Warum Öl und Gas in immer schwierigerer Umgebung gefördert wird
von Michael T. Klare
Das Öl, das in schwindelerregenden Mengen in den Golf von Mexiko fließt, könnte zu einer der größten Umweltkatastrophen der Menschheitsgeschichte werden. Eigentlich ist es jedoch lediglich die Ouvertüre zum Zeitalter des «Tough Oil» (schwierigen Öls), in dem die Abhängigkeit von problematischen und schwer zugänglichen Energiequellen zunimmt.
Vermutlich wird die genaue Ursache der massiven Explosion, die den Bohrturm von Deepwater Horizon am 20.April zerstörte und 11 von 126 Arbeitern tötete, niemals festgestellt werden. Mögliche Ursachen sind ein defekter Zementpfropf im Ölbohrloch unter Wasser und ein nicht funktionierendes Sicherheitsventil, aber auch unzulängliche Kontrollen der Sicherheitsvorkehrungen durch die Regierung - alles in allem also eine Kombination von defekter Ausrüstung und menschlichem Versagen. Über die eigentlichen Ursachen kann es keinen Zweifel geben: die ungebremsten Bemühungen einer privaten Firma - gestützt von der Regierung -, Öl und Gas in extremer Umgebung unter zunehmend prekären Bedingungen zu fördern.
Die USA sind in das Kohlenwasserstoffzeitalter mit einem der größten Erdöl- und Erdgasvorkommen weltweit eingetreten. Die Ausbeutung dieses wertvollen und wandelbaren Guts trug lange zum Reichtum und Macht der USA bei und brachte Energiekonzernen wie BP und Exxon riesige Gewinne. Im Laufe der Zeit haben sich die meisten der leicht zugänglichen Öl- und Gasreserven auf dem Festland erschöpft, aktuell gibt es nur noch weniger leicht zugängliche Ölreserven vor der Küste, in Alaska und in der schmelzenden Arktis. Um auch in Zukunft die Versorgung mit Kohlenwasserstoff - und die Profite der Energiemultis - zu garantieren, haben verschiedene aufeinander folgende US-Regierungen die Ausbeutung extremer Energiequellen mit einer erstaunlichen Missachtung für mögliche Gefahren gefördert.
Die Jagd nach Öl und Gas ist seit jeher mit Risiko behaftet. Die meisten Energiereserven sind tief unter der Erdoberfläche unter Felsformationen gefangen. Wenn sie von Ölbohrungen durchlöchert werden, ist es sehr wahrscheinlich, dass sie explosionsartig ausbrechen, der bekannte «Springquellen»-Effekt. In den großspurigen frühen Tagen der Ölindustrie verursachte dieses Phänomen oft Verletzungen und Umweltschäden. Mit der Zeit gelang es den Ölfirmen, solche Ereignisse besser vorauszusehen und Schaden für die Arbeiter und die Umgebung abzuwenden.
Unbeherrschbar
Mit den aktuellen Bestrebungen, schwer zugängliche Reserven in Alaska, der Arktis und in Tiefseegebieten zu fördern, kehren wir zu einer besonders gefährlichen Variante aus der Pionierzeit der Ölförderung zurück. Die in relativ einfacher Umgebung entwickelte Technik der Energiekonzerne erweist sich für die neuartigen und unvorhergesehenen Gefahren als unangemessen.
Deepwater Horizon war typisch für diesen Trend. Die Firma BP, die die Bohranlage mietete und die Bohrungen überwachte, drängt schon seit Jahren darauf, Öl aus immer größeren Tiefen im Golf von Mexiko zu fördern. Die fragliche Quelle, die «Mississippi Canyon 252», befindet sich 1500 Meter unter dem Meeresspiegel, rund 50 Meilen südlich der Küste des US-Bundesstaats Louisiana. Die Quelle selbst reicht weitere 4000 Meter ins Erdinnere hinein. Bei so großen Tiefen werden ferngesteuerte, roboterartige Maschinen auf dem Meeresgrund eingesetzt, die von Technikern auf der Bohranlage überwacht werden. Daher gibt es so gut wie keinen Spielraum für Fehler und schon gar keine Toleranzschwelle für eine übermäßig Zeit und Geld sparende Arbeitsweise oder lasche Kontrollen.
All das war bei Deepwater Horizon der Fall. Als die vorhersehbaren Probleme auftauchten, war es natürlich unmöglich, Arbeiter einen Kilometer unter die Meeresoberfläche zu schicken, um die Situation zu beurteilen und eine Lösung zu finden. Bohrungen in Alaska und der Arktis bergen noch größere Herausforderungen angesichts der dort herrschenden extremen Umwelt- und Klimabedingungen.
