Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 06/2010

Gutes Geschäft mit beschränkter Zukunft
von  Ingo Schmidt

Jetzt ist die Krise wieder da, wo sie hingehört: beim Staat. Das gute Zusammenspiel von Rating-Agenturen, Banken, institutionellen Investoren und Medien hat die Kreditkosten für den griechischen Staat unerschwinglich gemacht.

Hilfskredite wurden von IWF und EU erzwungen und ein Sondertopf öffentlicher Gelder zur Subventionierung privater Vermögen geschaffen, um eine Ausweitung der Fiskalkrise auf andere Länder zu vermeiden. Dabei ist der griechische Staatshaushalt nur eine Durchgangsstation für Kredite, die aus dem Steuersäckel der Kredit gebenden Länder in die Taschen privater Vermögensbesitzer geschleust werden.

In der Presse liest sich das freilich ganz anders: Dort werden Griechenland und andere Peripherieländer der EU als verschwenderisch, ineffizient und korrupt dargestellt - Milliardengräber für Kapital, das anderswo schwer erarbeitet wurde. Nachdem die Kapitalimporte verfrühstückt wurden, sollen nun auch noch - Gipfel der Dreistigkeit - die Steuerzahler der kreditgebenden Länder die Rechnungen der Kreditnehmer bezahlen. Ergo: Griechenland & Co beuten Kapital und Steuerzahler in Deutschland, Frankreich und den anderen Kreditgebernationen aus.

Solche Argumentationsmuster sind im Ton nationalistisch und der wirtschaftlichen Sache nach falsch. Dennoch müssen sie vorgetragen werden - im Interesse der internationalen Vermögensbesitzer. Letztere wissen nur zu gut, dass «der Steuerzahler» schon seit Ausbruch der Finanzkrise im Herbst 2008 der Ansicht ist, es seien zuviel öffentliche Gelder zur Rettung privater Vermögen verwendet worden.

Erst floss das Geld von den Steuerzahlern innerhalb eines Landes zu den Banken innerhalb desselben Landes, diesmal wird der Umweg über ausländische Staatskassen gewählt. Bei der nun anstehenden Subventionsrunde von Pleitebanken wie IKB in Deutschland, Northern Rock in England, Goldman Sachs in den USA werden ausländische Staatshaushalte dazwischengeschaltet, um davon abzulenken, dass es sich auch hier um eine Subventionierung privater Vermögen handelt. Das macht die Sache etwas komplizierter, aber auch schön undurchsichtig.

Ob in Griechenland, Deutschland, den USA oder anderswo, das Muster ist stets dasselbe: Erstens: Treibe den Staat in die Verschuldung, wenn du Geld hast, für das sich keine rentablen Investitionsprojekte in der Privatwirtschaft finden. Zweitens: Beklage lauthals Verschuldung und Verschwendung des Staates. Drittens: Fordere die Sanierung des Staatshaushalts durch die Erhöhung von Steuern, die du sowie nicht zahlst, und die Kürzung von Ausgaben, an denen du selbst kein Interesse hast.

Merke: Als Rechtssubjekte sind alle Steuerzahler gleich. Sie lassen sich deshalb im öffentlichen Meinungskampf als eine Gruppe mit einheitlicher Interessenlage darstellen. Deine privaten Sonderinteressen der Vermögensanhäufung sind in diesem Kollektiv - das Wort solltest du natürlich vermeiden - gut aufgehoben. Besser noch, sie werden von weniger begüterten Mitgliedern des Kollektivs nicht wahrgenommen, vorläufig wenigstens. Erst kommen die Schulden…

Sofern Staatsausgaben über Steuern finanziert werden, stellt sich das Problem der Verschuldung nicht. Leider zahlt niemand gern Steuern, weil sie das verfügbare Einkommen, unabhängig von dessen Höhe, verringern oder, sofern es sich um indirekte Steuern handelt, zu höheren Preisen führen. Diese generelle Abneigung gegen Steuern kann politisch zur Durchsetzung von Steuersenkungen mobilisiert werden. Darüber freuen sich alle, insbesondere aber diejenigen, die aufgrund ihrer hohen Einkommen und Vermögen überdurchschnittlich von niedrigeren Steuersätzen profitieren.

Nun haben sie noch mehr Geld, das über ihre Konsumausgaben, und seien diese noch so üppig, hinausgeht. Dieses Geld muss, was soll man sonst damit anfangen, gewinnbringend angelegt werden. Dafür kommt der Staat, dem man keine Steuern zahlen will, gerade recht - als Kreditnehmer. Solange die Wirtschaft floriert, ist das kein großes Problem, weil selbst bei geringen Steuersätzen das Steueraufkommen zunimmt. Schließlich verdienen die Leute mehr und geben entsprechend mehr aus.

Aber wehe, die Wirtschaft kommt ins Stocken. Dann sinken die Steuereinnahmen, die privaten Kreditgeber wollen ihr Geld, samt Zins und Zinseszins, aber trotzdem wiederhaben. Und nicht nur das: In wirtschaftlich flauen Zeiten werden sie einen noch größeren Anteil ihres Vermögens beim Staat anlegen wollen, weil in der Privatwirtschaft gerade gar nichts los ist. Die Folge sind höhere Staatsdefizite.

