Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 02/2010
DIE LINKE ohne Caudillo
von Thies Gleiss
Oskar Lafontaine hat seinen Rückzug von allen bundespolitischen Ämtern der LINKEN erklärt. Er will in Zukunft nur Fraktionsvorsitzender der LINKEN im saarländischen Landtag sein. Die Gründe dafür liegen in seiner angeschlagenen Gesundheit.
Bei allem Streit in der Partei, von dem der meiste ja auch mit guten politischen Gründen geführt wird, ist sich jeder und jede in der LINKEN bewusst, dass es die LINKE ohne Oskar Lafontaine nicht so und nicht so erfolgreich gegeben hätte, und dass es mit ihm in der zweiten Reihe sehr viel schwieriger werden wird.

Fast alle gegenwärtigen Spitzenleute der LINKEN mussten vor viereinhalb Jahren zur Einsicht geprügelt werden, dass es eine Chance gab, eine gemeinsame neue Partei für einen großen Teil der Linken in Deutschland aufzubauen. Der große Zuchtmeister war Oskar Lafontaine. Er hat seitdem dank seiner rhetorischen Fähigkeiten und seiner medialen Präsenz die LINKE zusammengehalten wie ein kleiner Caudillo oder Bonapartist, mit Streicheleinheiten und Kopfwäsche mal in die eine, rechtere, oder die andere, linkere, Richtung.

Der Preis dafür ist der Aufbau der LINKEN als merkwürdige Synthese aus einer altertümlichen, patriarchalischen und hierarchischen Männerpartei mit Kampfansage an das Kartell der vier anderen Großparteien und einer Popularisierung lange verschütteter linker Alltagswahrheiten und sogar einigen jungen rebellischen Elementen.
So eine Rolle kann immer nur einer spielen, das haben die Ernst, Bartsch, Ramelow und wie all die auf eine Nachfolgerchance hoffenden Oberlinken heißen, gespürt. Lafontaine brachte dafür zwei Merkmale mit: Das erste konnte nur von ihm kommen, beim zweiten reichte ihm weit und breit niemand das Wasser.

Lafontaine verkörpert als Person den Bruch mit der SPD, der jahrzehntelang dominierenden Kraft in der deutschen Arbeiterbewegung. Sein Abgang aus Spitzenpositionen und Verzicht auf Privilegien, seine Bereitschaft, Neues zu wagen, verlieh ihm die Authentizität, die sich auf die gesamte Partei übertrug. Paradoxerweise, aber so wirkt historische Dialektik zuweilen, haben fast alle, die er damit anzog, die SPD zwar auch verlassen, aber nicht im Bewusstsein eines Bruchs, sondern mit der Hoffnung auf Fortsetzung oder Wiederaufnahme alter Ideale aus SPD-Zeiten. Das trifft auch auf den als neuen Ko-Vorsitzenden vorab verkündeten Klaus Ernst zu.

Darüber hinaus besitzt Oskar Lafontaine die Gabe, das tiefe Loch, in dem sich das sozialistische Gegenmodell zum Kapitalismus nach der Todeskrise des Stalinismus und der Fasttodeskrise der Sozialdemokratie befindet, durch manchmal originelle Rückgriffe auf die vormarxsche Frühzeit der sozialistischen Bewegung in überzeugender, antikapitalistisch wirkender und populärer Weise zu überspringen.Jeder geschulte Linke wird in seinem Bücherbord Hunderte von Seiten finden, die gnadenlos und gut begründet mit den Lafontain’schen Aussagen über Demokratie, Wirtschaftsdemokratie, Eigentum und Reproduktion abrechnen, aber in der spezifischen deutschen Situation lag darin offensichtlich ein Erfolgsrezept. Tausende von in der DDR Sozialisierten konnte er damit ebenso wie Ex-Stalinisten, Sozialdemokraten, Trotzkisten und sozial Ausgegrenzte aus Ost und West hinter einer Parteiidee vereinigen.

Lafontaine war, wie jeder Bonapartist, ein schlechter Vorsitzender. Er nahm an den Sitzungen vom geschäftsführenden Vorstand so gut wie nie und an den Vorstandssitzungen selten teil. Er kennt weder die Namen von allen vierundvierzig Vorstandsmitgliedern noch die Seele der Partei in den Hunderten von Kreisverbänden. Diese Defizite wurden anfänglich noch vorwärtsweisend, heute immer zerstörerischer, vom Apparat der alten PDS aufgefangen. Wenn das Apparatschikdenken der Politik-der-kurzen-Wege die Oberhand gewinnt, sind die Tage eines Vorsitzenden wie Lafontaine fast gezählt, auch wenn die kleinen Fisimatenten von Bartsch, Ramelow und Co. aus den letzten Wochen scheiterten. Lafontaines Rückzug kam gerade zur rechten Zeit.

Das Krisenmanagement danach unter der Führung von Gregor Gysi hat die Situation verschlimmert. Sein fast schröderianischer Auftritt, er müsse jetzt alles selbst machen, vom Vorstand finden bis zum Programmschreiben, wird die Partei DIE LINKE gerade in die Richtung treiben, aus der sie raus muss: zu einer überalterten patriarchalischen, hierarchischen SPD-Kopie.

Jetzt bestünde die Chance, einen großen Schritt vorwärts zu machen zu einer aktiven Mitgliederpartei. Es könnten jetzt in aller Ruhe neue, jugendliche Vorsitzende aufgebaut werden und vor allem: Die radikale Pose des Lafontain’schen Frühsozialismus könnte und müsste sich mit den realen Klassenkämpfen verbinden und sie radikalisieren. Das wäre eine zweite Chance des Sozialismus in Deutschland.

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