Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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Über Berufspolitiker, innerparteiliche Demokratie und die parlamentarische Linke
von Arno Klönne

Von den Unionsparteien über Gelbe und Grüne bis zur SPD ist parteienübergreifende Freude ausgebrochen: DIE LINKE «zerlege», wie es allenthalben heißt, «sich selbst», und zwar durch interne personelle Rivalitäten und Intrigen.

Und bei manchen Akteuren in der Linkspartei geht die Sorge um, am Ende werde man auf diese Weise die Fähigkeit einbüßen, «politische Verantwortung» zu übernehmen, also als Mitregierende im Spiel zu sein.

Ganz offensichtlich sind die gegenwärtigen Probleme der aus PDS und WASG zusammengeführten Partei durch Differenzen über die eigene gesellschaftspolitische Perspektive bedingt, aber die Verfahrensweisen, in denen diese ausgetragen werden, verweisen auf ein organisationspolitisches Dilemma, das so alt ist wie die Arbeiterbewegung.

Linke Parteien, wenn sie den Status einer Randgruppe hinter sich haben, brauchen «hauptamtliches» Personal, bezahlte Funktionäre, besoldete Mandatsträger – Menschen also, die «für die Politik leben» und zugleich «von der Politik leben». Und selbstverständlich steckt in dem zweiten Teil dieses Tätigkeitsprofils eine Eigendynamik, salopp formuliert: Wer einen Job hat, neigt in der Regel dazu, ihn zu festigen und womöglich auszubauen und die Inhalte seiner Tätigkeit diesem Berufsziel anzupassen. Dieses Bestreben kann sich verselbstständigen gegenüber den Erwartungen derjenigen, die - im Fall politischer Organisation - den Funktionär oder Mandatar in sein Amt hineinbefördert oder gewählt haben.

«Vertreter» können sich dem politischen Willen der «Vertretenen» entfremden. Zumeist ist es für die Mitglieder einer Organisation gar nicht so leicht, ihre Repräsentanten wieder loszuwerden. Personeller Wechsel in Großorganisationen geschieht überwiegend im Wege der Konkurrenz unter denen, die «von der Politik leben» oder sich auf einen solchen Job schon vorbereitet haben.

Eine lange Geschichte
Das Thema hat eine lange Geschichte. In der deutschen Sozialdemokratie vor dem Ersten Weltkrieg, als die Partei zur Massenorganisation aufgestiegen war, gab es für kurze Zeit eine Debatte darüber, aber ohne parteimethodische Konsequenzen.

Wie schwerwiegend die damals gestellte und dann wieder beiseitegelegte Frage war, zeigte sich im weiteren historischen Verlauf: Das Einschwenken der Sozialdemokratie 1914 auf die Kriegspolitik des wilhelminischen Staates war (nicht nur, aber auch) bedingt durch «Jobinteressen» ihrer professionellen Politiker. Nicht anders war es 1933, als SPD-Parteivorständler den illusionären Versuch machten, sich mit dem von Hitler geführten Staat zu arrangieren.

Es bringt nicht viel, solche historischen Erfahrungen mit dem Begriff «Opportunismus» zu belegen und zu beklagen. Auch das Handeln von Berufspolitikern hat seine strukturellen Hintergründe – in der Soziologie einer Partei und des parlamentarischen Betriebs, auch (wenn Regierungsämter übernommen werden) des ministeriellen Geschäfts.

Die Zwänge des Berufs

Um einige höchst folgenreiche Vorgänge aus der jüngsten Geschichte der Bundesrepublik in Erinnerung zu bringen und das Problem zu verdeutlichen: Wie war es möglich, dass unter Gerhard Schröder die SPD gesellschaftspolitisch und militärpolitisch auf einen Kurs ging, der mit den Wünschen der Mehrheit der Parteimitglieder nichts zu tun hatte, von den meisten Profis in Mandaten und Parteiapparat aber willig mitgefahren wurde? Auf welche Weise wurde die grüne Partei «von oben her» zu einer spezifischen Abteilung des «bürgerlichen Lagers»? Von einer nach den Regeln innerparteilicher Demokratie erfolgten programmatischen Wende kann in beiden Fällen keine Rede sein. Es handelte sich um einen Wandel, den die jeweiligen Berufspolitiker vollführten. Was trieb sie dazu an?

