hoch, wie gern behauptet wird. Die sehr Vermögenden haben enorme Gestaltungsräume bei der Steuerfrisierung. Dank der schlechten Personalausstattung der Finanzämter und politisch gewollter Bevorzugung laufen vermögende Steuerhinterzieher in diesem Land kaum in Gefahr, kontrolliert zu werden. Würden die Reichen angemessen besteuert und die Eintreibung dieser Steuern ernsthaft betrieben, wäre die finanzielle Ausstattung der öffentlichen Haushalte kein Problem.
Für die Normalverdiener ist die BRD tatsächlich ein Hochsteuerland. Im Unterschied zu den Vermögenden haben die Lohnsteuerzahler, die jeden Cent sofort vom Gehalt abgezogen bekommen, kaum Möglichkeiten für Steuertricksereien. Die Erhöhung der Mehrwertsteuer, die von der Großen Koalition beschlossen wurde, belastet sie zusätzlich, das sie ihre gesamten Einkünfte für Güter des täglichen Lebens ausgeben müssen. Sie treffen auch die ständig steigenden kommunalen Abgaben (Müll, Wasser), die merklich angehobenen Zuzahlungen im Gesundheitswesen, die Fahrpreiserhöhungen im öffentlichen Verkehr und die anhaltend hohen Lohnsteuern. Die Verbrauchs- und Lohnsteuern, die vor allem von den unteren zwei Dritteln der Gesellschaft entrichtet werden, machen über 75% des Gesamtsteueraufkommens aus.
Michael Schlecht, bis vor kurzem Chefvolkswirt der Gewerkschaft Ver.di, schätzt, dass durch diese Maßnahmen den Unternehmen und Besserverdienenden in diesem Land rund 500 Mrd. Euro geschenkt wurden. Nach Angaben der EU zahlen in fast allen EU-Staaten Firmen und Reiche mehr Steuern als in Deutschland. Würden in Deutschland Unternehmen und Vermögende so besteuert wie im Schnitt der OECD Länder, kämen 75 Mrd Euro mehr in die Staatskassen.
Steuervermeidung
Während Arbeitern und Angestellten die Steuer sofort vom Lohn einbehalten wird, haben Millionäre und Unternehmen die Möglichkeit, sich künstlich arm zu rechnen. Zu diesem Zweck gibt es in Deutschland eine richtig gehende Steuervermeidungsindustrie. Diese Branche arbeitet effizient, ohne großes Aufsehen, sie floriert und ist ganz legal. Seminare zur «internationalen Steuergestaltung» lassen sich sogar steuerlich als Fortbildung absetzen.
Es sind keine Peanuts, die dem Fiskus damit verloren gehen. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hat errechnet, dass zwischen den nachgewiesenen Profiten der Personen- und Kapitalgesellschaften und den steuerlich erfassten Gewinnen eine Lücke von 100 Mrd. Euro klafft. Dies deute auf Steuervergünstigungen und Gestaltungsmöglichkeiten hin, mit denen die Unternehmen ihre steuerpflichtigen Gewinne herunterrechnen oder ins Ausland verlagern, schreibt das DIW.
Besonders viele Möglichkeiten der «Steuergestaltung» haben grenzüberschreitend tätige Unternehmen. Internationale Konzerne unterhalten ganze Abteilungen dafür. Sie schieben ihre Einnahmen so zwischen den einzelnen Ländern hin und her, bis die Gewinne ganz zufällig da anfallen, wo der Steuersatz am niedrigsten ist. Dafür manipulieren sie zum Beispiel Preise für Lieferungen zwischen den einzelnen Konzerntöchtern, so dass im Niedrigsteuerland scheinbar stets hohe Einnahmen und im Hochsteuerland hohe Kosten anfallen. Oder sie verschulden sich bei konzerneigenen Finanzierungsgesellschaften in Steueroasen und setzen die Zinsen dafür zu Hause von der Steuer ab.
Ein anderes Instrument der Steuervermeidung sind sog. steuerliche «Organschaften». Das sind Zusammenschlüsse zum einzigen Zweck, Gewinne und Verluste gegeneinander aufzurechnen, damit fürs Finanzamt möglichst wenig übrig bleibt. Die Folgen solcher Tricksereien sind seit 2002 in Schwäbisch Hall zu besichtigen. Die seit vielen Jahren Rekordprofite einstreichende Bausparkasse Schwäbisch Hall ist mit der chronisch defizitären DZ Bank in Frankfurt mittels steuerlicher Organschaft verbunden. Seither verrechnet die Bausparkasse ihre Profite mit den Verlusten der DZ Bank. Dafür schaut die Stadt Schwäbisch Hall in die Röhre. Ihre Einnahmen aus der Gewerbesteuer fielen von 66,7 Mio. Euro 2001 auf 15 Mio. im Jahr 2002.
Alle Steuerparadiese der Welt
Peer Steinbrück, der Finanzminister der Großen Koalition, machte sich durch starke Sprüche in der Öffentlichkeit als aufrechter Kämpfer gegen Steuerflucht einen Namen. Umso verblüffender ist, dass Peer Steinbrück kaum etwas gegen deutsche Banken tat, die systematisch die Steuerflucht organisieren.
Nach Informationen der Zeit unterhalten hiesige Finanzinstitute über ihre Tochterfirmen in der Schweiz oder in Lichtenstein Geschäftsbeziehungen zu mehr als 1600 Stiftungen und und Trusts in fast allen Steuerparadiesen der Welt. Zudem besitzen sie zahllose Tochtergesellschaften, Beteiligungen oder sonstige Rechtseinheiten in Offshorezentren. «Die meisten Geschäftsaktivitäten unterhalten die Deutsche Bank und - mit großem Abstand - Commerzbank und Sal. Oppenheim», zitiert Die Zeit einen internen Vermerk des Bundesfinanzministeriums.
Die teilweise verstaatlichte Commerzbank unterhält zusammen mit der Dresdner Bank 329 Zweckgesellschaften und Spezialfonds in Finanzoasen wie Jersey, den Cayman-Inseln, den Bermudas, Mauritius, Luxemburg, Liechtenstein oder in der Schweiz. Als die alte Bundesregierung vom grünen MdB Gerhard Schick auf diesen Umstand hingewiesen wurde, reagierte sie hinhaltend. Maßnahmen wurden keine getroffen.
Offenbar sind auch sämtliche Landesbanken in Steueroasen tätig sind. Redakteure der ARD-Sendung Monitor berichteten, in der britischen Steueroase Jersey seien die größten deutschen Landesbanken aktiv: West LB, Bayrische Landesbank, HSH Nordbank und LBBW. Auch hier ist nicht bekannt, dass eine der betroffenen Landesregierungen dagegen etwas unternommen hätte.
70 Mrd. Euro mehr
Es ist nicht nur so, dass die verschiedenen Bundesregierungen nichts gegen Steuerhinterziehung tun. Es spricht sogar vieles dafür, dass sie in ihr insgeheim ein Instrument der Wirtschaftsförderung sehen.
Nach Recherchen des Spiegel haben hessische Spitzenbeamte im Jahr 2001 in Absprache mit der Regierung Koch rund 50 mit Bankverfahren beschäftige Steuerfahnder an die Kette gelegt, oder gar mit äußerst fragwürdigen Methoden aus dem Amt gedrängt. Hessen ist kein Sonderfall. Monitor-Redakteur Kim Otto weiß zu berichten: «Wir haben eine geheime Anweisung aus Mecklenburg-Vorpommern gefunden. Da steht drin, Steuerpflichtige seien möglichst wenig zu behelligen.»
Nach übereinstimmenden Schätzungen von Experten fehlen in der BRD rund 3000 Steuerfahnder. Dabei ist bekannt, dass sich die Einstellung von Steuerfahndern für den Staat rentieren würde: Inklusive Pensionsrückstellungen kostet ein Steuerfahnder 60.000 bis 80.000 Euro pro Jahr. Bekanntlich holt er pro Jahr aber 1,5 Mio Euro herein. Dennoch, oder gerade deshalb, hintertreiben die für die Finanzämter zuständigen Landesregierungen nach wie vor die Einstellung zusätzlicher Steuerfahnder.
