Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

Bert Brecht hielt nicht viel vom Recht auf geistiges Eigentum. Wir auch nicht. Wir stellen die SoZ kostenlos ins Netz, damit möglichst viele Menschen das darin enthaltene Wissen nutzen und weiterverbreiten. Das heißt jedoch nicht, dass dies nicht Arbeit sei, die honoriert werden muss, weil Menschen davon leben.

Hier können Sie jetzt Spenden
PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 02/2010
von Antonio Moscato
Die USA kennen Haiti gut, sie sind Jahre dort gewesen, auch in jüngster Zeit. Sie haben das unglückliche Land von 1915 bis 1934 besetzt und seine Staatskasse gleich nach Washington gebracht. Auch danach haben sie bis 1945 seine Zoll- und Wirtschaftspolitik bestimmt und sich die Kosten für die Besatzung wieder reingeholt. Außerdem kümmerten sie sich um die innere Ordnung des Landes und zogen sich erst zurück, als sie sich der Dienste eines lokalen Potentaten, des Schlächters François Duvalier, versichert hatten. So wie sie es auch in Kuba taten, wo sie ihre direkte Einmischung in die Angelegenheiten des formal unabhängigen Staates erst aufgaben, als sie einen Diktator vor Ort, Fulgencio Batista, gefunden hatten.

Nach Haiti sind sie zurückgekehrt, um vorübergehend die Rückkehr von Aristide zu organisieren. Sie haben die militärische Gewalt dann an die UN-Blauhelmtruppe abgegeben, die unter brasilianischem Kommando steht; Brasilien hat sich damit als subimperiale Polizeimacht empfohlen.

Jetzt aber heißt es, die USA seien sehr besorgt um die humane Katastrophe, die das Erdbeben verursacht hat, sie schicken deshalb viel Hilfe. Aber diese Hilfe ist sehr seltsam. China schickt Spezialeinheiten zur Bergung der Erdbebenopfer. Kuba, das seit Jahren Hunderte von Ärzten in Haiti hat, hat angeboten, US-Flugzeugen den Überflug über sein Territorium zu genehmigen, um eine halbe Stunde Zeit zu sparen. Frankreich, Japan, Argentinien, Nikaragua und selbst Italien schicken Zivilischutz-Spezialisten, wenige vielleicht, aber erfahrene. Die USA aber haben geschickt:

- einen nukleargetriebenen Flugzeugträger, die Carl Vinson, mit 19 Hubschraubern und einem Krankenhaus mit 51 (einundfünfzig) Betten und drei Operationssälen;
- den Torpedobootzerstörer Higgins und mehrere Dutzend Schiffe der Küstenwache;
- den Kreuzer Normandy und die Fregatte Underwood, ausgerüstet mit ferngesteuerten Raketen;
- das amphibische Angriffsschiff Bataan mit ähnlicher Ausstattung wie die Carl Vinson, begleitet von zwei weiteren amphibischen Angriffsschiffen, die Fort McHenry und die Carter Hall.

Diese Flotte transportiert die 22.Marine Expeditionary Unit, 2000 Soldaten, die zum großen Teil schon bei der vorherigen Besetzung in Haiti stationiert gewesen waren. Eine Gruppe von 100 Soldaten der 82.Luftlandedivision ist schon an Land gegangen, sie hat die Aufgabe, die Unterbringung für den Rest der Brigade (etwa 3500 Soldaten) vorzubereiten.

Verteidigungsminister Robert Gates hat auf einer Pressekonferenz erklärt, die Militärpräsenz der USA dürfe nicht als die einer Besatzungsmacht angesehen werden, sondern als humanitäre Hilfe. Das ist dassebe Argument, das Donald Rumsfeld heranzog, als er in den Irak einfiel. Wenige Tage später widersprach ihm jedoch der brasilianische General Jorge Armando Félix: Die UN-Truppen in Haiti «haben nicht humanitären Charakter, sondern sicherheitspolitischen, und können von dieser Mission nicht abweichen».
General Douglas Fraser, Kommandant des USSOUTHCOM, hat die Intervention in Haiti als Kommando-, Kontroll- und Kommunikationsoperation (C3) definiert. «Die Kasernen der Blauhelme sind teilweise zerstört, dehalb müssen wir uns darum kümmern, Kommunikation und Zentralkommando wieder herzustellen.»

Und Präsident Obama hat die Freigabe von 100 Mio. Dollar für Haiti nicht in Begleitung von Beratern aus dem Kreis der sozialen und humanitären Hilfe verkündet, sondern in Begleitung seines Kriegskabinetts. 100 Mio. sind auch nicht viel, wenn davon noch eine so massive Militäroperation bezahlt werden soll.

Es ist die ganze «internationale Gemeinschaft», die keine saubere Weste hat. Die IWF-Generaldirektor, Dominique Strauss-Kahn, hat «100 Mio. Dollar sofort» angekündigt. Schade, dass es keine «Hilfe» ist, sondern ein Kredit, mit dem Haiti den enormen Schuldenberg abtragen soll, den es in zwei Jahrhunderten aufgehäuft hat. Strauss-Kahn drückt den Opfern seine «tiefe Sympathie» aus, verhehlt aber, dass die 100 Mio. in Form von «Kredithilfen» gezahlt werden. Das heißt, die Haitianer müssen sie zurückzahlen… Niemand hat sich bislang darum gekümmert, die Familie Duvalier zur Rückzahlung ihrer 900 Mio. Dollar zu zwingen, die sie auf Nummernkonten in der Schweiz oder in Monaco deponiert hat. Von der haitianischen Bevölkerung hingegen, die zu den Allerärmsten gehört, wird immer verlangt, dass sie zahlt: allein 430 Mio. Euro Schuldenzinsen. Haitis Außenschuld beläuft sich auf insgesamt 1885 Mio. Dollar!

Haiti überlebt durch die Überweisungen der Emigranten, die werden jedoch weniger, weil Entlassungen stets zuerst die Fremden treffen, besonders die ohne Papiere oder «Illegale».

Im Juli hatte die «internationale Gemeinschaft» angekündigt, sie wolle intervenieren, um die Schulden zu senken, aber das war nur Propaganda. Das Gros der Schulden wurde nicht gestrichen, sondern als «streichbar» bezeichnet, das ist ein großer Unterschied. Obama hat erklärt, er werde «zeitweise» die Ausweisung verhafteter «illegaler» Haitianer aus den USA «suspendieren». Danke, wo hätten sie sie auch hingetan, wo alle Kerker eingestürzt sind?

Stand: 16.1.2010. http://antoniomoscato.altervista.org

Teile diesen Beitrag:

Kommentar zu diesem Artikel hinterlassen

Spenden

Die SoZ steht online kostenlos zur Verfügung. Dahinter stehen dennoch Arbeit und Kosten. Wir bitten daher vor allem unsere regelmäßigen Leserinnen und Leser um eine Spende auf das Konto: Verein für solidarische Perspektiven, Postbank Köln, IBAN: DE07 3701 0050 0006 0395 04, BIC: PBNKDEFF


Schnupperausgabe

Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo.