von Carsten Albrecht
«Die Europäische Union ist in Gefahr, weil andere Weltregionen wettbewerbsfähiger sind als wir», sagt Frankreichs Premierminister François Fillon. Darüber, wie man mit dieser Gefahr umgeht ist sich die konservative Regierung jedoch uneinig:
Während Wirtschaftsministerin Christine Lagarde Deutschland dafür rügt, dass seine Exportfixierung Arbeitslosigkeit und Niedriglöhne in Europa befördere, lobt Fillon den deutschen «Vorsprung» bei Arbeitsmarkt- und Rentenreformen - die ja die selben Folgen wie die Exportpolitik haben.
Im März 2010 stellte Fillon in der Berliner Humboldt-Universität Fillon die Deutsch-Französische Agenda 2020 vor, die es parallel zur Europäischen Agenda 2020 gibt. Fillon betonte dabei die Notwendigkeit von Sozialkürzungen, um die Haushaltsdefizite zu: «Wir müssen der Versuchung widerstehen, die Steuern zu erhöhen. Außerdem müssen soziale Nischen abgebaut werden. Nur so können wir die Wettbewerbsfähigkeit unserer Unternehmen gewährleisten.» Dieses Rezept gelte nicht nur für Frankreich und Deutschland, sondern z.B. auch für Griechenland.
Vor dem Hintergrund dieser Aussagen ist auch die deutsch-französische Agenda zu lesen: Man wünscht sich «ein Europa, das ehrgeizig und entschlossen handelt» und dessen «Stimme in der Welt geachtet wird.»
Konkret bedeutet das die «Verstärkung der europäischen technologischen und industriellen Basis im Rüstungsbereich sowie der Beziehungen zwischen EU und NATO» und «verstärkte gemeinsame Beratungen mit Blick auf gemeinsame Einsätze». Die «militärischen Krisenmanagementfähigkeiten der EU» sollen ausgebaut werden.
Auch Flüchtlingsabwehr soll verstärkt zum deutsch-französischen Thema werden. So darf in der aktuellen Agenda 2020 das Vorhaben «Stärkung von Frontex» nicht fehlen. Auf die Menschenrechtsverletzungen dieser Grenzschutzagentur ging Fillon allerdings nicht ein.
Zu den Kooperationsstrukturen der beiden Länder gehören deutsch-französische Ministerräte. Die Agenda 2020 sieht vor, dass bei einem ihrer nächsten Treffen «deutsche und französische Unternehmer ... gemeinsame Initiativen zur Stärkung wirtschaftlicher Zusammenarbeit vorstellen».
Hier wollen Deutschland und Frankreich offenbar eine Art Avantgarde für die gesamte EU sein. «Die EU-Handelspolitik muss besser auf die Interessen unserer europäischen Unternehmen achten», findet Fillon. Wie die Dienstleistungsrichtlinie oder das Urteil gegen das Streikrecht gezeigt haben, berücksichtigen Kommission und Gerichtshof das bereits.
Das «deutsch-französische Paar» scheint die Rolle des Unterstützers der jeweils bedrängten Elite des Partnerlandes zu spielen. So dient das vermeintliche sozialpolitische «Erfolgsmodell Deutschland» als Argument für die französische Rechte, auch westlich des Rheins den Sozialstaat abzubauen - bisher noch gegen den teils heftigen Widerstand der Betroffenen.
Deutsche CDU-Politiker betonen hingegen gerne, wie gut unsere französischen Nachbarn mit ihren Atomkraftwerken fahren. Auch Fillon konnte sich den diskreten Hinweis bei seiner Berliner Rede nicht verkneifen: «Das zivile Nuklearprogramm ist in Frankreich sehr wichtig. Wir beobachten mit viel Interesse die deutsche Debatte über diese Frage.»
Allerdings treten auch innerhalb der französischen Eliten Interessenkonflikte zutage. Staatspräsident Nicolas Sarkozy vertritt hier die nationalistische Seite, die zwecks permanentem Wahlkampf auf Protektionismus und staatskapitalistische Maßnahmen zurückzugreifen versucht (öffentliche Investitionen, Bankenrettungen, Konjunkturpakete). Zudem stellt Sarkozy stets klar, dass Frankreich nicht auf seinen Schutz durch Atomwaffen verzichten wird.
Premier Fillon vertritt hingegen die «euro-phorische», also der EU zugewandte Seite des französischen Establishments. Er befürwortet ein gemeinsames Agieren europäischer Regierungen und Unternehmerverbände mit dem Ziel, aus der EU einen starken Akteur nach innen und außen im Interesse des europäischen Kapitals zu machen.
Regierungschef Fillon ist seit den Parlamentswahlen im Frühjahr 2007 im Amt. Da er sich - für viele überraschend - so lange neben bzw. unter Sarkozy als Premier hält und gute Umfragewerte hat, sehen manche in ihm bereits den nächsten französischen Präsidenten.
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