Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 04/2010
von Angela Klein

Deutschland fordert von Griechenland ein Sparprogramm, das des IWF würdig und geeignet ist, den Inselstaat in eine tiefe Depression zu stürzen. Die Lohnsenkungen, Renten- und Ausgabenkürzungen werden das Bruttoinlandsprodukt weiter drücken und damit das Haushaltsdefizit weiter erhöhen eine teuflische Spirale nach unten.

Der deutsche Auftritt ist umso garstiger, als Deutschland für sich das glatte Gegenteil in Anspruch genommen hat: Das Bankenrettungspaket, die Konjunkturspritze für die Autoindustrie, die Verlängerung der Kurzarbeit – sie wurden alle damit gerechtfertigt, man dürfe die Fehler der 30er Jahre nicht wiederholen, ein Abgleiten in die Rezession sei unter allen Umständen zu vermeiden.

Deutschland ist in der EU inzwischen fast das einzige Land, das jede finanzielle Unterstützung für Griechenland grundsätzlich ablehnt. Das Gespann Angela Merkel/Axel Weber benutzt den Stabilitätspakt geradezu als Keule, um den anderen Ländern die eigenen wirtschaftspolitischen Interessen (und Dogmen) einzubläuen: Lohnsenkung, real und brutto, Senkung der Sozialausgaben, Verscherbelung des öffentlichen Eigentum europaweit. Warum? Weil das deutsche Kapital sich mit China, Indien und den USA messen will. Dazu brauchen sie deutsches Hightech zu chinesischen Löhnen.

Der exportorientierte Teil der deutschen Wirtschaft interessiert sich nicht für den politischen und sozialen Zusammenhalt in Europa, er interessiert sich nur für den vergrößerten Binnenmarkt und das europäische Etikett auf den neuen deutschen Kriegsführungsplänen.

Die Lösungen, die die EU jetzt unter deutschem Druck diskutiert gleich ob IWF, EWF oder eine Kombination aus beiden laufen darauf hinaus, für einen Teil der EU lateinamerikanische Zustände zu schaffen und ihn finanziell und politisch unter deutsches Diktat zu stellen. 65 Jahre nach Kriegsende schickt sich Deutschland somit wieder an, Europa auf die hässlichste Weise zu unterwerfen. Linke sollten, wie einst, daran arbeiten, dass es dabei scheitert.

«Griechenland und ganz Südeuropa brauchen einen Ausgleich, weil man dort, zu Recht, das deutsche Lohndumping der vergangenen zehn Jahre nicht mitgemacht hat», schreibt Heiner Flassbeck in der Frankfurter Rundschau. Flassbeck gehört mit Oskar Lafontaine zu den wenigen deutschen Politikern, die immer wieder gefordert haben, der Euro müsse von einer Wirtschaftsregierung begleitet werden. Darunter versteht man, dass nicht nur Industrienormen, Inflationsraten und Haushaltsdefizite auf europäischer Ebene koordiniert werden, sondern auch die Steuerpolitik, die Lohn- und die Sozialpolitik. Die Deutschen dürften dann nicht mehr Lohndumping betreiben, um alle anderen im Wettbewerb zu unterbieten, und müssten vermehrt auf eine Stärkung der Binnennachfrage orientieren.

Während Lafontaine an dieser Frage als Finanzminister gescheitert ist, haben deutsche Gewerkschaften die Standortpolitik mitgetragen und sich gegen jede Einmischung in die Tarifpolitik, mithin gegen jede Europäisierung von Lohn- und Sozialstandards gewehrt. Ver.di führt hierzulande eine Mindestlohnkampagne, aber im Europäischen Gewerkschaftsbund hüten sie sich, einen gemeinsamen Kampf für einen europaweiten Mindestlohn aufzunehmen. Den Preis dafür zahlen nicht nur Griechen, sondern auch Deutsche.

Auf einer der großen Demonstrationen in Athen wurde ein Transparent getragen, darauf stand: «Wir zahlen nicht!» Wir zahlen nicht für eure Krise! Diese Parole erklingt seit 2009 überall in Europa: in Griechenland, Spanien, Italien, in Frankreich und bei uns, zuletzt wieder in Essen am 20.3. Hier wird ein gemeinsamer Kampf gegen Banker und Spardiktate geführt, wir sind uns nur noch nicht bewusst, was das bedeutet und welche Handlungsmöglichkeiten darin liegen.

Deutsche Medien verbreiten rassistische Sprüche über «die Griechen, die nicht wirtschaften können» und angeblich alle lügen wie Odysseus. Aber Fakt ist doch, dass es das deutsche Lohndumping ist, das schwächere Wirtschaften in Europa gnadenlos niederkonkurriert. Was haben wir davon? Was haben Niedriglöhner, Erwerbslose, MigrantInnen, Jugendliche, Arbeiter in Deutschland davon, dass ihre Löhne gedrückt werden, damit deutsche Waren die der Griechen, der Italiener, der Spanier, der Portugiesen vom Markt fegen? Welchen Preis bezahlen wir dafür, dass wir Exportweltmeister sind?

Und wollen wir ihn noch länger bezahlen? Nein, die Unverschämtheit ist nicht auf der Seite der Griechen, die haben Recht, dass sie schon mit 60 in Rente gehen wollen das fordern viele hierzulande auch. Die Unverschämtheit ist auf der Seite der Unternehmer, der Ackermänner, Westerwelle und Kraft, die trotz großer Gewinne Arbeiter entlassen, Kinder in Hartz IV mit Gutscheinen abspeisen und den sog. freiwilligen Arbeitsdienst einführen wollen.

Wir, denen spätestens ab dem kommenden Jahr mit dem Hinweis auf die Schuldenbremse ein rabiates Sparprogramm, Entlassungen und Lohnsenkungen zugemutet wird, wir sitzen mit den Griechen, die sich wehren, in einem Boot. Unser Kampf ist ihr Kampf, nie war das so klar wie heute. Stellen wir deshalb gemeinsame Forderungen auf: europäische Standards für Steuern, Grundsicherung, Mindestlohn und Arbeitszeit.

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