Die Journalisten Adamek und Otto stießen bei den Nachforschen für ihr neues Buch auf äußerst merkwürdige Praktiken in deutschen Finanzämtern. Amtsleiter würden wegen der Fülle der zu bearbeitenden Fälle ihren Mitarbeitern oftmals sog. «grüne Wochen» verordnen, in denen ungeprüft alle Steuererklärungen durchgewunken würden. Auch würden einzelne Beamte «von oben» angehalten, bei bestimmten Unternehmen «die Sonnenbrille aufzusetzen». Da komme es schon mal vor, dass ein Urlaub in Thailand, der Bau von Swimmingpools oder Hochzeitskleider als «Betriebsausgaben» durchgehen.
Geheime Berichte aus Steuerverwaltungen gehen davon aus, dass der Staat heute 70 Mrd. Euro mehr in den Kassen hätte, wenn die Steuern, die heute offiziell gelten, tatsächlich auch von den Reichen und Selbstständigen eingetrieben würden.
Transaktionssteuer
Die staatlichen Finanzspritzen für angeschlagene Geldhäuser haben die Staatsschulden allein im vergangenen Jahr um 53,5 Mrd. Euro in die Höhe getrieben. Seltsamerweise ist es überhaupt kein Thema mehr, dass die Banken diese Schuld begleichen müssen. Es wäre aber nur recht und billig, sie zur Kasse zu bitten. Als die Finanzkrise auf ihrem Höhepunkt war, gaben sich Politiker und Experten sehr viel härter: Die Banken, die Zocker, die Verursacher milliardenschwerer Rettungsaktionen sollten finanziell am großen Aufräumen beteiligt werden. Lasten fair verteilen - das war vor der Wahl. Jetzt ist das Thema offiziell beerdigt.
Seit langem besteht die Forderung nach einer Finanz-Transaktionssteuer. Das ist eine Ministeuer von gerade mal 0,05% auf jede Finanztransaktion. Der Wiener Ökonom Schulmeister hat für die wichtigsten Finanzplätze Europas berechnet, was sie an zusätzlichen Einnahmen bringen könnte. In Deutschland werden im Jahr satte 163 Billionen Euro an den Börsen umgesetzt. Eine Ministeuer von gerade mal 0,05% würde dem Staat 27 Milliarden Euro bringen - und das Jahr für Jahr.
Und sie hätte noch einen Effekt: Eine Finanztransaktionssteuer würde ausschließlich sehr kurzfristige spekulative Geschäfte belasten. Konkretes Beispiel: Jemand erwartet, dass der Ölpreis in den nächsten Minuten steigt, kauft für 10 Mio. Dollar Ölkontrakte und verkauft sie nach ein paar Minuten wieder. Und das macht er mehrmals am Tag. Eine Steuer auf Finanztransaktionen würde das Zocken im Minutentakt weniger attraktiv machen.
Die Einführung einer solchen Steuer wäre technisch überhaupt kein Problem, denn sie wäre so etwas wie eine Kommission. Die Börse kassiert ja jetzt auch schon eine minimale Kommission für jede Transaktion. Es müsste lediglich das Computerprogramm so ergänzt werden, dass ein Betrag von 0,05% auf ein Staatskonto gebucht würde. Das kann man in sechs Wochen einführen, sagt Schulmeister.
Die Bundesregierung und die im Unternehmersold stehenden «Experten» verlieren darüber kein Wort.
Gerechtigkeit gibt es nicht geschenkt
In einem Monitor-Bericht hat ein Steuerfahnder aus Bayern gesagt: Das Geld liegt auf der Straße, es treibt nur keiner die Steuermillionen ein. Klar ist, dass die öffentliche Verschuldung kein Thema mehr wäre, wenn die Privilegien der Kapital- und Machteliten in diesem Lande zugunsten der Allgemeinheit beschnitten würden. Es ist keineswegs so, dass es keine Alternative zum brutalen Sparprogramm gäbe, das uns die «Wirtschaftsweisen» als unumgänglich verkaufen wollen.
Diejenigen, die es hier zur Kasse zu bitten gilt, werden das Geld natürlich nicht freiwillig herausrücken. Im Gegenteil: Sie fordern lautstark noch mehr Entlastungen. Politik für soziale Gerechtigkeit wird es nur geben, wenn wir sie uns erkämpfen.
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