von Carsten Albrecht
Das Pariser Nahverkehrsunternehmen setzte Verwaltungsangestellte als Zugführer ein und die Sicherheit ihrer Passagiere aufs Spiel.
Während der Weihnachtsfeiertage ging in Paris ein zweiwöchiger Streik der Beschäftigten im Nahverkehr zu Ende. Blockiert wurde vor allem die Hauptverkehrslinie RER A, auf der seit zwei Jahren mehr Züge eingesetzt werden. Als Ausgleich für die daraus resultierende Mehrarbeit fordern die Gewerkschaften die Einstellung von mehr Zugführern sowie eine Lohnerhöhung um mindestens 120 Euro.
Das Pariser Nahverkehrsunternehmen RATP ist aber bisher nur zu 80 Euro mehr Lohn bereit. «Die Zugführer nehmen zwar ihre Arbeit wieder auf, aber der Kampf wird im neuen Jahr in anderer Form weitergehen», sagt Joël Joseph von der Gewerkschaft CGT. Es gehe nicht nur um bessere Arbeitsbedingungen, sondern auch um pünktliche und technisch einwandfreie Züge, so Joseph weiter. Dies sei nur mit einer Aufstockung der Belegschaft machbar.
Dass der Streik beendet wurde, lag vor allem daran, dass die französischen Zugführer während der Arbeitsniederlegung keine Lohnfortzahlung bekommen und die Streikkasse nach über zwei Wochen leer war. So konnten die RATP - und hinter ihr die konservative französische Regierung - auf Zeit spielen.
Von einer Ablehnung des Streiks seitens der Bevölkerung, wie die bürgerlichen Medien sie beschworen, konnte auch diesmal kaum die Rede sein: Eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts CSA (eine Art französisches Allensbacher Institut) vom 23.Dezember ergab, dass nur 32% der Franzosen ihn ablehnten. Um das von der Regierung 2007 per Gesetz angeordnete Minimum an rollenden Zügen während des Streiks zu gewährleisten, mussten sich höhere Angestellte der RATP als Fahrer versuchen. Dabei blieb die Fahrsicherheit buchstäblich auf der Strecke.
Drei Monate vor den Regionalwahlen wird der Streik auch zwischen den politischen Parteien kontrovers diskutiert. Während Präsident Nicolas Sarkozy seinen Weihnachtsurlaub in Marokko verbrachte, machten seine konservativen Parteifreunde wie üblich Stimmung gegen die Streikenden, denen Faulheit und Gier vorgeworfen wird. Die Federführung übernahm diesmal Valérie Pécresse, die im März (gegen einen Kandidaten der PS) für den Vorsitz im Regionalrat des Großraums Paris kandidiert.
Die Sozialistische Partei (PS) im Rat ist über den Streik gespalten: Während der jetzige Ratsvorsitzende Jean-Paul Huchon (PS) ihn nicht bewerten wollte, solidarisierte sich der Parteilinke Benoît Hamon mit den Beschäftigten. Auch andere Parteien des linken Lagers stellten sich auf die Seite der Zugführer, die «eine große Verantwortung für die Sicherheit von Millionen Passagieren tragen - das muss angemessen entlohnt werden», hieß es in einer Mitteilung der Französischen Kommunistischen Partei (PCF). «Mut und Ausdauer der Streikenden sollten Vorbildcharakter für Beschäftigte in anderen Unternehmen haben, denn es darf nicht sein, dass die Lohnabhängigen die Kosten dieser Kapitalismuskrise zahlen», findet Fabien Sacor von der Neuen Antikapitalistischen Partei (NPA).
Trotz ihrer Ausdauer konnten die Streikenden ihre Forderungen nicht durchsetzen. Es gab eine Kompromisslösung, deren Inhalt allerdings nicht öffentlich ist. Das Erreichte ist vermutlich so gering, dass die Gewerkschaften nicht laut darüber zu reden wagen, um andere Beschäftigte nicht zu entmutigen.
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