von Dieter Braeg
Die Ausstellung «Hast du meine Alpen gesehen?» wird ab dem 22.April in München gezeigt.
Das Bild der Bergwelt ist durch volkstümliche Gemütlichkeit und deutschtümelnde Bergsteiger wie Luis Trenker geprägt. Das Wiener Jüdische Museum richtet in seiner Ausstellung «Hast du meine Alpen gesehen» (ab dem 22.4. im Münchner Alpenmuseum zu sehen) einen völlig neuen Blick auf die Geschichte des frühen Alpinismus. Der Titel der Ausstellung ist einem Ausspruch des Frankfurter Rabbiners Samson R. Hirsch entnommen: «Wenn ich vor Gott stehen werde, wird der Ewige mich fragen: Hast du meine Alpen gesehen?»
Auch die Juden zog es in die Bergwelt, sie suchten Zugehörigkeit, und da war Bergsteigen für sie ein durchaus integratives Vergnügen. Die Ausstellung zeigt zahlreiche Bilder von Juden in Trachten und Dirndlkleidern. Ja, es gibt sogar eine Kippa, bestickt mit Edelweiß, Enzian und Alpenrausch.
Die Ausstellung zeigt auch einiges zur Geschichte der Tracht. Die praktische Standeskleidung der einheimischen ländlichen Bevölkerung in den Alpen wurde nach und nach von Politik, Kirche und Tourismus vereinnahmt und damit Bestandteil der Mode. In München erhielt der jüdische Textilkaufmann Julius Wallach im Jahre 1910 den Titel «Königlich-bayerischer Hoflieferant» und etablierte die Tracht samt Dirndl in München und anderen Großstädten. Vor allem aber wird in der Ausstellung die Bedeutung jüdischer Bergsteiger, Künstler und Pioniere des Tourismus bei der Erschließung des europäischen Alpenraums dokumentiert.
Interessant ist die Geschichte der Alpenvereine. Zu Beginn des 20.Jahrhunderts waren fast ein Drittel aller Mitglieder dieser Vereine Juden. Den Österreichischen Alpenverein hat der Geologe und Jude Eduard Sueß sogar mit gegründet! Das verwundert sehr, denn bereits im Jahr 1921 hat dieser Alpenverein einen Arierparagrafen eingeführt, der alle jüdischen Mitglieder ausschloss. Hier wird die Ausstellung zur Herausforderung, und es ist sehr erfreulich, dass der Österreichische Alpenverein an ihr mitgearbeitet hat.
Natürlich bleibt die unrühmliche Rolle einzelner Persönlichkeiten des Alpinismus nicht unerwähnt, und es ist an der Zeit, einige Schutzhütten im Alpenbereich endlich mit anderen Namen auszustatten. Die «Arier» erhoben Alleinanspruch auf die Alpenwelt. Einer der fanatischsten Antisemiten, Eduard Pichl, kämpfte an vorderster Front; bis zum Jahre 2002 trug die Wolayerseehütte im Kärntner Lesachtal seinen Namen.
Dass mehr als 60 «Fremdenverkehrsorte» mit Judenablehnung Werbung machten, gehört zur immer noch verdrängten vergangenen Realität. Der Skipionier Hannes Schneider entwickelte seinerzeit zusammen mit dem Juden Rudolf Gompertz das Gebiet am Arlberg, heute ein sog. Nobelskiort, zum Tourismuszentrum. Vor allem der Aufstieg von St.Anton am Arlberg zu einem weltbekannten Wintersportort ist eng mit seinem Namen verbunden. Als Jude wurde er Opfer der nationalsozialistischen Rassenverfolgung. Das Schicksal von Gomperz inspirierte Felix Mitterer zu seinem Theaterstück Kein schöner Land (Uraufführung 1987), eine bemerkenswerte Auseinandersetzung über die Verfolgung in der NS-Zeit in der Tiroler Literatur. Gomperz wurde im KZ Minsk ermordet.
In der Nachkriegszeit vergaßen die St.Antoner Bürger ihren großen Förderer, Ing. Rudolf Gomperz und seine Familie. 1976 schreibt der Oberländer Heimatforscher Hans Thöni eine Artikelserie über das Schicksal von Gomperz im St.Antoner Gemeindeblatt. Er versucht, die Errichtung einer Gedenkstätte für den großen Tiroler Wintersport- und Tourismuspionier zu erreichen. Es scheitert an den Protesten von St.Antoner Bürgern. Erst im Jahre 1995 wird ein Denkmal für Ing. Rudolf Gomperz errichtet. Die Inschrift enthält den Wortlaut: «Er hat den Namen St.Anton in die Welt getragen und wurde Opfer des nationalsozialistischen Rassenwahns.» Die Steinskulptur schuf der Fließer Künstler Engelbert Gitterle.
Der höchstgelegene jüdische Friedhof ist in Davos. Hier liegen auch KZ-Opfer. Ein Dokument zeigt: «Letzter Wohnort: KZ Buchenwald.» Das steht in den Papieren eines Mannes, der 1945 in Davos starb.
Im Jahre 1959 schrieb Paul Celan, nachdem sein Versuch, sich mit Theodor W. Adorno in Sils Maria im Engadin zu treffen, gescheitert war, seine einzigen Prosatext, Gespräch im Gebirg.
«…es war still im Gebirg, wo sie gingen, der und jener. Still wars also, still dort oben im Gebirg. Nicht lang wars still, denn wenn der Jud daherkommt und begegnet einem zweiten, dann ists bald vorbei mit dem Schweigen, auch im Gebirg … Die Geschwätzigen. Haben sich … etwas zu sagen. Gut, lass sie reden…
Bist gekommen von weit, bist gekommen hierher…
Weiss ich.
Weisst du und willst mich fragen: Und bist gekommen trotzdem, bist, trotzdem, gekommen hierher, warum und wozu?
Warum und wozu … weil ich hab’ reden müssen, vielleicht, zu mir oder zu dir…»
Der Film Gespräch im Gebirg. Bericht eines Lesers von Mattis Caduff ist ein wichtiger Beitrag der Ausstellung, die, viel zu spät, einen Teil der alpinen Geschichte dokumentiert, zu der sich noch immer viel zu viele nicht bekennen und äußern wollen.
Die Ausstellung «Hast du meine Alpen gesehen?» des Wiener Jüdischen Museums ist ab dem 22.4.2010 im Alpinen Museum München, Praterinsel 5, zu sehen (Fon 089/2112240).
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