Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 05/2010

Der Digitale Peters ist eine engagierte und weitsichtige Fortsetzung von Arno Peters’ Synchronoptischer Weltgeschichte mit elektronischen Mitteln.
von Angela Huemer
Der 1916 in Berlin geborene und 2002 verstorbene Arno Peters hat mit großer Konsequenz und vielen Umwegen seine Ziele verfolgt. Seine Eltern waren politisch aktiv, engagierte Gewerkschafter und hatten Freunde in aller Welt - unter ihnen William Pickens, Leiter der NAACP (National Association for the Advancement of Colored People). Diese Begegnung war entscheidend für den jungen Arno Peters, er wollte denjenigen eine Stimme geben, die in den Geschichtsbüchern nur als Randnotiz vorkamen.

Arno Peters studierte Geschichte, Kunstgeschichte und Zeitungswissenschaft in Berlin und finanzierte sich dieses Studium durch Arbeit in Presse und Film. So war er bspw. Produktionsleiter für eine Tobis-Filmproduktion, Immer nur du. Er reiste viel, u.a. nach Frankreich, England, USA, UdSSR, Polen, Schweden, Griechenland. Für seine Arbeit im Filmbereich hatte er sich zuvor in Hollywood die neuen Produktionstechniken angeeignet.

Nach Abschluss seines Studiums wurde Arno Peters Privatgelehrter und schuf 1941 den ersten Entwurf für eine Geschichtsdarstellung, die auf der Sichtbarmachung des Gleichzeitigen beruht und durch unmittelbare Anschauung des zeitlichen Miteinander und Nacheinander die Zusammenhänge der Geschichte vermittelt.

Peters Synchronoptische Weltgeschichte erschien erstmals 1952, 1962 folgte eine französische Übersetzung, und 1970 erschien die um die Vorgeschichte erweiterte Große Synchronoptische Weltgeschichte. «Synchronoptisch» bedeutet, dass der Zeitatlas die Geschichte der Menschheit zeitgleich, also «synchron», auf einen Blick, «optisch» darstellt.

Peters’ Synchronoptische Weltgeschichte umfasst den Zeitraum vom 30.Jahrhundert v.u.Z. bis zum 20.Jahrhundert u.Z. Sein Grundanliegen war es, geschichtliche Vorgänge und Geschehnisse gleichrangig darzustellen und den üblichen Hierarchisierungen und «Periodenbildungen» zu entreißen. Neben der Gleichrangigkeit von nichteuropäischer und europäischer Geschichte war ihm dabei auch wichtig, den übermäßigen Raum, der in der traditionellen Geschichtsschreibung dem kriegerischen Geschehen eingeräumt wird, einzudämmen, um andere Lebensbereiche gleichwertiger darzustellen. So verwendet er die Kategorien Revolutionen, Technik, Zeitgenossen, Geistesleben, Wirtschaft.

Der Aufbau
Der Digitale Peters perfektioniert nun die Große Synchronoptische Weltgeschichte. Der Verlag Zweitausendeins bietet neben einem elaborierten Computerprogramm (das allerdings 7 GB Speicher und einen hochauflösenden Bildschirm braucht, sowie für Mac-Nutzer einen Intel-Prozessor und Version OS 10.5) ein aufwändig und sehr gut gemachtes Begleitbuch, dass die einzelnen Programmfunktionen ausführlich und vor allem anschaulich erklärt.

Wie funktioniert der Digitale Peters und warum bedeutet er eine große Weiterentwicklung? Die Menüleiste umfasst folgende Kategorien: Startseite, Zeitkarte, Verbindungen, Recherche, Kartei, Analyse und Synchronopse. In der «Zeitkarte» kann man in der synchronoptischen Darstellung Ereignistypen zusammenfassen, einen Schnelllauf durch die Weltgeschichte unternehmen, bei jederzeitiger Möglichkeit, einzelne Dinge zu vertiefen. Der Menüpunkt «Verbindungen» erlaubt es, jedes Ereignis oder Persönlichkeit mit seinen Verbindungen aufzurufen. Die «Recherche»funktion gibt die Möglichkeit, selbstgewählte Stichworte und Namen aufzurufen - auf der Internetseite kann man dazu ein Beispiel herunterladen: Heinrich Heine. Entlang seiner Lebensdaten kann man sich in den Kategorien Wirtschaft, Geistesleben, Politik, Kriege & Revolutionen sowie Zeitgenossen einen umfassenden und klar gegliederten Überblick über Heinrich Heines Welt verschaffen. So sieht man bspw., dass in dem Jahr, in dem Heine geboren wurde, 1797, England die Insel Trinidad in Besitz nahm und Schlegel Shakespeare übersetzte.

Doch weiter in der Menüleiste. Der Menüpunkt «Kartei» gibt einen wunderbaren Einblick in die etwa 45000 DIN-A5-Karten umfassenden Kartei, für die ein eigenes Möbel angefertigt wurde und die Arno Peters und seinen Mitarbeitern als wesentliches Handwerkszeug diente. Zudem hat man die Möglichkeit, ein «Findebuch» zu erstellen, ganz entsprechend den eigenen Interessen und mit der Option, das Gefundene zu ergänzen.

Unter dem Menüpunkt «Analyse» kann man dann in einer grafischen Darstellung thematische Häufungen zu einem bestimmten Stichwort abfragen, diese Darstellung ist sehr klar gestaltet und ähnelt ein wenig einer nächtlichen Skyline - auch hier sind wieder die Kategorien Revolutionen, Technik, Zeitgenossen, Geistesleben und Wirtschaft zu finden.

