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Staat/Parteien 3. Juni 2010
Wolfgang Zimmermann über das Scheitern der Sondierungsgespräche zur Regierungsbildung mit SPD und Grünen

Das einzige Sondierungsgespräch, das in NRW mit der LINKEN im Vorfeld der Regierungsbildung stattgefunden hat, fand am 20.Mai statt.

Laut Kölner Stadtanzeiger ist Rot-Rot-Grün am mangelnden Staatsverständnis der LINKEN gescheitert. Was hat man sich darunter vorzustellen?

Nach meiner Auffassung ist das Sondierungsgespräch mit Rot-Grün unter anderem daran gescheitert, dass SPD und Grüne zwei Stunden über die DDR gesprochen haben und eine Erklärung von uns wollten, dass die DDR ein Unrechtsstaat war. Wir haben erklärt, dass wir die DDR nicht für einen demokratischen Rechtsstaat gehalten haben, sondern für eine Diktatur. Sie haben auf dem Begriff Unrechtsstaat bestanden.

Dann haben sie noch fast eine Stunde über den Verfassungsschutz gesprochen - das Gespräch dauerte insgesamt fünf Stunden. Sie wollten ein Bekenntnis zum Verfassungsschutz und seiner Rolle als Verteidiger der «freiheitlich-demokratischen Grundordnung». Sie haben von uns verlangt, dass der personelle Bestand und der Haushalt für den Verfassungsschutz nicht angetastet wird.

Sie haben auch von uns eine Garantie verlangt, dass die Partei nicht gegen eine Regierung demonstriert, an der DIE LINKE beteiligt ist. Das haben wir abgelehnt. Daher kommt vielleicht der Vorwurf, wir hätten ein anderes Staatsverständnis.

Wie interpretierst du das Herangehen?

Die Sondierung war nicht ernsthaft. Wenn Parteien Gespräche mit anderen führen und um jeden Preis an bestimmten Begrifflichkeiten festhalten, zeigt das ihre Unernsthaftigkeit. Es ging ihnen nicht um Inhalte. Im Wahlkampf hatten sie noch suggeriert, auch sie wollten einen grundlegenden Politikwechsel. Wir konnten aber gar nicht feststellen, ob ihre Vorstellungen von einem Politikwechsel mit den unseren übereinstimmt, denn darüber wurde so gut wie nicht gesprochen.

Wir müssen also feststellen, dass die Gespräche Scheingespräche waren - sonst hätte man sich z.B. mit der Erklärung der LINKEN zur DDR zufrieden geben müssen. Darüber hinaus hatten wir angeboten, auf der Grundlage der Brandenburger Erklärung eine eigene Erklärung für NRW zu diskutieren…

Überrascht es dich, dass sie so aufgetreten sind?

Ja. Der Anfang des Gesprächs nicht so sehr, denn Verhandlungen zeichnen sich häufig dadurch aus, dass man zunächst einmal Druck aufbaut und den anderen in die Ecke drängt. Als wir dann aber andere Themen diskutiert haben:

Als wir dargelegt haben, dass die Abschaffung des Verfassungsschutzes für uns nicht prioritär ist, dass dies in den nächsten fünf Jahren nicht sein muss, sondern dass es uns vor allem darum geht, die Arbeits- und Lebenssituation der Menschen in NRW deutlich zu verbessern;
als wir über Stellen im öffentlichen Dienst, gesprochen und dargelegt haben, dass wir bereit wären, dort wo Aufgaben reduziert wurden oder weggefallen sind, Stellen umzuschichten, z.B. in den Bildungsbereich;
als wir über die Entscheidungswege hin zu einer Koalitionsvereinbarung (Mitgliederentscheide, Parteitage usw.) gesprochen haben und feststellten, dass wir einen etwas längeren Weg brauchen zur Unterschrift unter einen Koalitionsvertrag, der aber zeitlich genau gepasst hätte bis zur Wahl des Ministerpräsidenten;
als dann alle unsere Vorstellungen als ein Beweis für unsere Politik- und Regierungsunfähigkeit bezeichnet wurden -
da war klar, dass nur Vorwände gesucht worden waren.

Damit hast du nicht gerechnet?

