Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 06/2010
Durchbruch für Attac-Forderung?
von Peter Wahl

«Eine idiotische Idee!» nannte einst der Nobelpreisträger und neoliberale Hardliner, Robert Mundell, die Tobin-Steuer. Jetzt sieht es aber so aus, als ob Attac kurz vor der Verwirklichung seiner Gründungsforderung stünde.

Mehr noch, es geht nicht nur um eine Steuer auf Devisen, sondern mit der Finanztransaktionssteuer (FTT) soll der Handel mit allen Klassen von Finanzvermögen besteuert werden: Aktien, Anleihen, alle Derivate und natürlich nach wie vor Währungen. Das ist viel mehr, als Attac ursprünglich wollte. Die Bundesregierung hat im Zuge der Verabschiedung des Rettungsschirms für den Euro zugesagt, sich für die Bankenabgabe und für die FTT einzusetzen, zuerst in der G20, und wenn es da nicht klappt - was zu erwarten ist - in der Eurozone.

Das Steueraufkommen der FTT würde selbst bei einem Steuersatz von 0,05% allein in der EU Einnahmen in der Größenordnung von 100 Mrd. Euro jährlich generieren. Endlich einmal eine Zahl, die mit den Dimensionen der Konjunkturpakete und Rettungsschirme mithalten kann. Selbst wenn sich das durch Ausweichbewegungen noch reduziert, kein anderes Instrument hat ein solches Potential. Wichtiger noch ist, dass ein beträchtlicher Teil des Spekulationsgeschäfts unrentabel würde. Der automatisierte Computerhandel, der inzwischen ca. 60% des Börsenhandels ausmacht, würde schrumpfen. Das trüge zur systemischen Stabilität bei und würde den Renditedruck, der durch die schiere Masse des bewegten Kapitals erzeugt wird, reduzieren.

Die Kanzlerin ist dafür, der Finanzminister, Seehofer und die komplette Opposition sowieso. Auch Frankreich, Österreich und Belgien sind schon dabei. Es dürfte Merkel ernst sein mit der FTT. Denn der Schock der Eurokrise hat bei den deutschen Funktionseliten eingeschlagen wie nichts zuvor in der Nachkriegsgeschichte. Die Währungsunion war ihr Projekt. Und bisher ist Deutschland der große Gewinner. Das gerät jetzt in Gefahr.

Die Etablierung des Euro war zudem nicht nur ein ökonomisches Projekt, sondern auch Bestandteil des großen Designs zur politischen Integration der EU, eines der Herzensanliegen der deutschen Funktionseliten und ein tragender Pfeiler deutscher Staatsraison. Daher geht den Regierenden der Arsch auf Grundeis. Sie haben endgültig kapiert, dass sie Spielball «der Märkte» sind. Nachdem die Politik über zwanzig Jahre mit Liberalisierung und Deregulierung ihre Selbstentmachtung betrieben hat, merkt der Zauberlehrling jetzt, «die Not ist groß, die Geister die ich rief, die werd ich nicht mehr los».

Die Wahl in NRW schreibt zudem den generellen Trend zum Abstieg der CDU/CSU fort. Anders als Brechts Slogan «Wahlen ändern nichts» suggeriert, hat die Union aus dem Hartz-IV-bedingten Abstieg der SPD gelernt und versucht es mit einem Kurswechsel. Der Neoliberalismus ist damit noch nicht völlig entsorgt. In Schuldenbremse und Sparideologie lebt er fort. Aber auch dort wird das Alte Denken an der Realität zerschellen. Selbst Westerwelle gibt unter dem Eindruck der 5%-Klausel seinen Widerstand auf.

Denn eines hat die Krise gezeigt: Es ist weniger der Druck von unten, von sozialer Bewegung, der Linken und von Protest - da ist gegenwärtig überall tote Hose -, sondern der Problemdruck der Jahrhundertkrise, der Veränderungen erzwingt. Klar, das sind Reformen von oben, wie bei Bismarcks Sozialpolitik und beim New Deal Roosevelts. Doch Business as usual geht angesichts der Widersprüche des Kapitalismus einfach nicht mehr.

So sehr sich die Kräfteverhältnisse zugunsten der FTT verschoben haben, noch ist die Steuer nicht durch. Die erste Barriere ist der Gegenwind durch die USA und einige andere G20 Mitglieder. So ist z.B. Südkorea, Gastgeber des G20-Gipfels im November, gegen die Steuer. Wie andere Schwellenländer - Ausnahmen sind Brasilien, Indien und Russland - interessiert dieses Land nur die internationale Wettbewerbsfähigkeit der eigenen Finanzindustrie. Auch in der Eurozone dürfte noch einige Überzeugungsarbeit anstehen.

Außerdem gibt es über das Bekenntnis zur FTT hinaus wenig Konkretes. Welcher Steuersatz, welche Steuerbasis, wie werden die Einnahmen verteilt, welche flankierenden Maßnahmen gegen Steuerumgehung? All das sind ungeklärte Fragen. Der Teufel des Details hat schon so manche Idee zur Unkenntlichkeit verwässert.

Daher ist Druck von unten nötiger als je. Auch wenn das heißt - dem Standardlinken dreht sich der Magen um - Merkel international den Rücken zu stärken.

Peter Wahl ist Gründungsmitglied von Attac und Mitarbeiter der NGO WEED.

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