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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 04/2010
Griechenland und die EU
von Angela Klein

Dass Griechenland in die Krise geraten ist, hat nicht nur mit dem Angriff angelsächsischer Spekulanten zu tun, sondern auch mit dem Euro und der Konstruktion der EU. Die Krise 2008 hat die bestehenden wirtschaftlichen Ungleichgewichte in der Eurozone verschärft.
Es ist keine «Fetakrise». 2009 hatten außer Griechenland (12,7%) auch Spanien (12,5%) und Irland (11,2%) ein Haushaltsdefizit von über 10%. Eine Staatsverschuldung über dem erwirtschafteten Bruttoinlandsprodukt (über 100%) weist auch Italien (114,6%) auf (Griechenland 112,6%). Deutschland und Frankreich überschreiten seit 2002 jedes Jahr die 3%-Marke beim Haushaltsdefizit und lagen beide auch schon über 4%.

Tatsache ist, dass die chronische Überakkumulation von Kapital und die neoliberale Krisenbewältigung die Verschuldung aller Staaten in die Höhe treibt. Die Einführung des Euro konnte daran nichts ändern. In Euroland kommt jedoch die besondere Tatsache hinzu, dass die Wirtschaftsdynamik ihrer Mitglieder seit Jahren auseinander driftet, was u.a. in der Entwicklung ihrer Leistungsbilanzen zum Ausdruck kommt. Die EU-Verträge und der Stabilitätspakt schließen jedoch  Mechanismen aus, die mit den Folgen der ungleichen Entwicklung umgehen könnten.

Die Ursprünge des Euro
Die gemeinsame europäische Währung, die am 1.1.1999 als Buchgeld, am 1.1.2001 als Bargeld eingeführt wurde, war eine späte Reaktion auf die Aufkündigung der Goldbindung des US-Dollar in den frühen 70er Jahren und der daraus folgenden Freigabe der Wechselkurse zwischen den Währungen der sog. westlichen Welt.
Die Staaten der damaligen Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) wollten sich gegen mögliche Devisenspekulationen schützen, indem sie untereinander ein Regime fester Wechselkurse einführten, was auch den Austausch von Waren und Kapital untereinander erleichtern und verbilligen sollte. 1972 wurde dafür der Europäische Wechselkursverbund (die «Währungsschlange»), 1979 das Europäische Währungssystem (EWS) gegründet.

Die Europäische Einheitsakte 1986 liberalisierte den Kapitalverkehr. Damit dies nicht zu einer Einladung an Spekulanten würde, forderten viele EWG-Länder die Schaffung einer gemeinsamen Währung. Deutschland widersetzte sich diesem Ansinnen massiv; es wollte schon damals seine Interessen nicht ausschließlich mit der EU verbinden, sondern Global Player sein, im Wettstreit mit den USA und Japan.

Die D-Mark war zudem so stark, dass die Bundesbank den EWG-Ländern faktisch ihre Geldpolitik aufdrücken konnte. Erst der Fall der Mauer machte Deutschland von seinen europäischen Partnern abhängig: Die Zustimmung zum Euro war Deutschlands Preis für die Wiedervereinigung.

Ein neues Vertragswerk wurde nun erforderlich: Was bislang eine Freihandelszone gewesen war, wurde nun ergänzt durch eine gemeinsame Währung und eine politische Union, die EU. Die Verträge von Maastricht gossen die neuen Verhältnisse in eine juristische Form. Teil davon ist der Stabilitäts- und Wachstumspakt, der sich vor allem mit dem Namen von Theo Waigel verbindet. Darin wollte Deutschland allen EU-Staaten ungeachtet ihrer Wirtschaftsstärke dieselbe strikte Haushaltsdisziplin auferlegen. Fünf Kriterien für die Aufnahme in die Eurozone wurden definiert:

* eine Inflationsrate, die jene der drei Länder mit der geringsten Preissteigerungsrate um höchstens 1,5 Prozentpunkte übersteigt;
* ein Kapitalmarktzins (für langfristige Zinsen), der höchstens 2 Prozentpunkte über dem der drei Länder mit den niedrigsten Zinssätzen liegt;
* ein Haushaltsdefizit von max. 3% des BIP;
* ein Defizit der öffentlichen Haushalte von max. 60% des BIP;
* in den zwei Jahren vor der Aufnahme ins Euroland durfte das Land seine Währung nicht abgewertet haben.

Das Finanzdiktat
Der Stabilitätspakt sollte die Inflationsrate und die Staatsverschuldung in der EU unter Kontrolle halten. Der Euro kam der exportorientierten deutschen Wirtschaft zwar recht, auch ihren Banken, erleichterte sie doch die Durchdringung europäischer Märkte mit deutschen Waren, Unternehmen und Finanzdienstleistungen. Dazu gehörte unbedingt auch Griechenland.

