Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

Bert Brecht hielt nicht viel vom Recht auf geistiges Eigentum. Wir auch nicht. Wir stellen die SoZ kostenlos ins Netz, damit möglichst viele Menschen das darin enthaltene Wissen nutzen und weiterverbreiten. Das heißt jedoch nicht, dass dies nicht Arbeit sei, die honoriert werden muss, weil Menschen davon leben.

Hier können Sie jetzt Spenden
PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 03/2010
Hessen als Standortfaktor im System Koch
von Ulrich Wilken
Steuerprüfung und Steuerfahndung - für (Klein-)Unternehmer oder Freiberufler ein selbstverständlicher Teil des Wirtschaftslebens. Für die wirklich Reichen dieser Republik darf er nicht gelten.

Welch eine Unverschämtheit, wenn Steuerfahnder in die Chefetage einer Frankfurter Bank eindringen und Akteneinsicht verlangen um zu prüfen, wer wie viel Geld an der Steuer vorbei nach Liechtenstein oder in die Schweiz transferiert hat! Das kann der hessische Finanzminister Karlheinz Weimar (CDU) nicht durchgehen lassen. Wer am Abend mit dem Ministerpräsidenten oder gar dem Bundeskanzler speist, ist über solche Attacken erhaben.

Da muss eingegriffen werden - notfalls mit repressiven Methoden oder der Einweisung in die Psychiatrie. Die psychatrischen Gutachten, die sich mit so unverschämten Steuerfahndern beschäftigt haben, klassifizierten sie als «paranoid querulatorisch». Jahre später wurden die Gutachten vom Berufsgericht für Heilberufe als unrechtmäßig kassiert - aber ein paar Jahre Zeitgewinn und vor allem ein Klima des Duckmäusertums bringen ja auch schon einen Standortvorteil.

Nicht aufmuckende Mitarbeiter der Landesverwaltung sind auch auf anderen Feldern von Vorteil; da kann man auch schon mal öffentliches Eigentum unter Wert verscherbeln. Und auch bei der hessischen Polizei scheint der kritische Beamte (oder gar die kritische Beamtin!) nicht wohlgelitten.

Die Frühverrentungen bei den Steuerfahndern kosten zwar was, aber was ist das schon, wenn es um die höhere Sache geht. Außerdem fehlen dem Land Steuereinnahmen - ein gutes Argument, um Sozialleistungen zu kürzen und Arbeitslose in Zwangsarbeit zu drücken.

Apropos fehlende Steuereinnahmen: Da gibt es auch noch die Richterin am Hessischen Staatsgerichtshof, Karin Wolski, die sich Meriten als Beraterin der hessischen CDU bei der «brutalstmöglichen Aufklärung» der Schwarzgeldaffäre erworben hat. Als kleines Dankeschön braucht sie nun auch keine Steuerklärung mehr abzugeben und darf teure Luxuskarossen bei Frankfurter Scheinadressen anmelden und am Fiskus vorbeischleusen. Das ist keine Geschichte, die wilden Fantasien entsprungen ist, sondern traurige Realität in Hessen im Jahr 2010.

Was man dem System Koch nicht vorwerfen kann, ist, dass das richtige Parteibuch entscheidend für Wohl und Wehe von Mitarbeiterinnen sei. Wenn man, wie die ehemalige SPD-Abgeordnete Carmen Everts, die mit drei anderen SPD-Rechten die Wahl Andrea Ypsilantis zur Ministerpräsidentin verhinderte, Roland Koch den Ministerpräsidentensessel rettet, ist schon mal eine leitende Stelle bei der hessischen Zentrale für politische Bildung drin.

Dennoch können wir beruhigt sein. Hessens Justizminister Jörg-Uwe Hahn (FDP) erklärt: «Es gibt keinen schwarzen Filz.» Sein Staatssekretär erklärt: «Es gibt keinen schwarzen Filz.» Und Ministerpräsident Roland Koch hat schon immer erklärt: «Es gibt keinen schwarzen Filz.» Also weiß Hessen: «Es gibt keinen schwarzen Filz - und es hat auch nie geheime Konten und schwarze Kassen gegeben.»

Das System Koch hat jahrelange Erfahrung im Täuschen und Verschleiern - und vor allem darin, die Verantwortlichen nicht zur Rechenschaft zu ziehen, sondern mit höheren Bezügen zu befördern.

Das System Koch schadet Hessen und die Bürgerinnen und Bürger, die als Gering- oder Normalverdienende keinen Anlass oder keine Möglichkeit sehen, Millionen nach Liechtenstein zu verschieben. Wer noch Steuern zahlt, ist offenbar nicht reich genug. Wer reich genug ist, wird von Steuerfahndern verschont. Solche, die diese Abmachung stören, werden kurzerhand vom Psychiater für verrückt erklärt. Das «System Koch» hält schützend die Hand über die Wolskis, Everts und nach wie vor auch über die in die Jahre gekommenen Jungs und Mädels von der Tankstelle - einem ehemaligen Treffpunkt junger CDU-Politiker im Umfeld Roland Kochs.

Ulrich Wilken ist rechtspolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE. im Hessischen Landtag und Vorsitzender des hessischen Landesverbands der LINKEN.

Teile diesen Beitrag:

Kommentar zu diesem Artikel hinterlassen

Spenden

Die SoZ steht online kostenlos zur Verfügung. Dahinter stehen dennoch Arbeit und Kosten. Wir bitten daher vor allem unsere regelmäßigen Leserinnen und Leser um eine Spende auf das Konto: Verein für solidarische Perspektiven, Postbank Köln, IBAN: DE07 3701 0050 0006 0395 04, BIC: PBNKDEFF


Schnupperausgabe

Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo.