Das Berliner Verfassungsgericht hat das Volksbegehren über die Wasserprivatisierung in Berlin für zulässig erklärt.
Vor zehn Jahren wurden die Berliner Wasserbetriebe über eine Holding AG teilprivatisiert – das war die größte Teilprivatisierung eines Wasserversorgers in der EU. Die Folgen waren Personalabbau, Investitionsabsenkung, die Schließung von drei Wasserwerken, der Verlust von rund 30 km2 Trinkwasserschutzgebiet und im internationalen Städtevergleich mit die höchsten Wasserpreise. Jede Privatisierung und Teilprivatisierung wird flankiert von «Geheimverträgen», in denen private Investoren, hier RWE Aqua und Veolia Wasser, ihre Interessen absichern.
Die Bürgerinitiative «Berliner Wassertisch» startete 2007 ein Volksbegehren zur vorbehaltlosen Offenlegung der Verträge. 40000 Berliner unterzeichneten den Zulassungsantrag, trotzdem wollte der Senat das Volksbegehren nicht zulassen, weil es gegen «höheres Recht» und gegen die kapitalistischen «Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse» verstoße. Der Wassertisch legte daraufhin Einspruch beim Berliner Verfassungsgerichtshof ein – und gewann.
Wie geht es jetzt weiter?
Das Berliner Verfassungsgericht hat entschieden, dass das Volksbegehren zugelassen werden muss. Der Senat hält dennoch an seiner Meinung fest, es verstoße gegen höherrangiges Recht. Wie ist das zu verstehen?
Der Senat ist als Vertragspartner eindeutig befangen und hat in seiner Rolle als Komplize kein Interesse daran, dass rechtswidrige Verträge zu Lasten Dritter offen gelegt werden. Darum ignoriert er die Gestaltungsspielräume, die alle neun Verfassungsrichter in ihrem einstimmigen Urteil aufgezeigt haben. Denn das Urteil stellt unmissverständlich heraus, dass die Gesetzgebungskompetenz beim Land Berlin liegt und nicht, wie zuvor unterstellt, beim Bund.
Wie kommt ihr zu der Überzeugung, dass die Geheimverträge rechtswidrig sind?
Uns haben Insider Passagen verschiedener Geheimverträge zugespielt, die im Zusammenhang mit der Teilprivatisierung abgeschlossen wurden. Neben der Drittwirkung besteht der rechtspolitische Skandal in den Vertragsklauseln, die den garantierten Gewinnanspruch der privaten Konzerne RWE Aqua und Veolia Wasser unangreifbar machen und außerhalb des Rechtsstaates stellen. Das bedeutet: Egal, was der Gesetzgeber beschließt, egal, wie die Rechtsprechung entscheidet: Die Gewinne müssen mindestens bis zum Jahr 2028 ausgezahlt werden, notfalls sogar aus dem verschuldeten Haushalt. Wir sind überzeugt, dass diese Klausel nicht nur anfechtbar ist, sondern dass sich aus einer erfolgreichen Anfechtung sogar Schadensersatzansprüche der Bevölkerung ableiten lassen.
Die Abgeordneten hatten bis Ende Februar Zeit, sich zum Volksbegehren zu positionieren. Gibt es bereits Reaktionen aus dem Abgeordnetenhaus?
Wir haben im Dezember einen parlamentarischen Abend veranstaltet, an dem sich alle Abgeordneten politisch für Transparenz aussprachen, aber zugleich gegenüber unserem Gesetzestext juristische Bedenken konstruierten. Es wurden Schreckensszenarien an die Wand gemalt, wonach die Konzerne das Land Berlin mit Schadensersatzansprüchen überziehen würden, weil ihr Betriebs- und Geschäftsgeheimnis angeblich verletzt und ihnen dadurch Schaden entstehen würde.
Ein Schaden bei einem natürlichen Monopol?
Das ist ja die Farce: Zwei private Konzerne, RWE Aqua und Veolia Wasser, zwei «Partner» in Berlin, die beide wissen, was in den Verträgen steht, ansonsten aber auf dem weltweiten Wassermarkt Konkurrenten sind, klagen übereinstimmend, ihnen würde auf dem internationalen Markt Schaden entstehen. Außerdem – und das ist die entscheidende Frage – steht überhaupt nicht fest, ob sich private Konzerne als juristische Personen auf ihren Grundrechtsschutz berufen können.