Für die Folgen des sich daraus ergebenden wirtschaftlichen Gefälles wollte Deutschland jedoch nicht aufkommen. Auch bei gemeinsamer Währung wollte Waigel keine Verantwortung für die europäische Wirtschaftsentwicklung übernehmen. Der von ihm diktierte Stabilitätspakt verlangt die genannten gemeinsamen Obergrenzen für Inflation, Haushalts- und Staatsverschuldung und beauftragt die Europäische Zentralbank damit, diese zu überwachen und einen gemeinsamen Leitzins festzulegen. Er hält dabei die Fiktion aufrecht, die nationalen Wirtschaften im Euroraum seien unabhängig und zudem auch noch annähernd gleich stark.

Vorstöße für eine sog. Wirtschaftsregierung, wie sie Frankreich immer wieder vorgebracht (und die Lafontaine als einziger deutscher Politiker von Rang übernommen) hat, hat Deutschland stets empört zurückgewiesen. Der Stabilitätspakt verbietet ausdrücklich, dass ein Land der Eurozone ein anderes bei Schieflagen unterstützt. Er ist Neoliberalismus pur: Nicht die Angleichung der Wirtschafts- und Lebensverhältnisse ist sein Ziel, sondern die Entgrenzung der Konkurrenz innerhalb der EU: Konkurrenz um die niedrigsten Steuern, die niedrigsten Löhne und Sozialausgaben.

Dies hat Ende der 90er Jahre dazu geführt, dass die Regierungen der Länder des Südens ihren Bevölkerungen drastische Sparpakete verordnen mussten, damit sie beim Eintritt in den Euro den Maastricht-Kriterien annähernd genügten. Der Lebensstandard wurde in diesen Ländern (gegen starke Proteste) erheblich gesenkt, das hat ihre Wirtschaft aber nicht konkurrenzfähiger gemacht. Ausreißer wie Irland haben sich einen kurzen Frühling mit riskanten Finanzgeschäften erkauft.

Im ersten Jahrzehnt des Euro haben die wirtschaftlichen Ungleichgewichte stark zugenommen, darüber gibt die Entwicklung der Leistungsbilanz ihrer Mitgliedsländer Auskunft (siehe Tabelle). Die Krise von 2008 hat dann in allen Ländern der Eurozone-12 die Sicherungen durchgeschlagen, weil alle kostspielige Rettungspakete für die Banken geschnürt haben.

Die Tücken des Euro
Wirtschaftliche Stärken und Schwächen schlagen sich im Allgemeinen in der Währung eines Landes nieder. Ein Land, das den Finanzsektor der Welt dominiert wie die USA, oder das laufend hohe Exportüberschüsse produziert wie Deutschland, hat eine «starke» Währung. Länder, die hauptsächlich für den eigenen Binnenmarkt produzieren oder auf dem internationalen Markt weniger wettbewerbsfähig sind, haben eine schwächere Währung. Die Eurozone vereinigt wenige «starke» und viele «schwache» Länder.

Gibt es nun eine gemeinsame Währung und einen gemeinsamen, von der EZB festgelegten Leitzins, kann das Ungleichgewicht nicht mehr durch Abwertung ausgeglichen werden. Es bleiben dann nur noch drei Möglichkeiten, ein Defizit auszugleichen: die Preissteigerung, die Verschuldung und die Senkung öffentlicher Ausgaben sowie der Löhne und Sozialausgaben zu Lasten der abhängig Beschäftigten.

Die bei uns verächtlich Club Med genannten Länder Südeuropas hatten ein Interesse daran, dem Euro beizutreten, weil ihr Leitzins deutlich über dem deutschen lag. Niedrigere Zinsen bedeuteten für sie, dass sie ihre Schulden senken konnten. Sie unternahmen große Anstrengungen, um die Maastricht-Kriterien zu erfüllen, und setzten eiserne Sparpakete durch. Das reichte jedoch nicht aus, um ihre Wirtschaftskraft anzugleichen. Sie mussten überdies eine höhere Inflation zulassen und nahmen Zuflucht zu einer höheren Verschuldung.

Setzt man 1997 = 100, ist die Preissteigerungsrate bis 2009 in Italien auf 130,6, in Spanien auf 139,2, in Griechenland auf 146,4 gestiegen, in Deutschland hingegen auf 119,2, in Frankreich auf 121,9. Das Niveau der Staatsverschuldung ist in den einzelnen Ländern im Vergleich zu 1999 annähernd gleich hoch geblieben, die Schere konnte nicht geschlossen werden.

