Interview mit Wolfgang Zimmermann
Am 9.Mai wird in NRW ein neuer Landtag gewählt. DIE LINKE hat erstmals die Chance, in den Landtag einzuziehen. Gleichzeitig steht die bisherige Mehrheit für Schwarz-Gelb auf der Kippe. Über die damit verbundene Herausforderung sprach die SoZ mit dem Landessprecher Wolfgang Zimmermann.
Ihr fordert in eurem Dringlichkeitsprogramm ein Zukunftsinvestitionsprogramm für Bildung, Gesundheitsversorgung und öffentliche Infrastruktur mit sozialversicherungspflichtigen und tariflich bezahlten Arbeitsplätzen im Öffentlichen Dienst. In welchem Verhältnis steht das zu dem in der LINKEN seit längerem propagierten öffentlichen Beschäftigungssektor (ÖBS)?
Wir sind in NRW der Auffassung, dass es darauf ankommt, im öffentlichen Dienst zusätzliche normale, sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze zu schaffen. Die Menschen müssen für ihre Arbeit angemessen bezahlt und abgesichert werden. Bei einem ÖBS besteht die Gefahr, dass öffentliche Aufgaben in diese ausgelagert werden. Wir sind der Auffassung, dass alles, was privatisiert worden ist, wieder rückgeführt werden soll in kommunales Eigentum. Allein dadurch würde es schon eine Ausweitung von öffentlichen Stellen geben.
Das setzt voraus, dass man an der Regierung das eigene Programm voll durchsetzen kann. Die politische Realität ist aber eine andere. Ich möchte herausfinden, wo die Messlatten, die ihr eingezogen habt, halten, und wo sie gerissen werden können.
Die Messlatte ist im Landtagswahlprogramm beschrieben: Wir unterstützen keine Regierung, die Sozialabbau, Stellenabbau und die Privatisierung öffentlichen Eigentums betreibt und die nicht dafür sorgt, die Arbeits- und Lebensbedingungen der Menschen deutlich zu verbessern.
Das ist eine sehr defensive Formulierung. Diese Haltelinie sagt, es darf nicht schlechter werden. Sie sagt nicht: Wir wollen positiv das und jenes machen, und wenn wir das nicht umsetzen können, dann ist mit uns auch nichts zu machen.
Man kann das eine nicht gegen das andere stellen: Wir treten beispielsweise für ein Sozialticket ein, für Sozialtarife bei Strom und Gas, für eine Schule für alle, wir wollen die Studiengebühren abschaffen – da fassen wir unsere Forderungen positiv. Dann sagen wir aber auch negativ, was wir auf keinen Fall tun werden.
An manchen Stellen des Programms hat man den Eindruck, es ist aus der Sicht von Abgeordneten geschrieben, die auf der Oppositionsbank sitzen. An manchen anderen Stellen ist die Rede von Politikwechsel, da hat man den Eindruck, es ist geschrieben in Hinblick auf eine mögliche Regierungsdiskussion. Welche Perspektive ist denn nun gemeint?
Beides. Denn beides ist möglich. Es ist möglich, dass wir in der Opposition bleiben, und es ist prinzipiell möglich, dass wir an einer Regierung beteiligt sind, wenn die Bedingungen stimmen – wenn sich SPD und Grüne also auf unsere entscheidenden politischen Positionen zubewegt haben. Wenn man in rein parlamentarischen Kategorien denkt, kann man in einem Parlament in der Regel nur etwas durchsetzen, wenn man an der Regierung ist. In dem Falle wollen wir unsere Forderungen durchsetzen. In dem anderen, der viel wahrscheinlicher ist, dass wir nämlich in der Opposition bleiben, wollen wir unsere Initiativen ins Parlament einbringen – nur werden sie dann nicht umgesetzt.
Findest du dieses Herangehen nicht etwas abstrakt? Es geht doch um eine Einschätzung der SPD heute und was man mit ihr anfangen kann.
Es gibt bestimmte Vorstellungen, die wir mit ihr umsetzen könnten, z.B. die Wiedereinführung der Mitbestimmung – sofern sie sich an das hält, was sie jetzt verspricht. Kein Personalrat im ÖD würde es verstehen, wenn wir das nicht mittragen, obwohl wir eine weitergehende Mitbestimmung wollen. Oder die Abschaffung der Studiengebühren: Das würde die SPD machen müssen. Nur die Gebühren für Langzeitstudierende, die sie selber eingeführt hat, könnte sie beibehalten. Wir sind für die völlige Abschaffung der Studiengebühren. Aber auch da gilt dasselbe: Kein Studierender würde es verstehen, wenn wir zur Abschaffung der allgemeinen Studiengebühren deswegen Nein sagen würden.
Ich meine «abstrakt» in einem politischen Sinn. Eure Linie ist ja zu sagen: Verschlechterungen sind mit uns nicht zu machen. Das setzt aber voraus, dass die SPD bereit wäre, zu einem Zustand zurückzukehren, den es vor Rüttgers, vielleicht sogar vor Clement gab. Kann man das noch von einer SPD erwarten, die geprägt ist von der Agenda 2010, von der sie auch nicht wirklich abrückt?
Nein. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt sieht es so aus, dass die SPD an der Agenda 2010 grundsätzlich festhält, auch grundsätzlich an der Hartz-Gesetzgebung, und dass sie bestenfalls bereit ist, einige Korrekturen vorzunehmen. Das reicht uns nicht. Wir sind sowieso misstrauisch gegenüber SPD und Grünen, weil sie in zwei Legislaturperioden in NRW und auch im Bund eine entgegengesetzte Politik gemacht haben. Das legt den Schluss nahe, dass SPD und Grüne sich in der Opposition sehr sozial gebärden, wenn sie an der Regierung sind aber genau das Gegenteil tun.
