Es könnte alles ganz einfach sein:
Die Europäische Zentralbank (EZB) übernimmt die notleidenden Staatsanleihen zu einem niedrigen Zinssatz von 1 bis 2%. Die Anleihen werden entsprechend umgeschuldet, die Zinsausfälle übernehmen die bisher kreditgebenden Banken. Das Gespenst des Staatsbankrotts hat sich damit erledigt.
Dafür macht die EZB Auflagen, die darauf hinaus laufen, die Einnahmeseite der Staatshaushalte zu verbessern: Im Falle Griechenlands ist dies z.B. die Stornierung sämtlicher Rüstungsgeschäfte sowie die angemessene Besteuerung der Vermögenden.
Alle Steueroasen innerhalb der EU werden sofort geschlossen, indem eine Harmonisierung der Steuersätze eingeleitet wird. Im Verkehr mit Nicht-EU-Ländern werden die Kapitalverkehrskontrollen wieder eingeführt.
EU-weit wird eine Finanztransaktionssteuer eingeführt. Der Handel mit geliehenem Geld wird untersagt. Die Banken dürfen keine Eigengeschäfte mehr betreiben, sondern werden auf ihr Kerngeschäft zurückgefahren, das darin besteht, die Gelder ihrer Kunden verantwortlich und sicher anzulegen.
Die ersten drei Maßnahmen können auf nationaler Ebene in der Eurozone bereits nicht mehr durchgeführt werden. Die nationalen Notenbanken haben ihr Recht, Geld zu drucken, nämlich mit Einführung des Euro an die EZB abgegeben. Zum erstenmal bewahrheitet sich der Ausspruch: «Es gibt keine nationale Lösung der Krise» an einem harten Fakt.
Die fortgesetzte Auslieferung europäischer Staaten an die Finanzmärkte fördert in den Binnenländern massive soziale Ungleichheit, sie fördert aber auch die Ungleichheit zwischen den EU-Staaten, deren Ausgangsbedingungen ja schon beim Beitritt zum Euro sehr unterschiedlich waren. Auf allen Seiten werden damit nationalistische Ressentiments geschürt: Die Griechen fühlen sich, besonders von den Deutschen, allein gelassen und können nicht verstehen, warum dieselben, die sich im Urlaub von der Gelassenheit und dem anderen Lebensrhythmus in diesem Land bezaubern lassen, auf einmal sagen: Dafür zahlen wir nicht. Otto Normalo kriegt in Deutschland einen Hals, wenn er hört, die Griechen gingen bisher mit 55 Jahren in Rente und machen jede dritte Woche einen Generalstreik, weil sie jetzt mit 60 in Rente sollen. Was sollen wir da sagen, die wir erst mit 67 in Rente dürfen?
Wäre es nicht für beide Seiten vorteilhaft, wir würden uns darauf einigen, dass alle in der EU mit 60 in Rente gehen, nicht mehr als 35 Stunden in der Woche arbeiten und EU-weit ein Mindestlohn herrscht, dessen Höhe sich nach einem feststehenden Anteil am Bruttoinlandsprodukt richtet? Das sind doch nicht nur Forderungen in Griechenland, das sind doch auch Forderungen hierzulande!
Das Europa der Nationalstaaten hat sich überlebt. Die Pflege nationaler Egoismen führt in der EU zu halbkolonialen Binnenstrukturen (wie sie zwischen Nord- und Süditalien, West- und Ostdeutschland schon existieren) und zu Herrschaftsverhältnissen, für die vor allem die lohnabhängige Bevölkerung zur Kasse gebeten wird. Die Arbeiter und Angestellten, Erwerbslosen wie Kleinunternehmer haben davon nichts zu gewinnen, weder in Deutschland noch in Griechenland.
Überall dort, wo in der EU jetzt Sparpakete verhängt werden, regt sich Widerstand: Am 27.5. gab es in Frankreich im gesamten öffentlichen Sektor Streiks und Demonstrationen; am 29.5. einen Aktionstag in Griechenland; ebenfalls am 29.5. hat die CGTP in Portugal landesweit zu einer Großdemonstration aufgerufen; Anfang Juni gab es einen weiteren Generalstreik in Griechenland; die spanischen Gewerkschaften haben für den 8.Juni einen landesweiten Streik im öffentlichen Dienst angekündigt; am 12.6. gehen wir in Berlin und Stuttgart auf die Straße; ebenfalls für den 12.6. haben die italienischen Gewerkschaften eine landesweite Demonstration angekündigt und wollen einen Generalstreik gegen das Sparpaket vorbereiten…
Die Forderungen sind weitgehend gleich, die Verteidigung des öffentlichen Dienstes und der Sozialsysteme steht im Vordergrund. Die europäische Dimension der Krise ist schlagartig ins Bewusstsein gerückt. Jetzt braucht es eine europäische Antwort. Was ist das?
Die Forderungen, die wir an unsere jeweilige Regierung richten, müssen um eine europäische Dimension erweitert werden. Denn die Regierungen sind es, die in der EU die Musik machen, doch haben sie mit der europäischen Ebene eine zusätzliche Handlungsebene hinzu gewonnen, die wir bislang in unseren Forderungen nicht berücksichtigen und der wir bisher nichts entgegensetzen. Wenn wir also künftig Forderungen zur Arbeitszeit, zum Einkommen oder zu den Steuern aufstellen, sollten wir das gleich auf die europäische Ebene ausweiten - in Zusammenarbeit mit gleichgesinnten Kräften in anderen europäischen Ländern.
Auf der Ebene der Praxis, der Kämpfe, müssen wir ebenfalls europäisch werden. Schon lange gelingt es den Konzernen, Belegschaften zu spalten, weil diese nicht in der Lage sind, Streiks und Tarifverhandlungen auf europäischer Ebene zu erzwingen. Opel ist dafür ein trauriges Beispiel, das aber auch zeigt: Wären die Arbeiter genau so europäisch organisiert wie das Kapital, würden die Konzernleitungen sofort einknicken. Europaweite Kampffähigkeit zu erreichen ist zu einer Überlebensfrage geworden - gerade angesichts der jetzigen Sparangriffe.
Jetzt muss der Sprung raus aus der nationalen Borniertheit gelingen. Die europaweiten Proteste gegen die Sparpakete müssen im Herbst in eine Großdemonstration in Brüssel münden. Das Europäische Sozialforum in Istanbul muss den Grundstock legen für eine dauerhafte enge Zusammenarbeit der sozialen Bewegungen in Europa im Widerstand gegen neoliberale und nationalistische Politik und für die Neugründung der Europäischen Union auf einer solidarischen und demokratischen Grundlage. (Vorarbeiten dafür sind mit der Charta der Grundsätze für ein anderes Europa bereits gemacht worden.) Der Lissabon-Vertrag ist obsolet, er muss ersetzt werden durch ein neues Vertragswerk, das von den Bevölkerungen mit erarbeitet und entschieden wird.
Europa hat nur gemeinsam eine Zukunft. Es in seinen besten Traditionen neu zu erfinden, ist die Aufgabe internationalistisch orientierter sozialer Bewegungen.
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