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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 03/2010

Wie Stricken und Häkeln im 21.Jahrhundert zu einer subversiven Tätigkeit mutiert.
von Angela Huemer
Als Ende Januar an der Humanwissenschaftlichen Fakultät Köln im Rahmen der Passagen, Teil der Internationalen Möbelmesse, ein «Knit-In», eine Strickaktion, unter dem Titel «HypoRealKnittingafFair» stattfand, konnte ich mir zunächst wenig drunter vorstellen. Was soll denn Stricken mit der Finanzkrise zu tun haben?
Im Fakultätsgebäude führten gestrickte Wegweiser zur «HypoRealKnittingafFair», der Gang des Instituts war mit Wollfäden durchzogen, an den Tischen standen gehäkelte Speisen - Sushi, Spaghetti und Hamburger. Etliche Strickende waren schon drauf und dran, den Gang zu zu stricken und zu häkeln.

Vor dem Hintergrund klappernder Nadeln und der Musik der DJane erklärte mir Prof. Heidi Helmhold die Aktion. Die Idee geht auf eine simple Metapher zurück: vor eineinhalb Semestern wurde das Fach «Textile Gestaltung» einfach «abgewickelt» und zunächst der Kunst zugeordnet. «Wir sind wegen des Verdachts abgeschafft worden, dass wir stricken», so Helmhold. Und sie beschloss: «Jetzt können wir stricken - was alle so verdächtig fanden.» Das erklärt jedoch nicht den Zusammenhang mit der Finanzkrise, bohre ich nach. «Das kommt ganz schlicht vom Wort ‹abwickeln›», erklärt Heide Helmold, «über das Abwickeln fiel mir auf, dass wir dieser ganzen Finanzkrise einen sehr lockeren ethischen Diskurs zu verdanken haben, also, wie geh ich mit Geld und Kapital um. Ich meine halb augenzwinkernd, dass Stricken eine kapitalbildende Arbeit ist, bei der wir gut darauf achtgeben müssen, wie wir die Maschen setzen, ob wir sie fallen lassen, ob wir rechte oder linke Maschen setzen.»

Ziel der Aktion war, dass man einen Abend lang strickt und sich dabei fragt, wie man mit seinem Wollkapital bzw. anderem Finanz- und Humankapital umgeht. Wichtig ist Helmhold dabei die Fairness.
Sie blickt jedoch zuversichtlich in die Zukunft, ab 2011 will sie ihr Fach unter dem Titel «Materielle Kultur» auferstehen lassen. Denn in den letzten Jahren hat sich viel getan in der Handarbeitswelt. Galt vor drei bis vier Jahren stricken noch als trutschig und altmodisch, boomt es derzeit. Vermehrt werden textile Techniken wie stricken, häkeln, sticken, spinnen und weben in der bildenden Kunst eingesetzt.

Darüber hinaus gibt es viele Initiativen, die auf künstlerische Weise neue Dimensionen der politischen Arbeit eröffnen. So hat die dänische Künstlerin Marianne Jørgensen (www.marianneart.dk), aus Protest gegen den die dänische (amerikanische, englische usw.) Teilnahme am Irakkrieg einen Panzer aus dem Zweiten Weltkrieg mit einem rosa Strickmantel versehen. Dieser bestand aus rund 4000 gestrickten und gehäkelten 15 mal 15 cm großen Teilen, die Handarbeiterinnen aus Dänemark und der ganzen Welt beisteuerten. Diese Art der Zusammenarbeit war symbolisch und ist ein Element, das in vielen Arbeiten und Aktionen der subversiven Handarbeiter, auch Strickguerilla genannt, auftaucht.

So traf sich am 19.März 2008, fünf Jahre nach dem Beginn des Irakkriegs, die Granny Peace Brigade (Großmuttefriedensarmee) vor dem Rekrutierungsbüro der Armee auf dem Times Square in New York zu einem «Knit-In», sie strickten sog. stump-socks, Socken für verstümmelte Soldaten und Kleidung für irakische Familien. Die Granny Peace Brigade setzt ganz bewusst ihr harmloses Oma-Image ein und zeigt dabei eine Energie, um die sie manch jugendliche Aktivisten beneiden.

Eine welt-weit-webende Plattform ist die Gruppe microRevolt aus dem Bundesstaat Rhode Island, USA. Ihr wesentliches Anliegen ist der Protest gegen Missstände in der Textilindustrie, aufbauend auf historischen Erfahrungen, besonders auf den revolutionären Tendenzen in der amerikanischen Textilindustrie. Eine der Arbeiten, die virtuell verbreitet und in Ausstellungen gezeigt wird, ist eine Decke aus Häkelfleckchen, die das Nike-Symbol darstellen. Auf www.microrevolt. org ist zu sehen, aus welchen Gegenden der Welt die einzelnen Teile stammen.

Im Gegensatz dazu stickt Rayna Fahey aus Melbourne, Australien, ihre politischen Botschaften, wie den Protest gegen Immobilienspekulation, mit Gleichgesinnten auf Maschendrahtzäune, www.radicalcrossstitch.com.

Madga Sayeg aus Austin, Texas, gründete in Anlehnung an die Graffiti-Tradition die Gruppe Knitta, www. magdasayeg.com. Sie versieht die Stadtlandschaft mit Strickobjekten, viele entstehen im Kollektiv, weltweit gibt es bereits zahllose daran angelehnte Initiativen. Da werden nicht nur Laternenmaste, Autoantennen oder Parkuhren umgarnt, sondern auch Überwachungskameras mit Häubchen versehen.

In Deutschland stehen solche Initiativen noch am Anfang, eines der großen Ziele von Heide Helmhold von der Uni Köln ist es, einen Initialimpuls zu setzen und Strickaktivisten heranzuholen.
All denjenigen, die nun alte Nadeln und Wollreste hervorholen und keine Topflappen oder Klorollenhüllen stricken wollen, sei als Anregung wärmstens Betsy Greers Internetseite www. craftivism.com (craft = Handwerk/-arbeit) empfohlen.

Unter der Rubrik «Documenting craftivism» finden sich wunderbare Beispiele, darunter der animierte Kurzfilm Don’t let it all unravel (Sieh zu, dass nicht alles auseinanderfällt) von Sarah Cox (auf Youtube), in der der Klimawandel das fein gestrickte und aufgewickelte Gefüge der Erde auftrennt und zerstört.

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