von Thies Gleiss
Die bisherige Entwicklungsgeschichte der Partei Die Linke hat ein merkwürdiges Ergebnis hinterlassen: Eigentlich hat nur die SPD wirklich Angst vor ihr.
Auch wenn Analysen wie die von Georg Fülberth oder einige linke Kritiker der LINKEN äußern, es würde sich hier nur eine neue oder gar zweite sozialdemokratische Partei entwickeln, und dabei viele wesentliche Dinge ausklammern: Unstrittig ist, dass die einzige wirklich ernsthafte gesellschaftliche Veränderung, die von der LINKEN ausgeht, in der tiefen, vielleicht finalen Krise der Sozialdemokratie besteht.
Der Frust in und an der SPD hat durch die LINKE eine Perspektive bekommen. Die beiden Parteien der Besserverdienenden - FDP und Grüne - haben im Wettkampf um parlamentarischen Einfluss der LINKEN eher zu danken, weil die hysterische Abgrenzung von ihr identitätsstiftend wirkte. Die konservativen Bürgerparteien CDU und CSU leiden mehr an sich selbst, an den gestärkten Konkurrenten bei FDP und Grünen und an der Krise des Kapitalismus als an der Herausforderung durch die LINKE. Und die wirklich Mächtigen im Lande in den Konzernzentralen und Arbeitgeberverbänden haben die LINKE bisher nicht viel ernster genommen als den Auftritt eines Kritischen Aktionärs auf einer Hauptversammlung in früheren Zeiten.
Wahlalternative
Der Grund dafür ist die mehr oder wenig bewusste Entscheidung der LINKEN, sich nur als «Wahlalternative» (wie eine der Quellparteien ja schon im Namen verriet) zu verstehen und auf Wahlkämpfe zu beschränken. Ein Selbstverständnis der Partei als politische Gegenbewegung spielte zwar immer mit, weil ohne dieses ein Erfolg in der Realpolitik gänzlich unmöglich ist, es wurde und wird von den entscheidenden Parteikräften aber immer mehr unterdrückt.
So organisiert sich die Partei mehr schlecht als recht nur in Wahlkreisverbänden und rund um papierne Wahlkämpfe. Sie spricht von außerparlamentarischem Widerstand, aber sie organisiert ihn kaum. Sie bildet keine Betriebs- und Stadtteilgruppen, keine Aktiventreffs innerhalb der sozialen Bewegungen und keine Gewerkschaftsströmung. Sie fordert das Recht auf politischen Streik, aber da wo er stattfindet, wie in den Kämpfen der Lokführer, der Erzieherinnen, des Reinigungspersonals, treibt sie ihn nicht voran, und da wo er stattfinden müsste, in den Tarifrunden, hüllt sie sich in Schweigen.
Das hat nichts mit dem unbestrittenen Respekt vor der strukturellen Unabhängigkeit sozialer Bewegungen zu tun - sich als Geldgeberin und Rednerin anzubiedern, fällt der LINKEN natürlich nicht schwer -, sondern mit einer Fehlentscheidung, wie gesellschaftliche Veränderungen erreicht werden können.
Sicherlich lässt sich darüber zu streiten, ob solche Selbstbeschränkung der LINKEN notwendig war, um den Aufbruch zu dieser fast undenkbaren «Einheitsfront» von Reformisten und Revolutionären, von gefrusteten Sozialdemokraten, nach Anerkennung gierenden Ostlinken, Alt-68ern und Betroffenen der Agenda 2010, die sich heute in der LINKEN versammelt, überhaupt zu ermöglichen. Tatsache ist aber, das jeder wirkliche Fortschritt im Parteiaufbau und in der gesellschaftlichen Wahrnehmung im Grunde auf Ab- oder wenigstens Aufweichungen von dieser Selbstbeschränkung zurückzuführen ist.
Was der LINKEN somit vor allem fehlt, ist der Mut zu ihrer tatsächlichen gesellschaftlichen Rolle und Stärke, die Bereitschaft, die nötige Radikalisierung zu vollziehen, die von der aktuellen Situation gefordert und von den Menschen, die auf die LINKE schauen, auch erwartet wird.
Das Bürgertum schäumt, die Parteirechte stöhnt
Der Programmentwurf der LINKEN hat ein weiteres Mal eine Ampelschaltung ausgelöst, bei der sich die Partei entscheiden muss, ob sie weiter nach links gehen und zu einer aktiven, konfliktbereiten Bewegungspartei werden oder in der vom Gegner geforderten Anpassung verdorren will.
Die Reaktion der bürgerlichen Parteien und der ihnen treu ergebenen Medien auf den Programmentwurf war da fast schon zu viel Ehre für die LINKE. Sie schlugen wie auf Kommando mächtig Schaum angesichts einer «durchgeknallten» LINKEN. Zum ersten Mal klang aus den Kommentaren in Bild, Handelsblatt und FAZ ein wenig Angst vor Enteignung und einem neuen Sozialismus; das Schreckgespenst einer Rückkehr der DDR wurde nicht nur als hämische Botschaft an ein entpolitisiertes Massenpublikum an die Wand gemalt, sondern als reale Erinnerung an 40 Jahre nichtkapitalistisches Deutschland.
