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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 04/2010

Vor 90 Jahren entstand und verging die «Rote Ruhrarmee»
von Andreas Bodden
«Wir wollen nicht im Staube kriechen vor denjenigen, die durch den Zufall der Geburt sich ein Von-Oben-Herabblicken anmaßen dürfen.
Wir wollen nicht weiterhin besitzlose Proletarier sein, sondern wir verlangen Miteigentumsrechte an den Produktionsmitteln.
Wir verlangen Miteigentumsrecht an den von uns erzeugten Produkten.
Wir verlangen Eigentumsrecht an den Schätzen, die sich auf und unter der Erde vorfinden.
Wir verlangen das Paradies auf Erden und lassen uns nicht länger mit der Hoffnung auf ein besseres Jenseits abfinden.»1
Das erklärte der Vollzugsrat der Zechenkolonie Lohberg in Dinslaken im März 1920.

Was war geschehen?
Am 13.März 1920 putschten Teile der Armee gegen eine Koalitionsregierung aus SPD, liberaler DDP und katholischem Zentrum. Arbeiterparteien und Gewerkschaften riefen dagegen den Generalstreik aus. Dieser wurde nicht nur von den Arbeitern sondern auch von den Angestellten und Beamten befolgt. In einigen Gegenden bewaffneten sich die streikenden Arbeiter. Nach wenigen Tagen brach der Putsch zusammen, die Regierung kehrte in ihr Amt zurück. Sie «bedankte» sich bei den Arbeitern, indem sie Truppen gegen diese marschieren ließ, die zum Teil noch wenige Tage zuvor gegen die Regierung geputscht hatten. Diese nun zu Regierungstruppen umfirmierten Putschisten richteten unter den aufständischen Arbeitern ein Massaker an. Standgerichte und später auch reguläre Gerichte urteilten viele am Aufstand beteiligte Arbeiter ab, während die Putschisten mit Samthandschuhen angefasst wurden.

bis zum September 2009 Im Juni 1920 bekam die SPD für ihr doppeltes Spiel die Quittung, als sie bei den Wahlen 16,2% verlor und die - bis zum September 2009 - schlimmste Wahlniederlage ihrer Geschichte einsteckte. 13 Jahre später ernannte Paul von Hindenburg – 1920 Sympathisant des Putsches, seit 1925 Präsident der ersten deutschen Republik – Adolf Hitler zum Regierungschef. Unter den Anhängern der neuen Regierung fanden sich viele Putschisten von 1920. Sie hatten doch gewonnen. Die Folgen sind bekannt. Weniger bekannt sind die Vorgänge im Ruhrgebiet, wo in den zwei letzten Wochen des März 1920 der größte proletarische bewaffnete Aufstand in Deutschland seit dem Bauernkrieg 1525 stattfand.2

Ansätze zu einer Rätedemokratie
Das Eingangszitat gibt einen Eindruck davon, was auch heute noch interessant an den Ereignissen im März 1920 ist. Zunächst einmal die Tatsache, dass es wirklich eine Aktion der Arbeiterinnen und Arbeiter war. Intellektuelle waren nur marginal beteiligt und dann waren es oft Lehrer, die die Probleme der Arbeiterfamilien aus beruflicher Erfahrung kannten.3 Die Arbeiter befanden sich im Streik für die verfassungsmäßige Regierung der (bürgerlichen) Republik. Aus diesem Abwehrkampf entwickelten sich weiter reichende Forderungen nach der Vergesellschaftung der Produktionsmittel und nach einem guten Leben für alle Menschen, was in das Bild des «Paradieses auf Erden» gefasst wurde.

Die Bewegung schuf sich eigene Organe – die Aktionsausschüsse und Vollzugsräte. Die Aktionsausschüsse wurden aus den Delegierten der Arbeiterparteien SPD, USPD und KPD sowie Gewerkschaftsvertretern gebildet. In einigen Städten fehlte die SPD, in einigen spielte die anarchosyndikalistische FAU (Freie Arbeiterunion) eine bedeutende Rolle, vor allem im westlichen Ruhrgebiet. Während also im westlichen Ruhrgebiet neben der FAU auch die KPD stark war, dominierte im östlichen Ruhrgebiet die USPD. Die SPD war zwar fast überall vertreten, hatte aber wegen der Politik ihrer Regierungsvertreter in Berlin einen schweren Stand. In der Teilnahme von SPD-Mitgliedern spiegelt sich aber in diesem Fall tatsächlich eine Unzufriedenheit der Basis mit der Parteiführung.

Die Aktionsausschüsse hatten zunächst keine demokratische Legitimation, sondern waren mit Delegierten besetzt. Nach der Vertreibung der Reichswehr nannten sie sich in Vollzugsräte um. In zwei Fällen (Dortmund und Mülheim) wurde nach Neuwahl der Betriebsräte auf einer Rätevollversammlung der Vollzugsrat komplett neu gewählt. In den anderen Orten war das auch angestrebt, erfolgte aber nicht. Dabei muss man aber berücksichtigen, dass der Aufstand nur zwei Wochen dauerte. Es gab also immerhin Ansätze zu einer pluralistischen Rätedemokratie. In ihrer kurzen praktischen Tätigkeit beschränkten sich die Vollzugsräte überwiegend auf die Kontrolle der bestehenden Kommunalverwaltungen und Betriebsleitungen. Die Anarchosyndikalisten versuchten dort, wo sie stark waren, weiterreichende Maßnahmen durchzusetzen. USPD und KPD lehnten das für die Dauer der Kämpfe ab. Als gemeinsames Gremium aller Vollzugsräte wurde am 25.März ein Zentralrat mit Sitz in Essen gebildet.

