von Tobias Michel
Stand Frank Bsirske samt seinem Bundesvorstand mit beiden Füßen auf der Bremse? Anfang Winter, bei der Aufstellung der Tarifforderung, erlebten viele Ver.di-Aktivisten ihren Vorsitzenden ganz anders als noch zwei Jahre zuvor.
Diesmal säte er Zweifel an der Kampffähigkeit und wischte die bloße Diskussion über Arbeitszeitverkürzung beiseite. Unter dem Eindruck der heraufziehenden Wirtschaftskrise seien die Arbeitgeber beinhart, die Beschäftigten dagegen verzagt. Die taktischen Finessen beschränkten sich da alsbald auf ein handliches Paket für den Schlichter und das Durchzählen einer wenigstens knappen Mehrheit im Arbeitgeberlager.
Aus solchen gewerkschaftlichen Orientierungstreffen kehrten die Vertrauensleute mit der Losung in ihren Betrieb zurück: «Das wird wohl nichts, wir sollten keine Erwartungen wecken, für die wir kurz danach in den Betriebsratswahlen die Quittung bekommen.» Alle konnten sich an den fünf Fingern abzählen, dass aus Berlin Anfang Februar zu Warnstreiks gerufen würde. Doch wurde dieser logische und absehbare Schritt als Geheimsache vorausgetuschelt mit dem ausdrücklichen Zusatz: «Nicht weitersagen!» Die Verkehrsbetriebe und Stadtverwaltungen bekamen gerade einmal einen Vorlauf von zwei Tagen, um die Belegschaften zu den Kundgebungen zu rufen. Den Krankenhäusern wurde aufgegeben, in nur einem einzigen Tag zu mobilisieren und einen vorgezogenen Extra-Warnstreiktag vorzuführen. Doch um auf den bloßen Zuruf der gewerkschaftlichen Führung hin die Schrubber, Skalpelle und Schürzen beiseite zu legen, dazu werden wir erst noch einige Jahre die betrieblichen Reflexe einüben müssen. Die meisten Flugblätter landeten diesmal als unverteilte Stapel in den Papiertonnen.
Was in den Presseerklärungen noch als «überraschend» starke Beteiligung hingestellt wurde, genügte in den Tarifkommissionen und bezirklichen Aktionsausschüssen zur beklemmenden Einsicht: «Mehr ist nicht drin.» Und so wurde vielerorts das Schlichtungsergebnis auch erleichtert aufgenommen. Die Ausweitung des leistungsgebundenen «LOB» – die Öffnung für bis zu zwei zusätzliche Jahre Arbeit nach erreichtem Rentenbeginn, die zweijährige Laufzeit – all das erfahren wir erst in den kompletten und oft verschrobenen Details, wenn in einigen Monaten die tatsächlichen Tariftexte rumgemailt werden.
Zugleich wurde eine unheilträchtige Prozessvereinbarung ausgehandelt über den Weg zu einer komplett neuen Eingruppierungsordnung. Sie bietet auch Chancen. Wir können in den kommenden Monaten die Tarifauseinandersetzung wieder und weiter in die Betriebe tragen.
mailto:tobias.michel@krupp-krankenhaus.de
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