Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 06/2010
Zur Debatte über die Kasseler Erklärung
Betr.: Peter Kämmerling
«Ökosozialistisch oder sozial-ökologisch?»
SoZ 5/10
von Saral Sarkar

Die Kasseler Erklärung ist nicht der beste Text über die Notwendigkeit einer ökosozialistischen Gesellschaft. Über diese sollte viel gründlicher diskutiert werden. Dennoch ist die Initiative der SoZ begrüßenswert. Doch Kämmerling macht eine Diskussion schwierig, indem er eine unverrückbare Grundposition verkündet. Er kennt keine Grenzen des Wachstums.

Auf sein materielles Wohl und das aller möchte er nicht verzichten. Weil industrielle Produktion Wohlstand bedeutet, ist er absolut nicht bereit, Industrie aufzugeben. Er meint, das sei auch nicht nötig. Aber wenn wir zur Erkenntnis gelangen, dass das zum Wohl der Natur, der zukünftigen Generationen und der Menschen in den armen Ländern nötig ist, ist er dann bereit, auf einiges zu verzichten?

Er behauptet, Verzicht sei nicht nötig, denn Wind und Sonne könnten schon mit heute käuflichen Anlagen sogar in der BRD mehr als 100% des derzeitigen Energiebedarfs kostengünstig decken. Das sei Basiswissen. So was lesen wir jetzt schon seit über 35 Jahren. Aber die angeblich kostengünstigen erneuerbaren Energien sind immer noch ohne Subventionen unverkäuflich.

Warum das so ist, habe ich an anderer Stelle ausführlich erörtert.* Hier kann ich den Leser nur informieren, dass dieses angebliche Basiswissen nur eine umstrittene Behauptung von Träumern ist und dass manche Forscher die Energiebilanz (der Gesamtenergieeinsatz gegenüber der Gesamtenergieernte) der Technologien zur Produktion erneuerbarer Energien für negativ oder zu wenig positiv halten.

Kämmerling erklärt uns mithilfe von VWL-Basiswissen, warum die fossilen Energieressourcen nicht wegbrechen würden. Sie würden nur immer teurer. Aber wenn nur die Einkommensstärkeren sich diese leisten können und wenn die erneuerbaren Energien nicht kostengünstig werden, wie kann dann «friedlicher Wohlstand für alle» erreicht werden - was er möchte?

Weitere Forschung und Entwicklung seien nötig, sagen andere Protagonisten der erneuerbaren Energien. Sie sind optimistisch, dass diese in Zukunft kostengünstig würden. Viele sind da skeptisch. Alle Anlagen zur Produktion erneuerbarer Energien werden bis heute mithilfe konventioneller Energien hergestellt, die auch den größten Teil der Gesamtwirtschaft antreiben, von deren Überschüssen die Subventionen für die erneuerbaren kommen. Wie können also diese in Zukunft kostengünstig werden, wenn die fossilen Energien, der größte Brocken der konventionellen, immer teurer werden? Und woher sollen dann die Subventionen kommen, wenn das Nettosozialprodukt wegen steigender Energiekosten sinkt?

Wenn man etwas mehr liest als VWL-Lehrbücher, erfährt man, dass viel vom VWL-Basiswissen seit langem in Zweifel gezogen wird. Die gängige VWL sagt nichts über die Energiebilanzfrage, die defensiven und kompensatorischen Kosten, den ökologischen Fußabdruck, die Tragfähigkeit der Erde usw. Sie verschweigt die Bedeutung des Entropiegesetzes für den Wirtschaftsprozess - ein Naturgesetz, das dem Glauben der VWL an kreislaufartige Produktion widerspricht. Ökologische Ökonomen wie z.B. Nicholas Georgescu-Roegen und Herman Daly werden gar nicht erwähnt.

Die Optimisten setzen auf technologische Durchbrüche. Sie hoffen auch, dass biogene Rohstoffe und Recycling alle quantitativen Rohstoffprobleme der Industrie lösen werden. Sie vergessen aber, dass biogene Rohstoffe mit der Nahrungsmittelproduktion um Ackerland konkurrieren.

Bezüglich der Hoffnung auf massive Rohstoffrationalisierung zeigt die Wirtschaftsgeschichte, dass die meisten technologischen Durchbrüche der letzten 200 Jahre die Energie- und Rohstoffintensität des Wirtschaftens erhöht haben. Steigender Land-, Energie- und Rohstoffbedarf aber führt zu Konflikten, Kriegen und, schließlich, zur Barbarei.

Allerlei technologische Entwicklung wird auch in Zukunft möglich sein. Aber keine wird das Entropiegesetz aufheben können, sodass industrielle Kreislaufwirtschaft ausgeschlossen ist. Kurz und gut, wenn wir das ökologische Gleichgewicht nicht ganz zerstören und die Gesellschaften nicht zum Kollaps treiben wollen, muss die Weltwirtschaft, insbesondere die Wirtschaft der Industrieländer, planmäßig schrumpfen.

Kämmerling verwirft den Ökosozialismus, weil dieser seiner Ansicht nach keine konstruktiven Lösungsansätze und keine positive Zukunft mit lebensnah gehbaren Wegen dorthin bietet. Solche erwartet er von der Vision einer sozial-ökologischen Industriegesellschaft, die wir «durch Setzen der richtigen politischen Rahmenbedingungen» erreichen könnten. Er will also den Kapitalismus nicht abschaffen, sondern nur regulieren, obwohl er kapitalistische Ausbeutung schon als ein Übel bezeichnet. Aber ist Kapitalismus ohne Ausbeutung überhaupt möglich?

Klar, wenn industrielles Wachstum weitergehen kann, kann auch der Kapitalismus weiterleben und sogar etwas «sozial» sein. Aber könnte er auch ein ökologischer sein, wenn die Industrie zu 100% mit erneuerbaren Energien angetrieben werden könnte (was ich aus oben genannten Gründen für unmöglich halte)?

Das ökologische Problem ist nicht nur eins von übermäßigem CO2-Ausstoß. Der Kapitalismus mit seinem unabdingbaren Profitmotiv und Wachstumszwang kann auch mit solarwasserstoffgetriebenen Motorsägen die Regenwälder zerstören. Auch eine mit erneuerbaren Energien getriebene Industrie würde Böden und Gewässer verschmutzen und Raubbau an Naturressourcen betreiben.

Um des Schutzes der Biosphäre willen müssen wir also eine Schrumpfung der industriellen Wirtschaften durchsetzen. Das ist unmöglich im Kapitalismus, aber möglich im Sozialismus, wo Wohlstandsverlust durch eine egalitäre Verteilung der Kosten und Nutzen des Wirtschaftens akzeptabel gemacht werden kann.

*Saral Sarkar, Die nachhaltige Gesellschaft (2001) (nur noch beim Autor erhältlich); Die K. risen des Kapitalismus. Eine andere Studie der politischen Ökonomie, Neu-Ulm: AG-SPAK, 2010. Mehr Infos: www.oekosozialismus.net.

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