Nein. Am Schluss habe ich damit gerechnet, dass wenigstens ein zweites Sondierungsgespräch läuft, in dem man über die Inhalte spricht, die mehr oder weniger in den drei Wahlprogrammen stehen: Abschaffung der Studiengebühren, «Eine Schule für alle», Mitbestimmung im öffentlichen Dienst, Vergabegesetz zur Tariftreue usw.

Kann man sagen, die SPD hat in ihrem Wahlprogramm etwas vorgetäuscht, was sie in Wirklichkeit gar nicht beabsichtigte?

Das kann man durchaus sagen, das macht allein schon der Ausspruch von Hannelore Kraft deutlich: «Jetzt ist die Wahl vorbei. Jetzt müssen Wahlprogramme einem Realitätscheck unterzogen werden.» Das nenne ich schlicht Wahlbetrug.

Dann wird es für die LINKE jetzt wohl darum gehen, in der Öffentlichkeit deutlich zu machen, dass Kraft nicht anders ist als Clement, oder?

Offensichtlich hat die SPD auch in NRW aus der Agenda 2010 und der Hartz-Politik nichts gelernt. Sie ist zwar hier und da zu einigen kosmetischen Korrekturen bereit, sieht hier und da auch Fehler, aber ihre grundsätzliche Orientierung hat sich offensichtlich nicht geändert.

Das ist für euch doch eine gute Vorlage gegenüber der Wählerbasis der SPD. Wie wollt ihr euch denn jetzt aufstellen?

Wir wollen jetzt deutlich machen, was wir unter Politik verstehen, und dass wir nicht nur im Parlament agieren, sondern vor allem auch außerparlamentarisch. Wir werden jetzt als Fraktion knallharte Oppositionspolitik machen - im Interesse der abhängig Beschäftigten, der Erwerbslosen und aller benachteiligten Bevölkerungsgruppen in NRW. Wir werden für sie Stimme sein im Parlament und gleichzeitig die Verbindung suchen zu den außerparlamentarischen Bewegungen, den Organisationen der Betroffenen, den Gewerkschaften, Sozialverbänden, Erwerbsloseninitiativen und den sozialen Bewegungen.

Wir werden bald einen Ratschlag einberufen, auf dem wir mit diesen Organisationen und Bewegungen und allen interessierten Menschen sprechen, damit wir abgestimmt mit ihnen im Parlament agieren, gleichzeitig mit ihnen aber auch den Widerstand gegen die weiter zu erwartende asoziale Politik organisieren können.

Wie geht denn jetzt die Regierungsbildung weiter?

Wenn das mit der CDU nicht klappt und die FDP sich nicht bewegt, kann auch das Modell Minderheitsregierung wieder auf den Tisch kommen. Das ist für uns eine interessante Variante. Ich persönlich hielte es für richtig, dass wir Frau Kraft, wenn sie für eine rot-grüne Minderheitsregierung antritt, zur Ministerpräsidentin wählen. Wenn sie für eine große Koalition oder für eine Ampelkoalition antritt, sollten wir gegen sie stimmen. Wenn sie aber mit den Grünen eine Minderheitsregierung macht, würde ich dazu neigen, sie zu wählen und von Fall zu Fall zu entscheiden, ob man Gesetzesvorhaben mitträgt oder nicht. Sie müsste dann auf uns zukommen und mit uns über bestimmte Maßnahmen verhandeln, und wir müssten entscheiden, welche Kompromisse einzugehen wir bereit wären.

Eine Minderheitsregierung ist für das deutsche Sicherheitsbedürfnis eine starke Zumutung…

Frau Kraft hat den Vorschlag eingebracht. Vielleicht ist er ja auch nur eine Drohgebärde gegenüber der CDU…

Kannst du dir vorstellen, dass sie noch einmal zurückkommt mit dem Angebot, doch eine rot-rot-grüne Regierung zu bilden?

Das kann ich mir nicht vorstellen. In der Politik ist ja alles möglich. Aber in Anbetracht dessen, wie beide Parteien sich uns gegenüber in den Medien geäußert haben, wie entsetzt sie sich über unser Politikverständnis gezeigt haben, würde das sehr schwierig.

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