Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 02/2010
Wer bestimmt, wie es weiter geht?
von Brian Tokar
Der Verlauf und das Ergebnis der Klimakonferenz in Kopenhagen (7.–18.Dezember 2009) stellen den bisherigen UN-Prozess in Frage.
Die zweieinhalb Seiten diplomatisches Geschwätz, das die teilnehmenden Staaten schließlich geneigt waren, «zur Kenntnis» zu nehmen, sind in sich widersprüchlich und verpflichten niemanden zu konkreten Maßnahmen gegen die globale Klimakrise. Es gibt nicht einmal einen Plan, wie die Verhandlungen auf UNO-Ebene fortgeführt werden sollen.

Martin Khor, Direktor des Third World Network, hat darauf hingewiesen, dass im diplomatischen Sprachgebrauch der UNO ein Dokument, das «zur Kenntnis genommen» wurde, nicht nur förmlich nicht abgestimmt wird, sondern auch nicht «willkommen» ist.

Der weltweite Graben zwischen Arm und Reich ist noch nie so klar hervorgetreten: Jene Länder, in denen die Menschen jetzt schon Dürren, Hochwasser und die Schmelze der Gletscher erleben, die eine lebensnotwendige Quelle von Frischwasser für sie sind, müssen erwarten, in immer verzweifeltere Notlagen zu geraten. Ganz zu schweigen von den kleinen Inseln, die fast sicher versinken werden, wenn durch die Schmelze der Eisschilde der Meeresspiegel angehoben wird und das Seewasser die kargen Trinkwasserquellen angreift.

Besonders verachtenswert war das veränderte Verhalten der Regierungen der sog. Schwellenländer (Brasilien, Südafrika, Indien, China): Sie geben vor, für die Armen zu sprechen, wenn es ihnen gelegen kommt, vor allem aber sind sie bemüht, den ausufernden Reichtum ihrer gut abgeschirmten Eliten zu schützen.

Eine neue Verhandlungsführung
Der magere und widersprüchliche Fortschritt der globalen Klimaverhandlungen in den letzten 17 Jahren (seit der UN-Konferenz von Rio 1992) ist jetzt gefährdet, und so auch der brüchige, aber relativ offene und integrative UN-Prozess.

Nach dem Klimagipfel 2007 in Bali, Indonesien, hatte die Bush-Administration versucht, einen anderen Verhandlungspfad über Klimapolitik einzuleiten, an dem nur eine ausgewählte Handvoll der willfährigsten Länder beteiligt sein sollte. Dieser Plan scheiterte - zum Teil daran, dass sein Aushängeschild George Bush war. Nun hat die Regierung Obama sich diesen Ansatz im Kern zu eigen gemacht und wird dabei von den Schwellenländern voll unterstützt. So kann der substanzlose «Copenhagen Accord» als erster diplomatischer Erfolg der neuen Strategie betrachtet werden.

Monate lang haben die USA darauf hingearbeitet, dass nicht ein umfassendes globales Klimaabkommen verabschiedet wird, sondern ein Patchwork informeller Verpflichtungen einzelner Länder zur Senkung der Treibhausgasemissionen. Wenn das Dokument von Kopenhagen irgendetwas bedeutet, dann dieses, dass es den von den USA angestrebten Prozess als neues Verfahren für die globale Klimapolitik festlegt.

Nichts in diesem Dokument ist bindend, alles freiwillig; nach fünf Jahren gibt eine informelle Evaluation. Die Seiten 4 und 5 (die Anhänge 1 und 2) sind Tabellen, in die die Industrieländer (Anhang 1) und die anderen Länder (Anhang 2) ihre freiwilligen Reduktionsziele und ihre Maßnahmen hineinschreiben können.
Das Dokument wurde in einem Hinterzimmer ausgehandelt, wie bei der WTO. Alle wichtigen Fragen sind darin unter den Tisch gekehrt, jeder substanzielle Punkt, der angesprochen wird, ist zugleich mit Hintertürchen und Widersprüchen versehen.

Nominell wird die Diskussion unter der Ägide der UNO in den beiden Verhandlungssträngen fortgesetzt, die auf der Konferenz in Bali vor zwei Jahren vereinbart wurden. Doch der «Copenhagen Accord» liefert den führenden Ländern in diesem Prozess - der Liga der Superverschmutzer - auch Vorwände, um die von der UNO organisierte Diskussion im Namen eines effizienteren und stromlinienförmigeren Prozesses zu umgehen und unterminieren, damit das Geschäft im Interesse der Eliten der Welt weiterläuft.

