Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 04/2010
Das neue Zeitschriftenprojekt der Rosa-Luxemburg-Stiftung
von Stefan Müller

Die seit Sommer 2009 von der Rosa-Luxemburg-Stiftung (RLS) herausgegebene Zeitschrift LuXemburg – Gesellschaftsanalyse und linke Praxis ist ein theoretisch orientiertes Blatt, das «Diskussionen und Analysen der linken Debatten zusammenbringen und fruchtbar machen» will.

Im Zentrum stehen dabei neben der Analyse «die Kunst der Strategie» und der Versuch einer Verbindung «von alltäglichen Kämpfen und gesellschaftlichen Alternativen». Eigentlich müsste man noch ein wenig warten, um die Umsetzung eines solch umfassend formulierten Ziels überprüfen zu können.

Fangen wir also an einer anderen Stelle an. Im Geleitwort schreibt Heinz Vietze, Vorsitzender der RLS, dass das Zusammenwachsen der deutschen Linken zwar noch nicht abgeschlossen sei, die Fusion von WASG und PDS aber einen markanten Einschnitt darstellte. Dies gelte auch für die RLS selbst, die seitdem eine gesamtdeutsche linke Stiftung und zugleich europäisch und global wurde. Auf gesellschaftlicher Ebene markierte die Weltwirtschaftskrise einen weiteren Schnitt, einen Bruch, der die politische Linke zum Überdenken ihrer bisherigen politischen Strategie zwinge.

Die Vorgängerin
Mit der Herausgabe der LuXemburg wurde die Vorgängerzeitschrift, Utopie kreativ eingestellt. Sie erschien seit 1990 in 218 Ausgaben. Utopie kreativ war ein «Kind der Wende in der DDR», so die RLS auf ihrer Internetseite, über die ein Großteil der Ausgaben im PDF-Format zugänglich ist. In Utopie kreativ diskutierte man die in der Vergangenheit realexistierende sozialistische Welt, man versuchte intensiv, die verpassten Chancen wie auch die strukturellen Blockaden der DDR auszuloten. Mit Hilfe eines breiten Spektrums an Autoren untersuchte man die Höhen und die Niederlagen der Arbeiterbewegung und man bot ein Forum für die PDS in ihrer Auseinandersetzung mit dem Stalinismus. Außerdem thematisierte man die gewaltigen (und für die Mehrzahl der Bevölkerungen auch gewalttätigen) Transformationen in Osteuropa und war auf der Suche nach einer sozialistischen Zukunft.

Zeitschriften können eine Rolle als «kollektive Organisatoren» spielen. In gesellschaftlich unruhigen Zeiten können sie zu organisierenden Momente von Bewegungen werden, in weniger bewegten Zeiten zumindest Organisatoren kleinerer Kollektive wie die um sie herum versammelten Autorinnen und Autoren. In dieser Hinsicht markiert LuXemburg einen Bruch. Utopie kreativ bot «gerade der abgewickelten ostdeutschen Intelligenz der Sozial-, Geistes- und Geschichtswissenschaften eine Stimme», so Heinz Vietze in der letzten Ausgabe. Aber, so Vietze weiter, «die Linke hat sich verändert» und auch die «Erwartungen an eine wissenschaftlich-politische Zeitschrift der RLS» seien gestiegen Erwartungen der RLS selbst wie auch des Medienmarktes, Erwartungen, denen ein «überwiegend ehrenamtliches Team» sich kaum stellen könne.
Unzeitgemäßheit und fehlende Professionalität, so also das Resümee der RLS gegenüber Utopie kreativ. Als «Kind der Wende» geboren, endete die Zeitschrift auch entsprechend: «Dass etwas – eine Einrichtung, eine Institution oder auch ein Druckerzeugnis geschlossen oder abgewickelt wird, ist gerade für uns mit einer Ostbiografie keine neue, aber auch keine angenehme Erfahrung», hieß es im Editorial der letzten Nummer.

