von Willi Hajek
Anna Walentynowicz gehörte zu den Menschen, die bei dem Flugzeugabsturz in der Nähe von Katyn am 10.April 2010 ihr Leben verloren.
Anna W. gehörte nach dem Schrecken des Zweiten Weltkriegs zu den Frauen, die eine neue Gesellschaft in Polen mit aufbauen wollten. Aus armen Verhältnissen kommend, nutzte sie die Chance, als Frau Schweißerin auf der Danziger Lenin-Werft zu werden. Sie wollte nützliche und verantwortungsvolle Arbeit für die Gesellschaft leisten. Genau dieses Schaffen und dieses Engagieren für den gesellschaftlichen Aufbau prägte ihr ganzes Leben. Der Versuch, Worte und Taten im Leben in Übereinstimmung zu bringen, war ihre Orientierung.
Umso mehr bemerkte sie bald, dass gelebte Realität und ausgegebene Politparolen immer mehr in Widerspruch zueinander standen. Sie nahm diese Tatsache nicht einfach hin, sondern fing an zu kritisieren, praktische Vorschläge zur Veränderung zu machen, sich zu organisieren gegen diese verlogenen Zustände. Sie lernte viel Käuflichkeit, Korruption, menschliche Gemeinheit und Verlogenheit kennen, ihr Leben wurde bedroht, ihr Sohn wurde gesellschaftlich ausgegrenzt. 1980 wurde sie fünf Monate vor der Rente entlassen - ohne Anspruch auf Bezüge.
Anna W. war auf der Werft das Symbol einer aufrechten, bescheidenen und verantwortungsvollen Arbeiterin und Kämpferin für Gerechtigkeit. Ihre Entlassung löste die Streikdynamik aus, die am Ende zum Sturz des herrschenden Regimes in Polen führte.
Die Werftleitung ließ sie von zu Hause abholen und in die Werft bringen, um die streikenden Werftarbeiter in Danzig zu beruhigen. Diese forderten aber die sofortige Wiedereinstellung von Anna. Und obwohl diese akzeptiert wurde, forderte Anna die Werftarbeiter auf, den Streik fortzusetzen und das gesamte Forderungsprogramm der Streikbewegung durchzusetzen.
Anna hatte in den schwierigen Streikmomenten nicht nur die Ziele der Danziger Werftarbeiter im Blick, sondern setzte sich immer wieder für das gemeinsame Interesse aller Arbeiter in Polen ein, nicht nur derer in der Danziger Lenin-Werft, die schon viele Zugeständnisse erkämpft hatten. Für sie war Solidarnosc die Hoffnung auf Befreiung von Unterdrückung und Willkürherrschaft, sie kämpfte für die Rechte der Arbeiter gegen die Allmacht von Partei und Staat.
Aber bald bemerkte sie, wie leicht Machtgeilheit und Herrschaftswillen die Solidarnosc-Bewegung veränderten und sich ein neuer Machtapparat herausbildete, der all die Ziele und Werte ihres Kampfes zu verraten begann. Deshalb lehnte sie es auch ab, an den Feierlichkeiten im vergangenen Jahr zu Ehren von Solidarnosc in Danzig teilzunehmen. Sie wollte mit den Walesas und anderen Aufsteigern in die neue herrschende Elite nichts mehr zu tun haben.
Anna W. ist ihr ganzes Leben eine einfache, bescheidene Frau aus dem Volk geblieben, sie hat sich nicht von der Macht bis zur Unkenntlichkeit korrumpieren lassen wie Walesa und seine Beraterschaft. Deshalb ist Anna W. auch heute noch ein Symbol für alle die Menschen in Polen geblieben, die die solidarischen Werte der frühen Solidarnosc noch in ihrem Herzen tragen. Von Anna können wir lernen, was eine Einzelne alles bewirken kann, wenn das Tun einhergeht mit den Wünschen und Ansprüchen und Hoffnungen der Mehrheit der Unterdrückten.
Auch heute kämpfen die Arbeitenden in Polen wie anderswo wieder um ihre Würde wie damals, genauso auch wieder um freie und unabhängige Gewerkschaften. Deshalb hat Anna auch mehrmals streikende Werftarbeiter in den letzten Jahren in Danzig besucht und unterstützt.
Viele Menschen, in Polen und weltweit, trauern in diesen Tagen um diese Frau, Arbeiterin und mutige Kämpferin für eine solidarische und egalitäre Gesellschaftlichkeit.
Mein Respekt für ein solches Leben!
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