Linke Parteien haben ihre Ausgangspunkte im Aufbegehren gegen bestehende Machtverhältnisse. Aber Mandatsträger und hauptamtliche Funktionäre in den oberen Etagen der Politik bewegen sich in einem Handlungsfeld, das durch eben diese herrschenden Strukturen bestellt ist. Auch für Linke, die Politik zum Beruf gemacht haben, verändern sich damit die alltäglichen kommunikativen Umstände, sie werden, wenn sie sich nicht wehren, neu «sozialisiert».

In dieselbe Richtung wirkt der Druck der maßgeblichen Massenmedien, die Bilder vom «erfolgsträchtigen» Politiker vorgeben. Hinzu kommt inzwischen, dass politische Profis ab einem höheren Rang damit rechnen können, dass sie bei Verlust ihrer Politikämter oder beim Ausscheiden aus denselben in lukrative Jobs der privaten Großunternehmen übernommen werden. Auch diese Aussicht erzeugt Anpassungsbereitschaft, zunehmend auch vorsorgende Dienstbarkeit schon in politischen Amtszeiten.

Auf der linken Seite des politischen Spektrums besteht seit jeher eine riskante Neigung, sich vor der analytischen Auseinandersetzung mit Problemen der «Politik als Beruf» zu drücken und stattdessen im Schadensfall zu moralisieren. Es wird hier auch vielfach die Kraft des Programmatischen überschätzt; die schönsten Programmformulierungen verlieren für Berufspolitiker häufig schon am Tag nach der Beschlussfassung ihre Relevanz.

Eine Frage der Demokratie
Noch einmal zur LINKEN: Sie hat im Prozess ihrer Herausbildung, so mein Eindruck, das Thema «Demokratie» in seiner Realität vernachlässigt, sowohl die Verfassungswirklichkeit der Bundesrepublik betreffend als auch die innerparteilichen Verhältnisse. Auf beiden Ebenen herrschen Zustände vor, die von einigen Politologen zynisch als «postdemokratisch» bezeichnet werden. Das Wort «Volkssouveränität» wird so zum Hohn, im Blick auf den Staat wie auf die Parteien.

Jeder Versuch, der Entmündigung von Bürgerinnen und Bürgern wie auch von Mitgliedern der Parteien entgegenzuwirken, wird sich auch auf die Frage einlassen müssen, wie Politik als Beruf aus einer antidemokratischen Eigendynamik herausgeholt werden kann. DIE LINKE könnte hier mit sich selbst beginnen.

Die Partei der Grünen hat in ihrer frühen Phase versucht, der Entfremdung ihrer Profis von der politischen Basis durch statuarische Regeln vorzubeugen, die Verpflichtung zur Rotation u.ä. Die gute Absicht hat nicht lange vorgehalten, sie galt bald als unpraktisch. Offenbar ist das Problem nicht im «Rechtswege» zu lösen, sondern anzugehen nur, indem die politische Lebenswelt von Amtsträgern einer Partei und von Parlamentariern in den Blick genommen wird: Sind und bleiben sie eingebunden in Initiativen und Aktionen außerhalb des Geschäftsbetriebs von Parlament und Partei, in die Kommunikation abseits der Pressekonferenzen und Akademietagungen? Setzen sie sich den alltäglichen Erfahrungen, dem Zorn, den Zweifeln und den Hoffnungen derjenigen aus, in deren Namen sie Politik machen?

Ein simples Detail: Aufschlussreich ist der Tages- und Stundenplan eines Berufspolitikers oder einer Berufspolitikerin. Man bekommt einen Eindruck davon, wie nah oder wie fern Politik als Beruf und gesellschaftspolitischer Alltagskonflikt zueinander stehen. Eine Partei, die links sein will, muss die vorherrschende Distanz nicht hinnehmen.

Arno Klönne ist emeritierter Professor für Soziologie an der Universität Paderborn und Autor zahlreicher Bücher zur Geschichte der Arbeiterbewegung. Zuerst erschienen auf www.marx21.de/.

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