Jeder Bohrturm, der dort auf hoher See installiert wird, muss verstärkt werden, um Kollisionen mit Eisbergen, extreme Temperaturschwankungen sowie orkanartige Stürme überstehen zu können. Zudem könnte man mit einer BP-artigen Ölpest in so unzugänglichen Gegenden noch schwerer umgehen als derzeit im Golf von Mexiko, das ausströmende Öl wäre für viele bereits gefährdete Tierarten tödlich. Die großen Energiekonzerne behaupten jedoch, dass sie absolut stichhaltige Schutzvorkehrungen gegen solche Gefahren haben.
Spätestens das Unglück im Golf von Mexiko führt ihre Behauptungen ad absurdum, war aber mitnichten der erste Zwischenfall: 2006 versagte im Gebiet des North Slope, Alaska, eine schlecht instandgehaltene Pipeline einer BP-Anlage, wodurch mehr als eine Million Liter Rohöl ausflossen. Glück im Unglück war, dass dies im Winter geschah und man so das gefrorene Öl besser von der Schneeoberfläche entfernen konnte. Außerdem waren die Zugvögel nicht gefährdet.
Hauptsache, es bringt Öl
Trotz offensichtlicher Risiken und inadäquater Sicherheitsvorkehrungen haben die US-Regierungen, auch die von Barack Obama, die Multis unterstützt und der Gewinnung von Öl und Gas im Tiefseegebiet des Golfs von Mexiko und anderen schwierigen Umgebungen sogar Vorrang eingeräumt.
Im Mai 2001 verabschiedete die Regierung Bush die National Energy Policy (NEP). Angeführt vom ehemaligen Vorstandsvorsitzenden von Halliburton, Vizepräsident Dick Cheney, warnte sie davor, die USA würden immer abhängiger von importiertem Öl, die Sicherheit des Landes würde dadurch gefährdet. Sie forderte die vermehrte Nutzung nationaler Energiereserven, besonders Öl und Erdgas. «Ein vorrangiges Ziel der NEP ist die Zugewinnung von Energiereserven aus verschiedenen Quellen, also Öl, Erdgas und Kohle.»
Die NEP führte auf jeden Fall vor Augen, dass die konventionellen, leicht zugänglichen Öl- und Gasvorräte an Land und in seichten Gewässern zur Neige gehen. «Die Ölförderung der USA wird voraussichtlich in den nächsten zwei Jahrzehnten zurückgehen, während die Nachfrage nach Erdgas sehr wahrscheinlich die heimischen Vorkommen übertreffen wird», stand weiter in dem NEP-Papier. Die einzige Lösung sei die vermehrte Ausbeutung unkonventioneller Energiereserven - also Öl und Gasvorkommen in den Tiefseegebieten des Golfs von Mexiko, Alaska und in der amerikanischen Arktis, sowie Ölvorkommen in komplexen geologischen Formationen wie Schieferöl und -gas.
«Öl- und Gasförderung in geologisch schwierigen Umgebungen bei gleichzeitigem Schutz der Umwelt ist wichtig für die Amerikaner und die Zukunft der Energiesicherheit unseres Landes», lauteten die NEP-Richtlinien. (Die kursiv gedruckte Passage wurde vom Weißen Haus hinzugefügt, um Beschwerden vorzubeugen, dass die Regierung die Umweltfolgen ihrer Energiepolitik nicht berücksichtige.)
Die wichtigste Richtlinie der NEP war die Suche nach Rohstoffen im unberührten Alaska-Nationalpark, ein Vorschlag, der viel Aufruhr in den Medien und breiten Widerstand von Umweltschützern hervorrief. Entscheidend war aber auch der Aufruf zu vermehrter Öl- und Gasförderung in den tiefen Golfgewässern, sowie in der Beaufort- und in der Tschuktschensee nördlich von Alaska. Der Kongress verhinderte die Ölbohrungen im Alaska-Nationalpark, ansonsten stieß der Ölrausch nur auf wenig Hindernisse seitens der Regierung.
Die korrupte Regulierungsbehörde «Mineral Management Service» (MMS) erleichterte jahrelang die Lizenzvergabe für Neuerschließungen und Bohrungen im Golf von Mexiko und ignorierte dabei systematisch Umweltvorschriften und -bedenken. Unter Obama änderte sich die Praxis nicht. Am 30.März erlaubte er erstmals Ölbohrungen in weiten Gebieten des Atlantik, im östlichen Golf von Mexiko und in den Gewässern Alaskas.
Im letzten Oktober erteilte MMS dem Ölmulti Shell trotz Warnungen von Wissenschaftlern die vorläufige Genehmigung zu Probebohrungen in den Gewässern vor Alaska, der Tschuktschen- und der Beaufortsee. Es gab massive Proteste von Umweltexperten und den Ureinwohnern, die große Gefahren für Wale und andere bedrohte Arten befürchten und um ihre traditionelle Lebensweise bangen. Am 30.April jedoch, zehn Tage nach der aktuellen Katastrophe, wurde die endgültige Zusage des Präsidenten auf Eis gelegt.
