Die Kasseler «Konferenz für Ökologie & Sozialismus»am 14.März hat eine Erklärung verabschiedet, die sich als Plattform für eine überfällige Debatte im Rahmen der Bewegung für Klimagerechtigkeit versteht. Die Konferenz wurde von der Bildungsgemeinschaft Salz e.V. und verschiedenen linken Zeitungsredaktionen ausgerichtet, darunter die SoZ.
Die Erklärung ist schon im engeren Umfeld auf erheblichen Widerspruch gestoßen. Dem Ziel der Konferenz wird am ehesten Rechnung getragen, wenn diese Debatte möglichst breit geführt wird.
Wir veröffentlichen nachstehend vor allem die umstrittenen Passagen der Erklärung und einen ersten Diskussionsbeitrag aus der Ökologischen Plattform in der Partei DIE LINKE, NRW. Leerzeilen markieren größere Auslassungen. Die vollständige Erklärung samt Unterzeichneten sowie weitere Debattenbeiträge findet sich auf www.salz-bildungsgemeinschaft.de/.
Für eine ökosozialistische Wende von unten!
Wir fordern die radikale Umstellung auf erneuerbare und saubere Energiequellen wie Windkraft, Geothermie, Wellen- und Sonnenenergie.
Uns ist bewusst: Auch bei konsequentem Ausbau der zur Verfügung stehenden erneuerbaren Energien und bei Ausschöpfung der Effizienzpotenziale werden wir in Zukunft mit erheblich weniger Nettoenergie auskommen müssen als bisher.
Das stellt nicht nur unsere kapitalistische Wirtschaftsweise radikal in Frage. Das Wegbrechen der fossilen Ressourcen einerseits, die nicht im selben Maß durch andere Energiequellen ersetzt werden können, und die Notwendigkeit, die Treibhausgasemissionen schnell und erheblich zu reduzieren, stellen unsere Industriegesellschaft insgesamt zur Disposition. Der unausweichliche Prozess des Rück- und Umbaus bedeutender Teile der Industrie muss politisch gestaltet und geplant werden. Was, wie und wieviel produziert wird, darf nicht länger kapitalistischen Einzelinteressen überlassen, sondern muss demokratisch entschieden werden.
Der dringend erforderliche Umbau der Industriegesellschaft zu einer postindustriellen Gesellschaft muss dazu führen, dass nicht immer mehr, sondern sehr viel weniger Energie verbraucht wird. Dafür ist eine Entschleunigung des Lebens nötig und eine ganz andere Gestaltung des Raums, die dafür sorgt, dass die täglichen Wege zur Arbeit, zur Freizeitbetätigung und zum Wohnen drastisch verkürzt werden. Dazu gehören die schrittweise Aufhebung der Unterschiede zwischen Stadt und Land und die völlige Umgestaltung der Millionenstädte zu einer den Menschen förderlichen und angenehmen Umwelt.
Wir fordern daher die Vergesellschaftung der großen Produktionsmittel, Überführung der Energieversorgung in öffentliche Hände, Vergesellschaftung aller Bereiche der Daseinsvorsorge und auch der Banken und Versicherungsgesellschaften. Dabei ist den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Beschlusskonferenz für Ökologie & Sozialismus bewusst, dass Verstaatlichung nur eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für die ökosozialistische Wende ist.
Die Erfahrungen mit einem scheinbar «sozialistischen» Produktivismus haben gezeigt, dass die demokratische Kontrolle von unten und die Teilhabe der Beschäftigten sowie der Konsumentinnen und Konsumenten an der Verwaltung der Betriebe und an den großen wirtschaftlichen Richtungsentscheidungen eine Voraussetzung dafür ist, dass ein ökologisch verantwortliches und auf die Bedürfnisse ausgerichtetes Wirtschaften erreicht werden kann. Darum erfordert die ökosozialistische Wende die gleichmäßige Verteilung der gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit auf alle und die Sicherung der materiellen Existenz aller zu menschenwürdigen Bedingungen.
Freiheit von Existenzangst und freie Zeit sind erforderlich, um die Teilhabe aller an der Verwaltung und am Meinungsbildungsprozess über das, was gesellschaftlich notwendige Arbeit ist, zu ermöglichen.