…dann die Inflationspropheten und Spekulanten

Gleichwohl stehen private Gläubiger, die Vermögen besitzende Klasse, öffentlichen Schulden ungleich skeptischer gegenüber als privaten. Zwar kaufen sie staatliche Schuldverschreibungen in großem Stil, behaupten aber gleichzeitig, dass die öffentliche Verschuldung letztlich nichts als Inflation verursachen würde.

Ihr Argument: Kreditfinanzierte Ausgaben des Staates werden, im Gegensatz zu privaten und ebenfalls kreditfinanzierten Ausgaben, nicht investiert, sondern für Konsumzwecke vergeudet. Deshalb lösen sie kein Wachstum aus, das eine spätere Kredittilgung aus den laufenden Einnahmen erlauben würde. Irgendwann, so die Schlussfolgerung, müsse die Zentralbank einspringen und das zur Bedienung ausstehender Verbindlichkeiten nötige Geld bereitstellen. Geld drucken kostet ja nicht viel.

So ganz verkehrt ist dieses Argument auch gar nicht. Je mehr sich die neoliberale Wirtschaftspolitik konsolidierte, umso weniger wurden öffentliche Gelder in Investitionen oder öffentliche Dienste gesteckt, die immerhin der Reproduktion der Arbeitskraft dienen. Stattdessen floss ein steigender Teil der Staatsausgaben - via Kredittilgung! - in die Taschen der Vermögensbesitzer und von dort in den Konsum oder in den Kauf neuer Schuldtitel, privater ebenso wie öffentlicher. Die Folge war eine Inflation der Wertpapierpreise und schließlich eine Finanzkrise, in deren Verlauf die gesamte Geld- und Kapitalzirkulation auszutrocknen drohte.

Seit Ausbruch der Krise, teilweise schon davor, haben die Zentralbanken in Washington, London, Tokyo und Frankfurt tatsächlich in großem Umfang Geld zur Stabilisierung internationaler Zahlungsströme bereitgestellt. Nicht, weil sie Anrufe aus dem Finanzministerium bekommen haben, sondern weil die Krise die Zahlungsfähigkeit privater und öffentlicher Schuldner bedroht hat und nur durch Geldspritzen von der Zentralbank verhindert werden konnte.

Zu behaupten, letztere würden zu Inflation führen, ist absurd. Unter Krisenbedingungen werden sich private Unternehmen dreimal überlegen, ob sie ihre Preise erhöhen. Richtig ist vielmehr, dass die Inflation bereits da ist und durchaus von billigem Zentralbankgeld angetrieben wird - als Finanzmarktinflation. Wenn sich etwas von der Rezession im Winter 2008/09 erholt hat, dann sind es die Wertpapierpreise. Die Spekulation auf Staatspleiten ist Teil der wieder gewonnenen Liebe zum Börsengeschäft. Zu diesem Geschäft gehört das Ausmalen von explodierenden öffentlichen Defiziten, kollabierenden Steuereinnahmen und eben auch Inflation. Sobald die geneigten Investoren vom unmittelbar bevorstehenden Staatsbankrott überzeugt sind, schlägt die Stunde der Sparkommissare.

…und schließlich die Sparkommissare

Von nun an ist alles Sachzwang. Um dem dauerhaften Liebesentzug der Investoren zu entgehen, müssen die Finanzminister irgendwie Geld zusammenkratzen und an die privaten Gläubiger überweisen. Sollten sie hierzu nicht in der Lage sein, kommen ihnen die Kollegen anderer Länder, des IWF und in jüngerer Zeit auch EU-Beamte zu Hilfe. Ein allerletztes Mal wird ihnen Kredit gewährt, dafür müssen sie ab morgen beginnen, Geld zusammenzukratzen und die Schulden abzustottern.

Das Dilemma der zu Sparkommissaren mutierten Finanzminister: Wo es etwas zu holen gibt, brauchen sie gar nicht erst anzuklopfen. Im Auftrag der Herren Vermögensbesitzer sind sie ja unterwegs und müssen nun jenen etwas aus dem Rücken leiern, die nichts oder nicht allzu viel haben. Bei der Gelegenheit lassen sich auch gleich noch öffentliche Leistungen einsparen, die von solchen Hungerleidern in Anspruch genommen werden. Für letztere bedeuten schon kleinere Steuererhöhungen oder der Verlust öffentlicher Dienstleistungen eine erhebliche Verschlechterung ihrer Lebensbedingungen.

Dennoch reichen auch die drakonischsten Sparprogramme nicht aus, alle finanzkapitalistischen Forderungen zu bedienen. Ein Teil der Forderungen bleibt unerfüllt, weshalb sich die private Investitionsneigung nicht dauerhaft wiederherstellen lässt und der verschnupfte Geldvermögensbesitzer das Vertrauen in seinen Sparkommissar verliert. Der Druck auf die Hungerleider aber bleibt bestehen, die konnten den Sparkommissar von Anfang an nicht leiden.

Zu guter Letzt zeichnet sich die Klassenspaltung zwischen Vermögensbesitzern und eigentumslosem Proletariat immer deutlicher ab, die Mittelklasse wird immer deutlicher gewahr, dass ihre Ersparnisse auf dem Altar der Hochfinanz geopfert werden, dem Staat wird von allen Seiten misstraut. Das geschieht ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, wo die ökonomischen Spannungen zwischen Schuldnern und Gläubigern, zwischen Steuerzahlern und Steuerbegünstigten, zwischen Lohnabhängigkeit und Profitstreben in einen politischen Konflikt umschlagen. Griechenland hat diesen Punkt erreicht.

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