The BP Hall of Shame
Die großen Energiekonzerne haben ihre eigenen zwingenden Gründe für die Ausbeutung von Energieressourcen in schwierigen Umgebungen. Um die Aktienkurse stabil zu halten, müssen sie jedes Jahr das Öl, das sie aus existierenden Quellen fördern, mit neuen Vorkommen ersetzen. Die meisten Öl- und Gasreserven in den traditionellen Fördergebieten sind jedoch erschöpft, während vielversprechende Reservoirs im Mittleren Osten, Lateinamerika und der ehemaligen Sowjetunion ausschließlich von nunmehr verstaatlichten Ölfirmen genutzt werden können. Für die internationalen Ölmultis gibt es deshalb nur noch wenige Fördergebiete.
Im Wettbewerb um die Ölreserven Afrikas südlich der Sahara, wozu die Ölmultis noch Zugang haben, gibt es starke Konkurrenz von chinesischer Seite und anderen staatlich gestützten Firmen. Die einzigen Fördergebiete, wo sie noch weitgehend freie Hand haben, sind die Arktis, der Golf von Mexiko, der Nordatlantik und die Nordsee. Kein Wunder, dass sie dort Bohrungen forcieren, egal wie groß die Gefahren für die Umwelt sind.
Beispiel BP. Die Anglo-Persian Oil Company (später Anglo-Iranian bzw. British Petroleum) hatte das Monopol für die Produktion von Rohöl im südwestlichen Iran, bis 1951 die iranischen Ölvorkommen von der demokratischen Regierung Mohammed Mossadeq verstaatlicht wurden. Die Firma kehrte 1953 in den Iran zurück, nachdem der Schah durch einen von den USA unterstützten Staatsstreich die Macht erlangt hatte. 1979, im Zuge der iranischen Revolution, wurde die Firma erneut des Landes verwiesen.
BP ist noch in Nigeria, einer ehemaligen britischen Kolonie, und Aserbaidschan präsent. Seit der Übernahme von Amoco (vormals Standard Oil Company mit Sitz im US-Bundesstaat Indiana) im Jahr 1998 konzentriert sich BP auf die Förderung der Ölreserven in Alaska und in den Tiefseegebieten im Golf von Mexiko und vor der afrikanischen Küste. Für die langfristige finanzielle Absicherung des Konzerns war es entscheidend, die Ölförderung im Golf von Mexiko rasch auszuweiten.
Wenige Tage nach der Explosion des Bohrturms veröffentlichte der Konzern einen Gewinn von 6,1 Mrd. Dollar allein im ersten Quartal von 2010. Inwieweit BPs Konzerngebaren zur Explosion beitrug, muss erst festgestellt werden. Es gibt jedoch Hinweise darauf, dass das Unternehmen in unziemlicher Eile war, die Zementierung der «Mississipi Canyon 252-Quelle» voranzutreiben - ein Verfahren, das die Quelle verschließen sollte, bis das Bohrloch für eine kommerzielle Förderung bereit war. Dann hätte der Bohrturm, den man für 500.000 Dollar pro Tag von Transocean Ltd. gemietet hatte, an einer anderen potentiellen Ölquelle eingesetzt werden können.
Während BP sich wohl als der schlimmste Bösewicht in diesem Fall herausstellen wird, fördern auch andere große Energiekonzerne auf ähnlich waghalsige Weise Öl und Gas in extrem schwierigem und schwer zugänglichem Gelände. Diese Firmen und die sie stützenden Regierungen behaupten weiterhin, dass es bei entsprechenden Vorsichtsmaßnahmen sicher ist, unter so extremen Bedingungen zu arbeiten, aber die aktuelle Katastrophe zeigt, dass, je extremer die Umweltbedingungen sind, desto unwahrscheinlicher solche Voraussagen zutreffen.
Man will uns weismachen, dass die Explosion ein Unglück war: ein Zusammentreffen von unzulänglichem Management und fehlerhafter Ausrüstung. Mit verbesserter Aufsicht, so wird man uns versichern, können solche Unfälle verhindert werden, und es wird sicher genug sein, um erneut in der Tiefsee nach mehr Öl zu bohren.
Glauben Sie das nicht. Obwohl schlechte Aufsicht und fehlerhafte Ausrüstung sicherlich eine wichtige Ursache für die Katastrophe waren, ist die zugrundelegende, eigentliche Ursache für die Katastrophe der zwanghafte Drang, die abnehmenden konventionellen Ölreserven mit der Suche nach Vorkommen in unsicheren Umgebungen zu kompensieren. So lange die zwanghafte Suche anhält, wird es mehr solchee Katastrophen geben. Sie können darauf wetten.
Michael T. Klare ist Korrespondent von The Nation.
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