Bei einer Wende zu ökologisch verantwortlichem Wirtschaften, bei dem schädliche und überflüssige Produktionen und Produktlinien aufgegeben werden, bei dem Boden, Wasser und Luft nicht weiter vergiftet, verschmutzt und vernichtet werden, kann viel überflüssige Arbeit (Waffenindustrie, unsinnige Konsumgüter, Massenproduktion von ökologisch im heutigen Ausmaß nicht mehr tragfähigen Gütern wie Autos etc.) eingespart werden. Andererseits ist die bisherige hohe Produktivität zu einem großen Teil darauf zurückzuführen, dass lange Zeit ausreichend und preiswert billige Energie zur Verfügung stand. Diese Voraussetzung ist aber bald nicht mehr gegeben. In vielen Bereichen werden wir wieder auf energieärmere Produktionsverfahren zurückgreifen müssen. Die erreichte hohe und jede höhere Arbeitsproduktivität aber muss dafür genutzt werden, den Menschen ein besseres Leben zu ermöglichen.
Qualitatives Kriterium eines erhöhten Lebensstandards ist, sobald die Grundbedürfnisse befriedigt werden, die Ausdehnung der freien Zeit für vielfältige selbstbestimmte und schöpferische kulturelle Betätigung und Selbstentfaltung, für die Gestaltung liebevoller Beziehungen sowie für die Betreuung von Kindern und allen hilfsbedürftigen Menschen. Dabei ist für uns selbstverständlich, dass die so genannte Reproduktionsarbeit unter Männern und Frauen gleichmäßig aufgeteilt werden muss. Erst dann werden die vielfältigen Benachteiligungen und Diskriminierungen der Frauen restlos verschwinden können.
Gerecht aufgeteilt werden müssen auch die Lasten des ökologischen Umbaus.
Die reichen Industrieländer müssen den ärmeren und armen Ländern helfen, die Grundbedürfnisse ihrer Bevölkerungen so rasch wie möglich befriedigen zu können. 500 Jahre Kolonialismus, Imperialismus und Neokolonialismus verpflichten dazu. Ansprechende Lebensmittel, Zugang zu sauberem Wasser, zu Bildung und Kultur darf nicht das Privileg einer Minderheit der Weltbevölkerung bleiben.
Eine Abkehr von unserem derzeitigen Konsumstil wird gesellschaftlich nur dann akzeptiert werden können, wenn sie gerecht und solidarisch gestaltet wird. Eine konsequente Umverteilungspolitik von oben nach unten ist daher eine notwendige Voraussetzung für eine gelingende ökologische Wende.
Ökosozialistisch vs. Sozial-ökologisch
Dazu schreibt Peter Kämmerling, DIE LINKE Aachen und Ökologische Plattform NRW:
Beim ersten Lesen der Ökosozialistischen Erklärung von Kassel fühlte ich mich in eine mittelalterliche Predigt versetzt: Gefährdungen des Überlebens der Menschheit, Bedrohungen mit Katastrophen, Hunger, die Drohung: «werden wir mit erheblich weniger Nettoenergie auskommen müssen als bisher» (aus Abs.6), flankiert von etlichen Verzichtsappellen. Dann eine Reihe abstrakter guter Wünsche wie «Wir fordern die sofortige Einstellung der Produktion von Massenvernichtungsmitteln und Kriegswaffen» (aus Abs.8) und zum Schluss - nein nicht die Heilsversprechung nach Befolgung der gesetzten Regeln, sondern die Aufforderung zu unterzeichnen. Also doch nur eine politische Erklärung?
Ich suche noch einmal: Wo sind Punkte, die einen Weg aus der derzeitigen Situation in eine sozialökologischen Gesellschaft aufzeigen? Ja, einige ansatzweise, aber sehr abstrakt, nichts Konkretes. Gute Forderungen sind etliche enthalten, wirken aber aufgesetzt. Und immer wieder: Sozialismus vs. Kapitalismus.
Das ist mir zu abgehoben, zu viel «Sozialismus oder Tod», zu sehr ohne konstruktive Lösungsansätze. Zum Entwickeln einer positiven Zukunft mit lebensnah gehbaren Wegen dorthin, müssen wir uns mit technischen, wirtschaftlichen, sozialen, ökologischen und gesellschaftlichen Fragen sehr genau, sehr konkret beschäftigen. Und dabei niemals Einkommenschwache vergessen. Sie müssen sich eine sozialökologische Gesellschaft leisten können.
Aus dem siebten Absatz der ökosozialistischen Erklärung: «Das Wegbrechen der fossilen Ressourcen einerseits, die nicht im selben Maß durch andere Energiequellen ersetzt werden können, und die Notwendigkeit, die Treibhausgasemissionen schnell und erheblich zu reduzieren, stellen unsere Industriegesellschaft insgesamt zur Disposition.»