Besser hätte es kaum losgehen können. Nur muss die LINKE dort, wo sie jetzt verortet wird, auch selbstbewusst hingehen. Eine bessere Möglichkeit, die traurigen DDR-Erfahrungen gerade nicht zu wiederholen, gibt es nicht. Die Chance, den Sozialismus als gesellschaftliches Gegenmodell wieder diskursfähig zu machen, wird nicht oft gegeben. Vor der Einlösung der Errungenschaft, dass im Alltagsstreit wieder diskutiert werden darf: «Ich bin Sozialist - warum du nicht?», darf die LINKE aber nicht von der Bühne abtreten.
Die politisch identitätslose, sich nur im Verhältnis zu angeblichen politischen Bündnispartnern definierende und auf schnöde Teilhabe an den parlamentarischen und Regierungsposten schielende Parteirechte stöhnte erwartungsgemäß auf. Für diese, sich selbst immer gern als «realpolitisch» bezeichnende, Truppe aus Mandatsträgern und Apparatschiks war der Vorstoß in die Wirklichkeit der kapitalistischen Klassengesellschaft, der im Programmentwurf immerhin ein wenig unternommen wird, schon zuviel Realitätsschub.
Birke Bull, MdL und Mitglied der Programmkommission, Jan Korte, MdB und Parteivorstand, Bodo Ramelow, MdL und Parteivorstand, Matthias Höhn, MdL und Parteivorstand und andere prangerten den faktischen Ausschluss ihrer Regierungsbeteiligungsoptionen ebenso an wie das ungerechte und undifferenzierte Verteufeln des privaten Unternehmertums.
Die Enteigner enteignen
Es war zu erwarten, dass sich die in der LINKEN überlebende schrullig-technokratische Fraktion von Schreibtisch-Sozialisten - die sich um die Zeitschrift Sozialismus oder auch im Sozialistischen Forum Rheinland tummeln - mit vielen Worten zum Programmentwurf meldet, ohne etwas zu sagen. Für sie besteht sozialistische Strategie in der Ausarbeitung langer technokratischer Konzepte, mit denen die Herrschenden in der Gesellschaft belagert werden, damit sie sodann den Sozialismus einführen, ohne dass es jemand merkt. Für solche Esoteriker ist natürlich kein Programmentwurf lang, konkretistisch und schwurbelig genug.
Die Parteiströmung «Sozialistische Linke» «begrüßte» den Programmentwurf, weil sie eigentlich immer alles nur «begrüßt» und wenig verabschiedet.
Die «Antikapitalistische Linke» wies in ihrer Erklärung von Neubrandenburg auf viele Schwachpunkte im Programmentwurf hin - in der Kriegs- und Militärfrage, in der Eigentumsdefinition. Die von ihr und vielen Einzelautoren verlangten Präzisierungen täten dem Programmentwurf sehr gut.
Die zentrale Schwäche des Programmentwurfs wird aber auch von der AKL nur zaghaft aufs Korn genommen. Die kapitalistische Gesellschaft ist eine Wirtschaftsordnung der permanenten Enteignung. Eigentum und Macht sind ein gewaltsamer täglicher Prozess und nicht nur eine statische Rechtsform. Eine neue Wirtschaftsordnung muss deshalb auch als ein Prozess der Wiederaneignung und Entmachtung der Mächtigen verstanden werden. Diese Dynamik drückt sich in zunehmenden Formen von Gegenmacht, in Streiks und Blockaden der Normalität, in Betriebsbesetzungen und allgemein widerständiger Tätigkeit wirklicher Menschen aus.
Erst auf dieser Basis vervollständigt sich eine Perspektive der Partei DIE LINKE als einer Bewegungspartei, die zugleich Teil und Ergebnis dieser Widerständigkeit ist. Alles andere - Bündnispolitik, Regierungsfrage, Mobilisierung für Einzelreformen - sollte sich von diesem Grundsatz ableiten.
Wird dies versäumt, dann dürfte die enttäuschte Öffentlichkeit bald auch über DIE LINKE den Tucholsky'schen Spott über die SPD ausschütten: «‹Wat brauchste Grundsätze, wenn de een Apparat hast!› Und da hat der Mann recht! Wahrscheinlich werd ick diese Partei wähln, denn dit is so ein beruhijendet Jefühl: Man tut wat for de Revolution und weeß janz jenau, mit diese Partei kommt se janz bestimmt nich! Det is sehr wichtich für een selbständijen Jemüseladen!»
Kommentar zu diesem Artikel hinterlassen
Spenden
Die SoZ steht online kostenlos zur Verfügung. Dahinter stehen dennoch Arbeit und Kosten. Wir bitten daher vor allem unsere regelmäßigen Leserinnen und Leser um eine Spende auf das Konto: Verein für solidarische Perspektiven, Postbank Köln, IBAN: DE07 3701 0050 0006 0395 04, BIC: PBNKDEFF
Schnupperausgabe
Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo.