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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 05/2010
Über die Möglichkeit sozialistischer Entwicklung in der DDR
Debattenbeitrag zu SoZ 03/2010
von Anton Holberg

Wenn die erste Voraussetzung des Sozialismus im Sinne Marxens die politische Herrschaft der Arbeiterklasse ist («Diktatur des Proletariats») und wenn Marxens Satz, dass die Arbeiterklasse sich nur selbst befreien kann, zutrifft - was wohl impliziert, dass ihre Fähigkeit, die herrschenden Klassen, insbesondere die Bourgeoisie, zu stürzen,

die Voraussetzung dafür ist, dass sie auch ihren eigenen Staat lenken kann, der auf die eine oder andere Weise bis zur Erreichung kommunistischer, d.h. klassenloser Verhältnisse fortexistieren muss -, dann scheint es mir doch offensichtlich zu sein, dass keine Gesellschaft im Marx'schen Sinn sozialistisch, d.h. auf dem Weg zum Kommunismus sein kann, deren Arbeiterklasse sich als nicht in der Lage erwiesen hat, die Bourgeoisie auch nur politisch zu stürzen.

Die einzige für eine gewisse Zeit erfolgreiche Revolution bislang, in der die Arbeiterklasse diese Fähigkeit gezeigt hat, ist die russische Oktoberrevolution von 1917. Und auch diese ist durch eine Reihe von Faktoren gekennzeichnet, die für den Weg der proletarischen Revolution im Sinne Marxens eher untypisch sind, als da wären:

1. eine zwar hochkonzentrierte, aber nur ca. 5% der Gesamtbevölkerung stellende Arbeiterklasse in einem ökonomisch, politisch und kulturell recht rückständigen Land, 2. eine Arbeiterklasse, die ihre Herrschaft nur durch die Unterstützung der Bauernschaft für recht kurze Zeit verteidigen konnte, zumal einer durch den Ersten Weltkrieg bewaffneten Bauernschaft, deren Ziel Brot, Boden und Frieden, aber wohl kaum ein Sozialismus im Marx'schen Sinn war.

Schon Lenin hatte darauf hingewiesen, dass die Arbeiterklasse ihre durch die Räte gegebene Herrschaft im Verlauf des Bürgerkriegs weitestgehend eingebüßt hatte, dass eher die bolschewistische Partei für sie herrschte, dass in der Realität aber die Bürokratie die Kommunisten leite.

Bei dieser Herrschaft handelte es sich wohlbemerkt um eine politisch definierte - schon sehr bald bürokratisch deformierte - «Diktatur des Proletariats» und nicht etwa um eine «sozialistische» oder gar «kommunistische» sozioökonomische Formation. Für deren Erreichung sind zwar umfassende Verstaatlichung unabdingbar, aber Verstaatlichung ohne reale Herrschaft der Arbeiterklasse verträgt sich, wie die Klassiker des Marxismus betonten, theoretisch durchaus mit dem Kapitalismus.

Im Laufe der 20er Jahre, speziell unter der Führung von Josef Stalin als Repräsentant der nachrevolutionären und im Wesentlichen konservativen Bürokratie, entstand so schrittweise eine Gesellschaftsordnung, in der diese Bürokratie die Rolle der gestürzten und größtenteils emigrierten oder vertriebenen privaten Bourgeoisie - gewissermaßen als eine Regentenklasse - übernahm.

Das war eine Gesellschaftsordnung, die m.E. ungeachtet aller Spezifika gegenüber der des klassischen Kapitalismus nur als kapitalistisch, «staatskapitalistisch», bezeichnet werden kann. Über die Gesetzmäßigkeiten dieses Staatskapitalismus gibt es in der Linken verschiedene Theorien, die hier nicht diskutiert werden brauchen. Auch der Zeitpunkt der endgültigen Durchsetzung der stalinistischen Konterrevolution ist umstritten, aber die großen Säuberungen von 1937/38 dürften als letzter Zeitpunkt akzeptabel sein.

Nach all dem wäre zu fragen, was ungeachtet aller persönlichen Vorstellungen und Ziele einer Vielzahl ehrlicher Marxisten und Kader der Arbeiterbewegung, die sich am Aufbau der «realsozialistischen» Staaten beteiligt haben, dazu berechtigen könnte, auch nur von der Möglichkeit einer sozialistischen Entwicklung in den Ländern «realen Sozialismus» zu sprechen. In diesen wurden als Folge des Zweiten Weltkriegs (später auch antikolonialer nationaler Befreiungskämpfe) zwar die einheimische private Bourgeoisie und vorbürgerliche Klassen entmachtet.

Das allerdings fand statt meist ohne die Existenz real proletarischer Avantgardeparteien, auf jeden Fall aber ohne eine Revolution durch die jeweilige nationale Arbeiterklasse. Stattdessen wurde der «Sozialismus»  durch das Vorrücken einer Armee eingeführt, die jene der zwar «antifaschistischen», aber dennoch bereits konterrevolutionären stalinistischen UdSSR war. Immerhin wurde ehrlicherweise statt von der «Diktatur des Proletariats» meist von «Volksrepubliken» gesprochen, wobei aber meistens das «Volk» nicht gefragt wurde.

Dass der Kapitalismus nur durch die Arbeiterklasse (als Vorhut anderer von ihm unterdrückter und ausgebeuteter Klassen und Schichten) - und auch nur international! - gestürzt und durch eine Gesellschaft ersetzt werden kann, die der Menschheit eine andere Perspektive als die der Barbarei eröffnet, scheint mir logisch und empirisch offensichtlich. Ob die Arbeiterklasse dazu allerdings fähig sein kann oder wird, weiß ich nicht.

Wenn Saral Sarkar den Sozialismus als eine Gesellschaft bezeichnet, die nichts mit dem Wohlstandsniveau des Volkes zu tun habe, sondern allein eine Frage der Verhältnisse der Menschen untereinander sei, dann scheint er mir allerdings den Boden des marxistischen Materialismus, dessen Fehlen er bei Angela Kleins Analyse moniert, selbst zu verlassen. Marx hat schließlich deutlich gemacht, dass unter Bedingungen knapper Ressourcen der Kampf um diese notwendigerweise stattfindet und der Staat nicht absterben könne, weil er als Regulator in diesem Kampf unverzichtbar bleibe.

In Hinblick auf das Verhältnis zwischen Sozialismus/Kommunismus und Ökologie stellen sich m.E. vor allem zwei Fragen:

1. Wird eine von den Fesseln der bürgerlichen Klassengesellschaft befreite Wissenschaft schnell genug Ersatz für die zu Ende gehenden bekannten natürlichen Ressourcen der Erde finden? 2. Wird die internationale Arbeiterklasse diese kapitalistische Klassengesellschaft, die zweifellos ein Hindernis für die umfassende Umsetzung auch der in schon ihrem Schoß erreichten wissenschaftlichen Erkenntnisse in die Praxis ist, noch stürzen, bevor es einfach zu spät ist?

Die bisherige geschichtliche Erfahrung kann diese Frage nicht beantworten, weil die Arbeiterklasse die erste Klasse der Geschichte wäre, die als Unterklasse mit allen dazu gehörenden kulturellen Mängeln zur herrschenden Klasse einer Gesellschaft würde.

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