Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 04/2010
Neues von der S-Bahn Berlin
von Jochen Gester

Nachdem die Berliner S-Bahn einen Verkehrseinbruch von historischem Ausmaß erlitten hat und die Bahn im Internet und auf den Bühnen der Kabarettisten verspottet wurde, selbst die FDP einen Zusammenhang zwischen dem beabsichtigten Börsengang und seinen Folgen nicht mehr generell abstreiten wollte, hat die Bahn nun endlich ein eigenes Gutachten über die Ursachen der Mängel in Auftrag gegeben.
Der Abschlussbericht dieses Gutachtens attestiert der S-Bahn «erhebliche Organisationsdefizite» und ein nicht nicht funktionierendes System der Qualitätssicherung. Beschäftigte wären nicht geschult worden, und für die Wartung habe es unzureichende und zum Teil falsche Vorgaben gegeben, sodass u.a. 6000 Teile nicht wie erforderlich ausgetauscht wurden. Verantwortlich für diese Fehlentwicklung ist laut Gutachten das S-Bahn-Management.

Als zweite Ursache des Desasters stellen die Gutachter «gravierende konstruktive Fahrzeugmängel» fest, für die vor allem der Bahnausrüster Bombardier haften müsse. Einen Zusammenhang zwischen den Renditevorgaben der Bahn AG und ihren Folgen, den unterlassenen Investitionen in die Sicherheit und Zuverlässigkeit der Züge, konnten die Prüfer nicht entdecken. Der Vorstand der Bahn AG soll von allem nichts gewusst haben, und er habe es auch nicht wissen können.

Diese Ursachenanalyse war zu dreist, um hoffen zu dürfen, die Öffentlichkeit sei nun ruhig gestellt und mit neuem Vertrauen auf die Bahn ausgestattet. Die liberale Presse war wenig geneigt, solche Zumutungen abzunicken. Der Berliner Tagesspiegel erlaubt sich darauf hinzuweisen, dass die angeblich falsch gebauten Züge nach Vorgaben der Bahn geliefert und auch von ihr abgenommen wurden. Allerdings sei die dann nötige Wartung einfach ausgeblieben.

Der Betriebsratsvorsitzende der S-Bahn, Heiner Wegner, erklärte Journalisten, er habe bereits 2006 Mitglieder des Aufsichtsrats auf die katastrophalen Zustände aufmerksam gemacht, u.a. auch den Chef der DB Stadtverkehr, Schulenburg. Dieser habe ihm daraufhin jedoch mit arbeitsrechtlichen Konsequenzen gedroht. Über seine ehemaligen angeblich allein verantwortlichen Manager urteilte Wegner: «Die waren doch all die Jahre nur bessere Abteilungsleiter und durften keine eigenen Entscheidungen fällen.»

Die Konsequenzen?
Die wichtigste Entscheidung, nämlich die für den Börsengang, traf Mehdorn im Schulterschluss mit den Forderungen des Kapitalmarkts und mit Rückendeckung der Parlamentsmehrheit im Bundestag. Diese Entscheidung steht unverändert, nur hat sich der Zeitrahmen für ihre erhoffte Realisierung verändert. Das hat der Aufsichtsratsvorsitzende der Bahn AG, Ramsauer, in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung Mitte März nochmal ausdrücklich betont.

Erwähnenswert ist zudem die Tatsache, dass die Kanzlei Gleiss Lutz, die das Gutachten verfasst hat, ein langjähriger Geschäftspartner der DB AG ist. Über die Tragweite dieser Abhängigkeit schreibt Daniela Kuhr in der Süddeutschen Zeitung: «Selbst wenn es wirklich stimmt, dass die Anwälte völlig unabhängig prüften und keinen Beschränkungen beim Ergebnis ausgesetzt waren, so lässt sich doch nicht leugnen, dass sie kein ernsthaftes Interesse haben konnten, Verantwortlichkeiten im Konzernvorstand festzustellen. Schließlich vergibt die Bahn immer wieder lukrative Aufträge. Hier liegt der Schwachpunkt des Berichts, und das Dumme ist: Die Bahn kann noch nicht mal was dafür. Denn, was hätte sie mehr machen können, als die Vorfälle extern aufklären zu lassen?»

Das ist jedoch keine unlösbare Aufgabe. Man könnte beispielsweise eine universitäre Einrichtung wie das Institut für Straßen- und Schienenverkehr der TU in Berlin mit einem Gutachten beauftragen. Doch auch hier müsste man vorher alle Bahnlobbyisten rauswerfen und sicherstellen, dass das Institut ohne die Akquirierung von Drittmitteln der Bahnindustrie eine wirklich unabhängige Gutachterarbeit leisten kann.

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