Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 03/2010
Alicja Tysiac trotzt Staat und Kirche
von Norbert Kollenda
Alicja Tysiac wurde in Polen das geltende Recht, aus gesundheitlichen Gründen die Schwangerschaft abzubrechen, verweigert (siehe SoZ 02/10). Der Europäische Gerichtshof in Straßburg verurteilte daraufhin den polnischen Staat, weil er für die Einhaltung seiner Gesetze keine Rahmenbedingungen geschaffen hatte.
Alicja Tysiac wurde danach einer Hetzkampagne ausgesetzt und als Vaterlandsverräterin angeprangert. Die vielgelesene katholische Wochenzeitung Gosc Niedzielny tat sich dabei besonders hervor: Sie stellte die Straßburger Richter und die «verhinderte» Mörderin Alicja in eine Reihe mit den Nazischergen. In erster Instanz wurde die Zeitung deshalb vom Gericht dazu verurteilt, sich öffentlich für den Nazivergleich und die Hassaussagen zu entschuldigen und 30000 Zloty Schmerzensgeld zu zahlen.

Anstatt jedoch Asche auf ihr Haupt zu streuen, hat die katholische Wochenzeitung nun Berufung eingelegt mit der Begründung, die Aussagen wären aus dem Kontext gerissen. Vor Gericht protestierten ihre Unterstützer, auch einige «Lebensschützer» waren anwesend. Zwei Transparente zeigten Bilder abgetriebener Föten: «Hitler hat Polen das Recht zur Abtreibung gegeben» - die Verantwortlichen blieben anonym.

Bei der Verhandlung berief sich der Vertreter der Wochenzeitung u.a. darauf, Alicja Tysiac hätte sich durch ihre Klage in Straßburg nun mal zur öffentlichen Person gemacht und mit den Konsequenzen daraus - Foto und namentliche Verurteilung ihrer Person - rechnen müssen. Auch müsse das Straßburger Urteil erst noch einer Prüfung durch polnische Gerichte unterzogen werden. Darüber hinaus habe der Redakteur ein Recht auf Glaubens- und Gewissenfreiheit.

Der Rechtsbeistand von Alicja Tysiac verwies darauf, dass der Chefredakteur diese Meinung nicht als Prediger in einem Gottesdienst, sondern als Journalist einer Wochenzeitung vertreten habe. Zudem liege das Urteil von Straßburg in beglaubigter polnischer Übersetzung vor. Vor allem aber sei es in Polen nach den schweren Verbrechen der Nazis nicht hinnehmbar, solche Bezüge zu suggerieren.

Es gab großes öffentliches Interesse für die Verhandlung, allein fünf Fernsehsender berichteten darüber.
Bei der anschließenden Pressekonferenz verwies Alicja Tysiac auf die Situation von unterdrückten und misshandelten Frauen und warb für die Unterstützung einer Initiative dagegen. Dann legten Vertreterinnen aus Griechenland, Frankreich, Deutschland und Polen die Gründe für ihre Unterstützung von Alicja dar. Von Journalisten befragt, ob die Unterstützung sie bestärke, die Sache weiter zu betreiben, antwortete Alicja Tysiac, der Rückhalt habe sie nicht nur im Prozess gestärkt, er sei ihr auch ein Trost, wenn sie und ihre Kinder den Anfeindungen im Alltag ausgesetzt seien. Vor Beginn des Prozesses hatte sie auf die Frage, ob ihr nicht jemand Valium besorgen solle, geantwortet, die Anwesenheit so zahlreicher Unterstützer würde bei ihr schon wie Valium und Adrenalin wirken. Sie sei es ihrer Würde und der Würde ihrer Kinder schuldig dies durchzustehen und würde es immer wieder machen und Frauen in ähnlichen Situationen unterstützen.

Das Urteil wird am 5.März verkündet. Beobachter halten schon das Urteil in der ersten Instanz für einen Erfolg. Unterstützung unter www.alicjatysiac.eu.

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