Beide Parteien sind sehr beliebig und inhaltsleer, sie erzählen heute dies, morgen das. Kraft sagt, sie will uns aus dem Landtag raushalten, trotzdem schließt sie nicht aus, unter Umständen mit uns zusammen zu arbeiten; Gabriel erzählt, dass man mit uns nicht zusammenarbeiten darf; Steinmeier ist wieder bereit, auf uns zuzugehen – da herrscht fröhliche Kakofonie. Was uns betrifft, weiß die SPD nicht, was sie will, ist aber bereit, mit den anderen Parteien zusammenzugehen. Da stellt sich sofort die Frage, wie sie denn mit diesen ihr Programm durchsetzen will – eine Schule für alle, Abschaffung der Studiengebühren, Wiedereinführung der Mitbestimmung – all das, was CDU und FDP nicht wollen?
Bei den Grünen ist es ähnlich, die sind auch zu Schwarz-Grün bereit. Auch sie agieren völlig losgelöst von Inhalten, denn sie wissen ganz genau, dass die CDU für den Bau von weiteren Kohlekraftwerken und gegen die Mitbestimmung im Öffentlichen Dienst steht und für das mehrgliedrige Schulsystem. Beiden Parteien geht es allein um Machtpositionen. Wir sind die einzige Partei, die nach Inhalten entscheidet.
Eigentlich ist das eine Steilvorlage – auch die Äußerungen von Kraft, einen sog. sozialen Arbeitsmarkt zu schaffen –, SPD und Grüne hart anzugehen, wenn sie nicht einmal in der Lage sind, auf alte sozialstaatliche Positionen zurückzukommen.
Richtig, nur muss man dabei zweigleisig fahren: Einerseits erklären wir, dass wir zur Zusammenarbeit bereit sind, wenn sie ihre alte Politik aufgeben. Andererseits sprechen wir ihnen ihr Misstrauen aus und kritisieren sie für ihre Regierungspolitik in der Vergangenheit. Diese Doppelstrategie muss man verfolgen, weil das Spiel von SPD und Grünen nicht allen klar ist. Zu sagen, wir arbeiten auf keinen Fall mit anderen Parteien zusammen, gleich um welche Inhalte es sich handelt, wäre falsch.
Das wäre auch nicht die Aussage. Die Aussage wäre: Alle diese Parteien haben kein Programm, das mehr soziale Gerechtigkeit in der Bundesrepublik schafft, und deswegen wüssten wir nicht, mit wem wir da zusammen arbeiten können.
Das ist nur bedingt so. Schau dir mal das SPD-Programm für diese Landtagswahl an. In Teilen klingt es wie abgeschrieben, aber nur in Teilen. Deshalb muss man da vorsichtig rangehen. Im gewerkschaftlichen Bereich hat auch die SPD Themen wie Mindestlohn, Vergabegesetz oder Mitbestimmung auf der Agenda, wenn auch nicht so weitgehend wie wir.
Gewerkschaftskollegen sagen dann aber: Wir kriegen wieder eine Mitbestimmung, wenn es Rot-Rot-Grün gibt, das ist die Stimmung. Ich arbeite ja noch in meinem Betrieb. Hier sind es nicht nur die gewerkschaftliche Funktionsträger, es sind ganz normale Kolleginnen und Kollegen, die sagen: Oh, da habt ihr ja eine Chance, die SPD hat sich ein bisschen geändert. Da muss ich argumentieren: Die hat sich gar nicht geändert, das machen die nur, weil sie in der Opposition sind und weil es DIE LINKE gibt. Dafür bekomme ich teilweise Zustimmung, es gibt aber trotzdem diese Erwartungshaltung.
Es muss sichtbar werden, dass SPD und Grüne die Verantwortung dafür tragen, wenn es nicht zu einem Politikwechsel im Interesse der Mehrheit der Bevölkerung kommt.
Das ist sehr kompliziert gedacht. Vielfach kommt das so rüber, als würdet ihr euch nur Gedanken darüber machen, wie ihr mit der SPD zusammen regieren könnt.
Ich weiß, das ist ein Risiko. Dass muss man aber eingehen. Wir haben mit unserem Dringlichkeitsprogramm und dem Zukunfts- und Investitionsprogramm SPD und Grüne in eine Ecke gedrängt, wo sie es schwer haben rauszukommen. Bild titelte kurz nach unserem außerordentlichen Landesparteitag am 27.Februar: «Was nun Frau Kraft? Die Linke will mit Ihnen den Politikwechsel.» Darauf hatte sie keine Antwort. Als Frau Kraft dann mit dem «Arbeitsdienst» kam, haben wir das massiv angegriffen.
Eure Forderungen sind so formuliert, dass man sich vorstellt, ihr sitzt dann als fleißige Abgeordnete im Landtag und gießt jede von ihnen in einen Antrag oder Gesetzesentwurf. Von euch erwartet man aber mehr.
Am Ende unseres Dringlichkeitsprogramms ist es klar und deutlich formuliert: «Nur gemeinsam mit außerparlamentarischen Kräften und deren Mobilisierung kann DIE LINKE in den Parlamenten Erfolg haben.»
Was heißt das konkret?
Konkret schwebt mir das vor, was unsere Partei in Niedersachsen gemacht hat: Nach der Wahl einen NRW-weiten Ratschlag mit allen gesellschaftlichen Bewegungen, Verbänden und Initiativen durchführen um zu diskutieren, wie eine Zusammenarbeit mit der LINKEN aussehen kann. Auch wie sie eigenständig wirken können, unabhängig von der Partei. Wir wollen keine Stellvertreterpolitik und verstehen uns als Bestandteil des Widerstands gegen die herrschende Politik.
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