von Angela Huemer
Es ist noch nicht so lange her, seit man sich jedes Mal, wenn man ins Internet wollte, mühsam einwählen musste und die Verbindung gerade mal schnell genug war, um eine vorher verfasste E-Mail loszuschicken. Seit sieben bis acht Jahren hat sich das auf breiter Basis massiv verändert und seither gibt es neben Bildern, Text, animierten Elementen ganz viel Filme und Videos im Internet.
Kaum zu glauben, dass beispielsweise Youtube (auch für Cineasten ein unendliches Reservoir) erst 2005 gegründet wurde. Obskure Kurzfilme, Fernsehserien (meist in Ausschnitten), Amateurfilme - es gibt nichts, was es nicht gibt im Netz. Vermehrt bieten traditionelle Medien wie Zeitungen und Nachrichtenagenturen neben Fotostrecken auch kurze Videofilme als Ergänzung an, wobei sehr viele Aufnahmen mittlerweile von Augenzeugen stammen, aufgenommen per Mobiltelefon.
Politische Dimension
Und spätestens nach den Protesten gegen den Ausgang der Wahlen im Iran ist auch die politische Dimension dieser Internetfilme in das Bewusstsein der breiten Öffentlichkeit gedrungen. Zwei Multimediaplattformen weisen neben einer filmischen Qualität eine eminent politische Dimension auf: www.fromzero.tv aus der vor einem Jahr vom Erdbeben weitgehend zerstörten italienischen Stadt L’Aquila und www.dagaza.org, ein Filmtagebuch vom Januar 2009, gedreht und hochgeladen während der israelischen Militäroperation im Gaza-Streifen. Beide wurden produziert bzw. koproduziert von der italienischen Pulsemedia, einer Firma, die auch Internetauftritte gestaltet, Werbefilme herstellt, Modeschauen auf iPhones überträgt und damit die rein dokumentarisch-nichtkommerziellen hier beschriebenen Web-TVs und Internetfilme finanziert.
Übersetzt heißt www.dagaza.org ganz einfach: aus Gaza. Stefano Savona, der Regisseur, ein italienischer Dokumentarfilmer, überredete nach Beginn der Militäroperation den Produzenten Roberto Ruini kurzerhand zu etwas, was eigentlich unmöglich schien: eine Reise nach Gaza. Irgendwie gelang es ihnen, am 6.Januar über die ägyptische Grenze einzureisen, und nach wenigen Tagen produzierte Stefano Savona bis Ende Januar jeweils einen kurzen Film; begleitet von einem Text erschien er auf der Internetseite.
Ein Text beschreibt ein Massaker am Familienclan der Samouni durch die israelische Armee, der Film zeigt einen kleinen Jungen dieser Familie, der auf einem Trümmerhaufen sitzend von eben diesem Ereignis erzählt. Oft sind die kurzen Filme aber auch Szenen, die ganz ohne Dialog auskommen und nur die Bildern sprechen lassen.
Eine gemeinsame Eigenschaft dieses neuen Genres ist die Kürze: Sie sind in der Regel maximal 10 Minuten lang. Nach Abschluss der «Tagefilm»arbeit hat Stefano Savona aus dem Material einen langen Dokumentarfilm gemacht und damit den Preis der Jury des Festivals von Locarno im letzten August gewonnen. Eine 50-Minuten-Fassung zeigte der italienische Fernsehsender RAI3.
L’Aquila
Mittlerweile ist es mehr als ein Jahr her, dass ein Erdbeben die italienische Stadt «L’Aquila» schwer zerstörte. Während im staatlichen italienischen Fernsehen die Trümmer bisweilen zu einem wunderbaren Werbeträger für die Berlusconi-Regierung wurden, gab und gibt es unter www.fromzero.tv (in etwa: von Null weg) eine Möglichkeit, in aller Ruhe und aus der Nähe zu sehen und verstehen, was in L’Aquila passiert ist, was es heißt, wenn man nur in Begleitung der Feuerwehr das eigene Haus betreten darf, was es heißt, die Kinder in die Schule zu bringen und ihnen versichern zu müssen, dass das Schulhaus nicht einstürzen wird.
Von September bis Dezember waren die Macher von fromzero.tv, Stefano Strocchi (zugleich Produzent dieser Internetfilme), Alessia Dennino, Davide Barletti, Giotto Barbieri, der Kameramann Arturo Lavorato und die Cutter Andrea Ciacci und Cornelia Schöpf in L’Aquila und produzierten ihre kurzen Filme. Die Filme sind relativ kurz, meist zwei bis drei Minuten, allesamt italienisch mit englischen Untertiteln. Gefördert wurde das Projekt mit lokalen öffentlichen Geldern (Region Abbruzzen, FilmCommission in Turin) und von privaten Sponsoren.
Die Macher haben sich auf ein Zeltlager des Roten Kreuzes konzentriert, und man spürt ganz deutlich, wie sehr sie mit all ihren Protagonisten eine enge Bindung aufbauen und an ihrem Leben teilhaben – meilenweit vom tränenoptimierten Katastrophenjournalismus entfernt.
Noch immer sind 48.000 der etwas mehr als 72.000 Einwohnern der Stadt auf Hilfe angewiesen. Nach anfänglichem großem Jubel über die der rasche Übergabe von neuen Häusern - ein Teil von Berlusconis forciertem sog. «New Town» - gab es in den letzten Monaten massive Proteste, weil nicht genug im alten Teil der Stadt passiert.
Auf den Filmfestspielen in Cannes lief der Film Draquila von der Satirikerin und scharfen Berlusconi-Kritikerin Sabina Guzzanti, ein Film im Michael-Moore-Stil, der den italienischen Kulturminister veranlasste, das Festival zu boykottieren. Noch ist davon nur der Trailer verfügbar, aber als ich darüber las, merkte ich, dass er, so gut er auch sein mag, doch nicht die intensive Wirkung entfalten kann wie fromzero.tv - das noch dazu so angelegt war, jeden Tag einen neuen, kurzen Film zu sehen.
Ähnlich wohl wie die wunderbaren komplexen hochwertigen Fernsehserien (die mit KDD - Kriminaldauerdienst und Im Angesicht des Verbrechens von Dominik Graf endlich auch langsam in den deutschen Sprachraum dringen) eine ganz eigene, vielfach komplexere Erzählweise hervorbringen als der traditionelle Spielfilm, scheint auch dieses neue Genre des Internetfilms ein sehr großes Potenzial zu haben.
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