Einige haben gesagt, ein nutzloses Nicht-Abkommen sei besser als ein Abkommen, das verbindlich unzureichende Emissionsziele und zerstörerische Maßnahmen wie die Ausweitung des Emissionshandels festschreibt. Aber der mögliche Verlust eines UN-Prozesses, der immerhin Rechenschaft fordert, kann sich als noch schlimmeres Ergebnis erweisen. Die USA haben immer versucht, die UNO zu unterminieren, wenn sie sie nicht voll unter Kontrolle hatten. Aber wenn ein Prozess, der 1992 mit der UN-Klimakonvention in Gang gesetzt wurde, durch einen Zirkus ersetzt wird, in dem nach dem diskreditierten Muster der WTO-Verhandlungen alles möglich ist und Willfährigkeit erkauft wird, verheißt das alles andere als Gutes für die Zukunft.

Das Positive
Gab es auch etwas Positives in Kopenhagen? Für die Aktivisten der Klimagerechtigkeit hätte es ein zweites Seattle werden sollen. Es war eine einzigartige Gelegenheit für Aktivisten und NGO-Vertreter aus aller Welt, sich zu treffen, Kontakte zu knüpfen und die Umrisse einer Agenda für Klimagerechtigkeit auszuarbeiten.
Unabhängige Journalisten halfen, die Stimmen zu verbreitern, die am besten erklärten, warum die Zerstörung des Klimas nicht länger ein Frage der Wissenschaft ist, sondern längst das Leben vor allem derer beeinträchtigt, die am wenigsten gerüstet sind, damit fertig zu werden. Selbst die Tagespresse in den USA brachte bemerkenswerte Geschichten von Menschen, die darum kämpfen, mit den Folgen des Klimachaos zu leben.
Mehr denn je kommen Menschen zur Einsicht, dass die einzige sinnvolle Lösung für die Klimakrise darin besteht, «das Öl im Boden, die Kohle in der Grube, die Teersande am Boden» zu lassen - das ist eine Parole der Kampagne gegen Ölbohrungen im gefährdeten Yasuni National Park von Ecuador.

Auch für die ALBA-Länder Lateinamerikas (Bolivien, Dominikanische Republik, Ecuador, Kuba, Nikaragua, Venezuela, vor dem Putsch auch Honduras) war die Konferenz ein Schlüsselmoment. Bis zum letzten Augenblick widerstanden sie den Einschüchterungen durch die USA und andere mächtige Länder und weigerten sich, in letzter Minute dem nichtssagenden und in seinen Auswirkungen zerstörerischen «Copenhagen Accord» als Abkommen der versammelten Nationen zuzustimmen.

Dies steht in starkem Kontrast zur Rolle der EU, die einmal für ein starkes weltweites Abkommen über Treibhausgasemissionen eingetreten ist, sich nun aber einreihte hinter die zerstörerische Strategie der USA.
Ein weiteres positives Ergebnis ist, dass der Weltfinanz keine neuen Happen zugeworfen wurden. Die hatte auf ein Kopenhagen-Abkommen gesetzt, das den künstlichen Markt für Emissionsrechte aufblähen würde. Der Preis für Kohle ist in Europa gefallen, das mag helfen, in den USA eine Festschreibung des Emissionshandels als primäres Instrument der Klimapolitik zu verhindern.

Nun kehrt der Kampf wieder auf die nationale und lokale Ebene zurück. Vor einigen Jahren schockierten Klimaexeperten die Welt mit der Aussage, wir hätten weniger als zehn Jahre Zeit, das Ruder herumzudrehen und etwas zu tun, damit Gleichgewichte im globalen Klimasystem nicht irreversibel zerstört werden.
Der katstrophale Ausgang der Kopenhagener Konferenz macht es schwer, Vertrauen darin zu haben, dass es nicht doch schon zu spät ist.

Brian Tokar ist amtierender Direktor des Institute of Social Ecology, Autor mehrerer Bücher, u.a. über Biotechnologie, und Aktivist von Climate SOS.

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