Hier die Entgegnung in drei Punkten:
1. Die fossilen Ressourcen werden nicht «wegbrechen». In der Volkswirtschaft ist ein Gut umso teurer, je knapper dessen Angebot auf dem Markt ist. Der Angebotspreis besitzt eine Elastizität. Je höher der Preis, umso mehr werden auch schwer ausbeutbare Lagerstätten von z.B. Erdöl und um so mehr minderwertiges Erdöl wird gefördert. Das heißt, der Preis wird zunehmend steigen, und auch noch die unberührtesten Landschaften, z.B. Ölsand- und Ölschieferlagerstätten in Kanada, werden verwüstet. Zunehmend nur noch Einkommensstärkere werden sich Treibstoff leisten können. Das ist ein jahrzehntelanger Prozess, kein «Wegbrechen». Auch in 300 Jahren wird es noch Erdöl geben, dann aber sehr teuer. Das ist VWL-Basiswissen. Dies ist eine erheblich andere Entwicklung als im Bedrohungsszenario der ökosozialistischen Erklärung dargestellt.
2. Wind und Sonne können mit heute käuflichen Anlagen sogar in einem so hoch industrialisierten und dicht bevölkerten Land wie der BRD mehr als 100% des derzeitigen Energiebedarfs kostengünstig decken - zusammen mit massiver Wärmedämmung aller Gebäude (40% des derzeitigen Energieverbrauchs der BRD) und einer Umstellung des Verkehrs (20% des derzeitigen Energieverbrauchs der BRD) auf Erneuerbare Energie = Strom aus Wind und Sonne. Dies ist Basiswissen in fortschrittlichen Diskussionszirkeln im Energiebereich. Damit bricht das Bedrohungsszenario der Kasseler ökosozialistischen Erklärung weg, nicht aber unsere Energieversorung.
3. Sollen wir Industrie aufgeben? Ohne mich! Denn industrielle Produktion bedeutet Wohlstand durch Massengüter. Diese kommen zustande u.a. durch Arbeits-, Energie-, Rohstoffrationalisierung, weit verschachtelte Produktionsumwege (u.a. Maschinen), Skaleneffekte, hochgradige Arbeitsteilung und Kapitalakkumulation verbunden mit Gewinnstreben. Ich möchte die Industrie weiter entwickeln, weg von Zerstörung und Ausbeutung, hin zu friedlichem Wohlstand für alle. Dies ist möglich. Nicht die Industrie ist das Übel, sondern die kapitalistische Ausbeutung mit deren Hilfe! Durch Setzen der richtigen politischen Rahmenbedingungen bauen wir sie in eine sozialökologische Industrie zum Wohle aller um. Basiswissen? Ich glaube nicht, aber möglich u.a. durch folgende Maßnahmen:
Demokratisierung und Kontrolle der Kapitalakkumulation, die zur Investition in industrielle Fertigung unumgänglich ist. Umstellung auf unschädliche, kreislaufartige Produktion aus biogenen und recycelten Rohstoffen. Weite Ausdehnung der Langlebigkeit und Reparaturfähigkeit aller Güter. Massive Erhöhung der Rohstoffrationalisierung, auch unter Mehreinsatz erneuerbarer Energie und Arbeit.
An diversen Stellen der ökosozialistischen Erklärung wird Verzicht gepredigt, begründet mit weniger bereitstehender Energie und übermäßigem CO2-Ausstoß. Die gesellschaftliche Bedeutung öffentlich geäußerter Verzichtsbedrohungen entfaltet sich aus ihrem Kontext. Erklärt eine unabhängige NGO einen Verzicht als notwendig, dann mag dies zum Nachdenken anregen. Bedroht aber ein Politiker einer großen Partei in der BRD das Wahlvolk mit Verzicht, dann klingt dies wie der blanke Hohn. Auch dann, wenn Verzicht sinnvoll, angebracht und begründbar wäre. Der einzige von Politikern öffentlich aussprechbare «Verzicht» kann nur heißen: Die zu viel haben, sollen solidarisch teilen.
Mir erscheint die ökologische Frage in der ökosozialistischen Erklärung von Kassel als Vehikel zur Erreichung «des Sozialismus». Also doch eine Heilspredigt? Nein! Es fehlt das bunt ausgemalte Paradies und der schön beschriebene Weg dort hin. Einfach nur «Sozialismus» zu sagen und ein paar fromme Wünsche zu äußern, das glaube ich nicht. Und auf mein materielles Wohl und das aller möchte ich ebenfalls nicht verzichten. Ist auch gar nicht nötig: Erneuerbare Energie steht mehr als genug zur Verfügung.
Die ökologische Frage ist eine andere Seite der sozialen/ökonomischen Frage und eine weitere Seite der Frage nach Krieg und Frieden. Diesen fundamental wichtigen Zusammenhang vermisse ich in der ökosozialistischen Erklärung von Kassel.
www.dielinke-aachen.de/
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