Der am weitesten rechts stehende Menüpunkt «Synchronopse» bietet schließlich die Möglichkeit, alle Daten zu einem Thema zeitlich synchron und parallel zu betrachten - noch dazu kann man eigene Kommentare einfügen.

Diese elektronische Version von Peters’ Synchronoptischer Weltgeschichte hat m.E. das große Potenzial, aktuell zu bleiben, ergänzt zu werden, denn die Geschichte hört ja nicht mit dem 20.Jahrhundert auf. Außerdem können Schwächen der gedruckten Fassung gemildert werden, die aus dem löblichen Bemühen entstanden, allen Zeiten den gleichen Raum zu geben, obwohl es durchaus - auch nach egalitären Gesichtspunkten - Zeiten gibt, in denen sich bedeutende Vorkommnisse häufen.

Die Peters-Projektion
Richtig berühmt wurde Arno Peters jedoch nicht durch seine Weltgeschichte, sondern durch seine neuartige Sicht auf die Welt, die in die sog. Peters-Projektion, eine neuartige Weltkarte, mündete. Arno Peters hatte sich seit 1965 der Geografie zugewandt. Auch hier strebte er eine Überwindung des eurozentrischen Weltbilds und mehr Gleichheit an. 1973 veröffentlicht er Die Länder der Erde in flächengetreuer Darstellung. Auf dieser Weltkarte sind die Längen- und Breitengrade rechtwinkelig angeordnet, neben Flächentreue, d.h. die Länder und Kontinente haben auch sichtlich im Verhältnis zu einander ihre tatsächliche Größe, gibt es auch Lage- und Achsentreue. Ein Beispiel: Auf der «herkömmlichen», auf der Mercator-Projektion basierenden Weltkarte erscheint Grönland fast gleich groß wie Afrika, obwohl es viel kleiner ist. Weithin bekannt wurde die Peters-Karte durch die Nord-Süd-Kommission von Willy Brandt, sie wurde zum Symbol für die Gleichrangigkeit und Gleichwertigkeit aller Völker. Auch kirchliche Institutionen verwendeten diese Karte, und 1989 erschien bei UNICEF in Zürich der Peters-Atlas.

Interessant ist, dass Peters in gewisser Weise die ausführliche Auseinandersetzung von Intellektuellen und vor allem Künstlern mit dem Phänomen Landkarte und Weltsicht vorwegnahm und bewusst darauf verwies, wie sehr so etwas scheinbar Vorgegebenes und Wissenschaftliches wie eine Landkarte tatsächlich eine ganz eigene Weltsicht verkörpert und vermittelt. (Nicht unerwähnt sei in diesem Zusammenhang ein bemerkenswertes Landkartenwerk, dass ganz unverblümt Prioritäten setzt: die geografische Galerie des Vatikanischen Museums. Rom ist hier im Mittelpunkt, der Norden ist mitnichten immer oben dargestellt - so steht z.B. Sizilien «auf dem Kopf» und die einzelnen Karten, die Teile Italiens darstellen, sind umrahmt von Bildern religiöser Begebenheiten, die sich in den jeweiligen Gegenden abspielten.)

Unerwartete Berühmtheit erlangte die «Peters-Projektion» durch die sehr populäre amerikanische Fernsehserie West Wing (1999–2006), die das Alltagsleben im Weißen Haus unter einem linksliberalen Präsidenten darstellt. In einer Folge präsentieren Mitglieder der «Organization of Cartographers for Social Equality» (Kartografenverband für soziale Gleichheit) Arno Peters’ Weltkarte und fordern, dass sie im Geografieunterricht eingesetzt wird. Anschaulich und unterhaltsam wird vermittelt, wie sehr die Mercator-Karte die Ländergrößen verzerrt, und auf die Frage: «Aber ist denn Deutschland denn gar nicht dort, wo wir es vermuten?», gibt der Geograf die Antwort: «Nichts ist dort, wo wir es vermuten.» Klar wird aber auch, wie sehr allein die Tatsache, dass der Süden oben auf der Karte dargestellt ist, unsere Weltsicht verwirrt und verändert. (Der Ausschnitt aus der Serie ist auf www.youtube.com unter Eingabe der Stichworte «West Wing, map» abzurufen.)

Für alle, die noch mehr über Arno Peters wissen wollen der 1974 mit anderen Gelehrten das Bremer Institut für Universalgeschichte gründete -, sei zudem wärmstens der Dokumentarfilm Arno Peters: Radical Map, Remarkable Man empfohlen, produziert vom Kartografen Bob Abrams und seiner Mutter, Ruth Abrams, Filmemacherin. Sie ist erhältlich unter www.odtmaps.com (für eine öffentliche Vorführung ist die DVD auch gratis erhältlich).

Mit dem Digitalen Peters bekommt man ein wunderbar gestaltetes Buch mit DVD samt Programm. Zudem wird es auf der Internetseite www.derdigitalepeters.de/ kontinuierlich aktualisierte Fassungen und Versionen geben, nicht nur technischer, sondern auch inhaltlicher Natur.

Der Digitale Peters von Hans Rudolf Behrendt, Thomas Burch und Martin Weinmann, Frankfurt: Zweitausendeins, 89,90 Euro (bis 10.Juni zum Einführungspreis 79,90 Euro).

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