Die Linke hat sich verändert auch die Redaktion der neuen Zeitschrift ist neu. Neben einigen langjährigen Beschäftigten der RLS spiegelt sie ein Spektrum der radikalen (akademischen) Linken wider. Dieses politische Feld war und ist im Kern der Partei fern und zeigt die Entwicklungen der westdeutschen Linken der späten 90er Jahre. In in einem gewissen Sinne ist sie post-istisch (…-marxistisch, …-strukturalistisch, …-operaistisch…).
Entsprechend ist auch ein tiefgreifender thematischer und ästhetischer Wandel zu erkennen. Statt der Arbeiterklasse als Subjekt und Objekt der Debatte, statt der Diskussion über das historische Erbe der Arbeiterbewegung und des Blicks auf Osteuropa sowie einer «traditionellen» Gestaltung dominieren nun die (außerparlamentarische) politische und (parlamentarische) parteiliche Linke als Subjekt, der Westen und der globale Süden hinsichtlich der regionalen Perspektive und ein aus deutschen Industrienormen ausbrechendes Papierformat mit künstlerischer Bebilderung.

Die Gefahr der Geschichtslosigkeit
Es gibt wahrlich keinen Grund, die Vergangenheit zu glorifizieren, auch nicht die der Utopie kreativ. Es ist der Zeitschrift nur wenig gelungen, die Bedeutung einer Reihe ihrer Debatten einer jüngeren Leserschaft zu vermitteln. Warum sollen sich in den 90er Jahren politisch sozialisierte junge Menschen mit Ernst Thälmann befassen, welchen Gehalt hat die Stalinisierung der KPD für junge PDS-Mitglieder usw. Eric Hobsbawm hat schon vor über 15 Jahren auf den Gegenwartsbezug und die Geschichtslosigkeit unserer Zeit hingewiesen. Sozialistische Theorie und Geschichtsschreibung muss sich diesen Vorausetzungen stellen.

Bei LuXemburg hat man jedoch den Eindruck, dass Geschichte erst mit Seattle 1999 beginnt (siehe die Debatte in Heft 2), dass das Verhältnis von Partei und Bewegung sich erst an Rifondazione Comunista untersuchen lässt. Diese Geschichtslosigkeit hinterlässt eine gravierende Lücke, nämlich die Auseinandersetzung mit der (historischen) Sozialdemokratie und deren ein knappes dreiviertel Jahrhundert währender Kampf um Integration in die bürgerliche Gesellschaft (vom Gothaer Vereinigungsparteitag 1875 bis zum Programmparteitag in Bad Godesberg 1959). Die Auseinandersetzung hiermit würde möglicherweise mit einigen Illusionen innerhalb der radikalen Linken aufräumen vor allem hinsichtlich eines «Green New Deal».

Die politische Option
«Der ganze politische Raum ändert sich» und auch «die gesellschaftliche Linke muss sich verändern, sich neu zusammensetzen», so die Redaktion im Editorial. Im Zentrum dieser Neuzusammensetzung steht etwas Banales, ein rot-rot-grünes Regierungsbündnis. In einem Strategiepapier des Instituts für Gesellschaftsanalyse der RLS (Heft 1), an dem auch die Mehrheit der Redaktion beteiligt war, wird ein sog. «Mitte-Unten-Bündnis» angestrebt, und so wie es dort diskutiert wird, nämlich nur hinsichtlich parteipolitischer Optionen, stellt es lediglich ein Regierungsbündnis dar (für die fundierte Entgegnung von Christoph Jünke und Daniel Kreutz siehe SoZ 3/10).

LuXemburg bietet eine Reihe interessanter Artikel. Aufsätze von Frank Deppe oder Georg Fülberth sind lesenswert, aber sicher noch kein Alleinstellungsmerkmal. Ein Interview mit Giovanni Arrighi über den Aufstieg Chinas zur Weltmacht, Aufsätze von Susan George, David Harvey oder Hilary Wainwright öffnen dagegen den Blick auf das internationale Geschehen, was der deutschen Linken sicher nur gut tun kann. Da die Übersetzung internationaler Kämpfe auf die deutschen Verhältnisse jedoch dem Parteizentrum der LINKEN überlassen wird (Gregor Gysi, Katja Kipping oder Horst Kahrs), und da das in der Redaktion vertretene Spektrum der radikalen Linken sich Illusionen hinsichtlich eines neuen «Großprojekts» hingibt, wird die Wirkung auf die deutsche Linke gering sein. Vielleicht lassen sich hierüber noch der ein oder andere Teil der radikalen (Interventionistischen) Linken in die Parteipolitik integrieren, viel mehr aber auch nicht.

LuXemburg – Gesellschaftsanalyse und linke Praxis (hrsg. vom Vorstand der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Erscheinungsweise: viermal im Jahr. Einzelbestellungen und Abos an VSA Verlag.

mailto:luxemburg@vsa-verlag.de; www.zeitschrift-luxemburg.de/

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