Defizite und Überschüsse
Nach einer Phase der stärkeren Konzentration auf den Binnenmarkt in den 90er Jahren, bedingt durch die deutsche Einheit, hat Deutschland ab 2002 eine neue Exportoffensive, auch gegen die anderen Länder der Eurozone, eingeläutet. 1999 war Deutschlands Leistungsbilanz noch negativ, 2001 ausgeglichen; seitdem hat sie rabiat abgehoben und einen Überschuss von 235 Mrd. US-Dollar (= 173 Mrd. Euro) erreicht. Die abhängig Beschäftigten in Deutschland kam der Titel des Exportweltmeisters teuer zu stehen. Sie mussten mit den Hartz-Gesetzen und einer dauerhaften Senkung der Reallöhne, zuletzt auch der Bruttolöhne dafür bezahlen.
Nur Österreich, Luxemburg und die Niederlande konnten in viel kleinerem Umfang Deutschland auf diesem Weg folgen, Finnlands Überschuss bewegt sich seit zehn Jahren auf etwa demselben Niveau. Alle anderen Länder, einschließlich Frankreich, sind in diesem Zeitraum entweder von einer positiven Leistungsbilanz in eine negative gerutscht, oder sie haben ihr Minus vergrößert, wie Griechenland.

Angesichts der Größe der deutschen Wirtschaft und der Tatsache, dass die Hälfte der deutschen Exporte in die Eurozone gehen, gibt es einen natürlichen Zusammenhang zwischen dem deutschen Überschuss und dem Defizit der anderen Euroländer. Deutsche Waren und Dienstleistungen verdrängen griechische, spanische, portugiesische etc. Waren und Dienstleistungen was man leicht an der Eröffnung von Lidl- und Aldi-Filialen in diesen Ländern ablesen kann.

Viele Griechen wollten den Beitritt zum Euro nicht. Vor allem die radikale Linke hat gewarnt, dies werde mit drastischen Sparprogrammen bezahlt werden müssen. Es waren die griechischen Reeder und Banken, die sich den europäischen Markt leichter erschließen wollten die herrschende Elite in Griechenland ist Teil der europäischen und internationalen Finanzoligarchie.

Die Einführung des Euro hat die wirtschaftlichen Probleme Griechenlands verschärft. Die eigene Industrie ist praktisch verschwunden. Das Land hängt vom Tourismus, dem Schiffsbau und den Banken ab. Alle drei Sektoren haben in der Krise 2008 einen schweren Rückschlag erlitten. «Wofür geben wir unsere Schulden aus? Für deutsche Autos. Griechenland ist einer der größten Importeure von Mercedes auf der Welt», zitiert der britische Independent (11.2.) einen linken Kommentator.

Seit der Einführung des Euro geben in Griechenland europäische Banken und Konzerne den Ton an, darunter die Deutsche Bank, Siemens, die Telecom, Discounter. Die Lebensmittelpreise werden von deutschen und französischen Agrarkonzernen bestimmt und liegen weit über dem europäischen Durchschnitt, während das Durchschnittseinkommen weit unter dem europäischen Durchschnitt liegt.

Siemens hat nicht weniger als sieben Werke in Griechenland. Die Telekom hat das ehemals staatliche Telekommunikationsunternehmen OTE übernommen. Die Steigerung der öffentlichen Verschuldung beruht jedoch in erster Linie auf den gestiegenen Rüstungsausgaben. Der größte Rüstungslieferant ist Deutschland. Dafür werden jährlich 4,5–5% des BIP aufgewendet.

Übrigens ist interessant, dass laut Tabelle die griechische Handelsbilanz in der Eurozone seit der Einführung des Euro, also zwischen 2001 und 2009, nur um 4 Mrd. zurückgegangen ist, während die Leistungsbilanz im selben Zeitraum um 24 Mrd. sank. Die Leistungsbilanz umfasst neben dem Außenhandel mit Waren auch den mit Dienstleistungen, worunter neben Reiseverkehr, Transport- und Versicherungsleistungen auch Kapitalerträge fallen. Anders gesagt, muss es in diesem Zeitraum einen massiven Kapitalabfluss aus Griechenland in andere Länder der Eurozone gegeben haben.

Deutsche Banken und Konzerne haben am griechischen Defizit gut verdient. Die deutsche Regierung kann jetzt nicht so tun, als sei das alles nur ein Problem der Griechen. Die Frage nach den Grundlagen des Euro und dem Zusammenhalt der Europäischen Union steht wieder auf der Tagesordnung.

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