Das größte Problem war die Versorgung mit Nahrungsmitteln. Das Ruhrgebiet war von Militär umstellt, Nahrungsmitteltransporte kamen nicht durch. Versuche, in den Niederlanden Kohle gegen Nahrungsmittel zu tauschen, scheiterten. Die schwierige Ernährungslage war sicher ein wichtiger Grund für das Scheitern des Aufstands an der Ruhr.

Die Rote Armee
In der Zeit vom 15. bis zum 22.März kam es zu schweren Kämpfen. Als Ergebnis war das gesamte Industriegebiet von Düsseldorf bis Dortmund und vom Bergischen Land bis an die Lippe unter der Kontrolle von etwa 60000 bewaffneten Arbeitern, die Rote Armee genannt wurden. Danach entwickelte sich ein Stellungskrieg entlang der Lippe mit dem Schwerpunkt Wesel, dessen Festung erfolglos von der Roten Armee belagert wurde. Ein zentrales Kommando hatte die Rote Armee nicht, sie war regional organisiert, die wichtigsten Kampfleitungen waren in Hagen und Mülheim.

Eine Besonderheit der Märzrevolution an der Ruhr ist die hohe Beteiligung von Frauen, überwiegend Arbeiterinnen und Arbeiterfrauen. Offiziell waren sie unabhängig von ihrer Tätigkeit immer «Krankenschwestern». Eine völlige Gleichberechtigung als Kämpferinnen gab es auch in der Roten Ruhrarmee nicht. Die rechten Gegner diffamierten diese Frauen als Prostituierte, was nichts über die Frauen in der Roten Armee aber viel über das Frauenbild der konterrevolutionären Kräfte aussagt.

Ende und Ausblick
Carl Severing (SPD), Reichskommissar und preußischer Innenminister, lud die Vertreter der Vollzugsräte, der Kommunalverwaltungen, der Gewerkschaften und des Militärs am 23.März 1920 zu Verhandlungen nach Bielefeld. So konnte er als Vermittler in einem für die Rote Armee militärisch nicht zu gewinnenden Kampf gelten. Er schrieb aber später selber, dass er die Aufständischen spalten wollte, um sie so einfacher schlagen zu können. Severings Rolle darf jedoch nicht überschätzt werden, da einerseits die Reichswehr ihre eigene Politik betrieb und andererseits die Aufstandsbewegung von sich aus nicht einheitlich handelte.

Die Vertreter des westlichen Ruhrgebiets waren nicht nach Bielefeld gekommen, erkannten das Ergebnis nicht an und kämpften weiter. Das nahm die Reichswehrführung zum Anlass entgegen dem Bielefelder Abkommen in das gesamte Ruhrgebiet einzumarschieren und dort eine Schreckensherrschaft zu errichten, der im April 1920 ca. 1000 Menschen zum Opfer fielen. Reguläre Prozesse gab es in dieser Phase gar nicht, vollstreckte standgerichtliche Todesurteile nur etwa 50. Die meisten wurden also von der Soldateska völlig willkürlich ermordet. Dieses Vorgehen wurde mit dem Terror der Roten Ruhrarmee begründet. Es konnten aber nur zwei willkürliche Erschießungen nachgewiesen werden, ansonsten erwies sich der «rote Terror» als Legende.
Die bürgerliche Geschichtsschreibung ignorierte diese Bewegung oder setzte sie im Rahmen der Totalitarismustheorie mit ihren rechten Todfeinden gleich.

Der linke Historiker Erhard Lucas veröffentlichte in den 70er Jahren ein dreibändiges Werk über die Märzrevolution 1920. Dem folgten einige andere Bücher, die aber mittlerweile ebenso wie das Werk von Lucas nur noch antiquarisch zu bekommen sind.

Im Ruhrgebiet wurden nach 1933 den rechten Putschisten Denkmäler gesetzt. Die Erinnerung an den Aufstand wurde unterdrückt und ging verloren. Sie wurde auch nach 1945 nicht wiederbelebt. Die im Ruhrgebiet lange dominierende SPD wollte nicht an ihre Rolle in den ersten Jahren der Weimarer Republik und an ihr Versagen im Kampf gegen den aufkommenden Faschismus erinnert werden. So erinnert auch noch heute wenig an diesen Revolutionsversuch, der ein Glied und eigentlich auch der Abschluss einer Kette von Versuchen seit dem November 1918 war.

Anmerkungen
1. Zitiert nach Ruhrkampf 1920 – Die vergessene Revolution, Essen 1990.
2. Kleinere Aufstände gab es zur gleichen Zeit in Thüringen, der Niederlausitz und Rostock.
3. So z.B. Karl Stemmer, Lehrer aus Bommern bei Hagen, Aktivist der linkssozialdemokratischen USPD, einer der Kampfleiter der Roten Ruhrarmee.

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