Kannst du das erklären?
Der Staat kann sich nicht auf Grundrechte berufen, er ist der Grundrechtsbindung unterworfen, auch wenn er sich wirtschaftlich betätigt. Er darf sich folglich nicht ins Privatrecht flüchten. Was geschieht jedoch, wenn der Staat mit privatrechtlich organisierten Unternehmen eine so genannte Öffentlich-Private Partnerschaft eingeht? Wir vertreten die Meinung, dass in einem natürlichen Monopol wie der Wasserversorgung kein Wettbewerb besteht und daher private Konzerne wir staatliche Unternehmen zu behandeln sind, sie also der Grundrechtsbindung unterliegen und keinen Grundrechtsschutz haben.
Das bedeutet, sie können sich nicht auf Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse berufen.
Genau diese zentrale Frage berührt unser Gesetzestext. Der Wirtschaftsjurist Prof. Keßler von der Verbraucherzentrale hat betont, diese Frage sei juristisch noch nicht abschließend geklärt. Darum wäre es gut, wenn das Abgeordnetenhaus unser Volksgesetz beschließen würde. Wenn aber Konzerne der Meinung sind, dass Gesetze gegen ihre Rechte verstoßen, dann sollen sie vor Gericht klagen! Das hätte den Vorteil, dass wir in dieser wichtigen offenen Rechtsfrage eine abschliessende Klärung durch Richterspruch bekämen.
Ist die Hoffnung nicht naiv, dass die Gerichte der profitablen Geheimniskrämerei ein Ende bereiten?
Ich glaube, dass auch in den Köpfen der politisch-juristischen Leistungselite ein Umdenken stattfindet. Ich erinnere an das einstimmige Urteil des Verfassungsgerichtshofs. Alle Richter haben entschieden, dass der Inhalt unseres Gesetzes in den Zuständigkeitsbereich der Landesgesetzgebung fällt – was bisher von allen Seiten bestritten wurde. Außerdem sind die fiskalpolitischen Folgen der geheimen Cross-Border-Leasing-Verträge allen ein Dorn im Auge. Daher ist unsere Initiative davon überzeugt, dass die Zeichen der Zeit für mehr Transparenz stehen. Das bedeutet leider nicht, dass damit der Weg für die Vergesellschaftung der Produktionsmittel frei ist. Aber die Vergesellschaftung der Informationen im Bereich der monopolistischen Daseinsvorsorge ist ein erster, wichtiger, grundlegender Schritt, der in seiner Bedeutung und Tragweite von vielen Linken nicht richtig erkannt wird – ganz im Gegensatz zum neoliberalen Lager, das diesen Schritt mit allen Kräften verhindern will!
Wie geht es weiter? Vermutlich wird das Abgeordnetenhaus ein eigenes Gesetz einbringen wollen?
Richtig. Statt dass die Abgeordneten unseren Entwurf eins zu eins übernehmen, wollen die Regierungsfraktionen das Informationsfreiheitsgesetz novellieren. Doch im Entwurf der Regierungsfraktionen wird den Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen immer noch ein viel zu hoher Stellenwert eingeräumt, so dass wir voraussichtlich Mitte des Jahres in die zweite Stufe des Volksbegehrens gehen und in vier Monaten 170000 Unterschriften für unser Volksgesetz sammeln.
Ist das zu schaffen?
Einer unserer Aktiven, der Schauspieler Jean-Theo von der Berliner Compagnie, hat ganz pragmatisch eine Berechnung durchgeführt, die hoffnungsvoll stimmt. Wenn wir 100 aktive Sammler haben, dann müsste in den 120 Tagen bzw. vier Monaten jeder von ihnen an jedem Tag 17 Unterschriften bzw. in der Woche etwas über 100 Unterschriften sammeln. Dann hätten wir mehr als die benötigten 170.000 Unterschriften zusammen. Das sollte doch wirklich zu schaffen sein. Darum sammeln wir nicht nur Geldspenden, sondern vor allem Zeitspenden, also Menschen, die Lust haben, ein paar Stunden in der Woche zu spenden, um sich beim Unterschriftensammeln aktiv einzubringen.
Kontoverbindung und weitere Infos auf www.berliner-wassertisch.net/
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