Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 05/2010
Der Aufbau eines Politikwechsels läuft nicht primär über den Landtag
von Angela Klein

Die Landtagswahlen in NRW am 9.Mai entscheiden über die Mehrheit im Bundesrat und haben von daher bundespolitische Relevanz. Für die SPD ein Hauptargument, warum man sie wählen soll: Sie will «schwarz-gelbe Vorhaben im Bundesrat verhindern». Arbeiterführer Rüttgers kontert: «Nur ich kann schlimme politische Entscheidungen nach der NRW-Wahl verhindern.»

SPD (und DGB) bemühen gern das schwarz-gelbe Gespenst. Sie schließen ihre Reihen nicht durch Enthusiasmus, sondern durch Angst. Der Reflex funktioniert jedoch nicht mehr reibungslos, aus zwei Gründen: Erstens hat die SPD an der Regierung viel Schlimmeres verbrochen, als die Regierungen vor und (bislang) nach ihr - das gilt auch für die Regierung Clement in NRW. Zweitens hat sich Schwarz-Gelb bislang nicht so dämonenhaft aufgeführt, wie der DGB es vor der Bundestagswahl noch an die Wand malte - aus taktischen Gründen, sicher, aber auch deshalb, weil auch Schwarz-Gelb auf einer Politik der Verständigung, und nicht der Konfrontation, mit den Gewerkschafsführungen aufbaut.

Aus der Sicht der einfachen Wählerin verwischen sich damit die Fronten: Konnte sie in der Konfrontation SPD-Union der 70er und 80er Jahre noch so etwas wie «Millionen gegen Millionäre» erblicken, ist das heute völlig austauschbar geworden. Das Wahlprogramm der SPD und die von ihr plakatierten Parolen geben auch nicht mehr her: Da wird ein bisschen links geblinkt (siehe nebenstehende Spalte). Doch der Schwerpunkt des Wahlprogramms, die Bildung mit der zentralen Forderung nach gemeinsamem Schulunterricht bis zur 6.Klasse, kann auch von Schwarz-Grün umgesetzt werden - siehe Hamburg. Beim Ruf nach dem «Staat als Partner» (als Kontrapunkt zu «Privat vor Staat») möchte man angesichts des Ausverkaufs von öffentlichem Eigentum, den schon die Regierungen Rau und Clement eingeleitet haben, fragen: Partner für wen?

Vielleicht ist ja die Kopfpauschale ein Argument, SPD zu wählen... Im Wahlprogramm heißt es: «Die Kopfpauschale lehnen wir strikt ab.» Und Frau Kraft legt nach: Wir können sie im Bundesrat verhindern.» Das wäre ein gewichtiges Argument, wüsste man nicht, dass es die Schröderregierung war, die die «kleine Kopfpauschale» eingeführt hat: die Deckelung des Arbeitgeberbeitrags bei 7% nämlich.

Es ist deshalb rückwärts gewandt, wenn aus der Pressestelle der LINKEN Signale kommen, als könne mit dieser SPD ein Politikwechsel eingeleitet werden, wie z.B. in folgender Presseerklärung: «Schließlich weiß Kraft doch ganz genau, dass ein Politikwechsel in NRW nur mit der LINKEN möglich ist.»

Warum wird Kraft etwas unterstellt, was sie gar nicht will? Das Retourkutsche an die Adresse der SPD, sie sei «nicht koalitions- und sogar politikunfähig» wirkt lächerlich und geht haarscharf am Problem vorbei. DIE LINKE darf der Öffentlichkeit keinen Sand in die Augen streuen: Mit dieser SPD ist nur eine Regierung zu haben, die die Sanierung der Banken und Konzerne auf Kosten der abhängig Beschäftigten und prekär Lebenden fortsetzt. Das muss DIE LINKE laut und deutlich sagen und darf nicht die Grenzen zwischen inkompatiblen Politikansätzen verwischen.

Ein linker Politikwechsel fordert etwas mehr als die Neuauflage einer Lagerkonstellation (Rot-Grün erweitert um DIE LINKE), die es längst nicht mehr gibt. Denn längst sind der herrschenden Klasse mehr Optionen für eine Regierungsbildung in den Schoß gefallen: Neben Schwarz-Rot gibt es jetzt auch Schwarz-Grün und die Ampel.

Es ist damit nicht falsch geworden, dass DIE LINKE versuchen muss, der SPD Wähler abzujagen. Sie muss allerdings genauso versuchen, die Wähler zu mobilisieren, die ohne Hoffnung zu Hause bleiben, und die wachsende Schar der Prekarisierten und Ausgegrenzten, die politisch heimatlos werden. Dem Diskurs der NRW-LINKEN mangelt es, von außen betrachtet, diesbezüglich an Selbstbewusstsein und Augenmaß.

Tatsache ist, dass sie zunächst einmal darum zu kämpfen hat, überhaupt in den Landtag reinzukommen. Bei Umfragewerten von 5-6% ist das noch keineswegs gesichert. Zweitens hat sie bislang noch keine Erfahrung mit der Arbeit im Landtag. Es ist keine Schande, das einzugestehen und öffentlich zu bekennen, dass man erst einmal Erfahrung und Kompetenz sammeln muss. Es würde ihre Glaubwürdigkeit stärken, während umgekehrt die Betonung «Wir wollen regieren» bei einem kleinen Haufen von Neulingen ziemlich lächerlich klingt - jeder kann sich ausrechnen, dass das in einem Desaster endet. Da nimmt sie den Mund etwas voll und macht den vierten Schritt vor dem ersten.

Drittens hat DIE LINKE nämlich zu beweisen, dass sie im Parlament tatsächlich einen anderen Politikstil pflegt als die anderen Parteien. Zur dafür entscheidenden Frage, wie sie das Verhältnis zu den sozialen Bewegungen dekliniert und welche Schritte sie außerhalb des Parlaments unternimmt, um den Prekarisierten eine neue politische Heimat zu geben, hat sie nämlich bisher ziemlich wenig entwickelt. Sie erscheint überwiegend nicht als die im öffentlichen Raum und außerhalb der Parlamente rührige Partei, die Seite an Seite mit Bewegungen für konkrete Belange streitet und ihnen parlamentarische Möglichkeiten zusätzlich zur Verfügung stellt. Sie erscheint als ziemlich kraftlos und dabei großmäulig.

Zu all dem soll man stehen, weil man es nicht wegdiskutieren kann. An diesen Defiziten ist aber in den kommenden vier Jahren innerhalb und außerhalb des Landtags prioritär zu arbeiten. Wählerinnen und Wähler sollten der LINKEN diese Chance am 9.Mai aber auch geben.

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