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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 07/2010
Was ist das gewerkschaftliche Interesse?
Jochen Gester

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat am 24.Juni den in den 50er Jahren per Rechtsprechung eingeführten Grundsatz der Tarifeinheit gekippt. Demnach wird in Zukunft nicht mehr automatisch das Prinzip gelten, dass es in einem Betrieb nur einen Tarifvertrag gibt, es können mehrere gleichzeitig nebeneinander existieren.
Das Gericht hat mit seinem Urteil das Koalitionsrecht gestärkt, das besagt, dass es das Recht von Beschäftigten ist, Arbeitsbedingungen durch frei gewählte Zusammenschlüsse zu gestalten. Seitdem herrscht große Aufregung in der Parteien- und Verbandslandschaft.

Bereits im Vorfeld des Urteils kam es zu einer gemeinsamen Erklärung von Unternehmerverbänden und DGB für die Beibehaltung des Prinzips der Tarifeinheit. Nach dem Spruch des 4.Senats bekundeten auch Politiker von SPD und CDU ihr Missfallen. Unisono ertönt die Stimme von Ordnungspolitikern. Arbeitgeberverbände, und insbesondere die großen Unternehmen in ihnen, fürchten die Zunahme von Arbeitskämpfen und einen für sie kostenträchtigen Wettbewerb von Gewerkschaften um bessere Sozialstandards.

Der Geschäftsführer der hessischen Unternehmerverbände mahnte, Deutschland verliere damit den Wettbewerbsvorteil einer «berechenbaren Tariflandschaft». Leicht zu berechnen ist dabei vor allem die außergewöhnlich geringe Zahl der Arbeitstage, die durch Arbeitskämpfe ausfällt. Solche verordneten Tugenden haben auch den Aufbau des größten Niedriglohnsektors in Europa enorm beflügelt.

In regelmäßigen Abständen weisen auch Repräsentanten der DGB-Gewerkschaften darauf hin, dass sie maßgeblich zum deutschen Arbeitsfrieden beitragen und deshalb eine entsprechend würdige Behandlung durch die Unternehmer erwarten. Jetzt kommt es zum ersehnten Schulterschluss der Sozialpartner. Beide Verbände wollen die CDU-FDP-Regierung dazu bewegen, die gerichtliche Stärkung des Koalitionsrechts per Gesetz, im Zweifel auch durch eine Grundgesetzänderung, wieder zunichtezumachen. Auch die SPD bläst in dieses Horn.

Die Begründungen für diese Art von Notbremse sprechen für sich. SPD-Chef Gabriel will «englische Verhältnisse» verhindern und «zwingend dafür sorgen», dass wir eine verlässliche soziale Ordnung in Deutschland haben. Arbeitsministerin van der Leyen möchte die Tariffreiheit gegen die Interessen des Betriebsfriedens abwägen. Die Arbeitsministerin wird jetzt im Sinne dieser großen Koalition prüfen, ob dafür Art.9 GG geändert werden muss, oder ob eine Änderung des Tarifvertragsgesetzes reicht.

Über diese große Koalition zum Erhalt des deutschen Arbeitsfriedens, in der das Sebstbehauptungsinteresse von Gewerkschaftsapparaten über das Koalitionsrecht triumphiert, hinaus gibt es glücklicherweise noch Stimmen, die bereit sind «gewerkschaftlich» zu argumentieren.

So heißt es in einer Erklärung des Justiziariats der IG Metall: «Der Vorstoß des BAG … ist im Sinne der Koalitionsfreiheit und birgt aus gewerkschaftlicher Sicht keine Nachteile. Zudem erschwert es den Arbeitgebern, Flächentarife durch ‹speziellere› Dumpingtarife auszuhebeln.»

In der Sache geht es hier um das das sog. «Spezialitätsprinzip», das spezielleren, d.h. konkreter an die betrieblichen Bedingungen angepassten, Verträgen den Vorrang gibt. Es gilt auch, wenn er für die Arbeitnehmer ungünstiger ist:

«Die Arbeitgeber befürworten, das Spezialitätsprinzip gesetzlich zu verankern. Somit hätten sie ein risikoloses Instrument zur Flucht aus Flächentarifverträgen in der Hand, während sich für die Gewerkschaften die Sogwirkung hin zum Haustarifvertrag verstärkte. Das Spezialitätsprinzip soll zudem mit einer Beschränkung des Streikrechts kombiniert werden, das den verdrängten Gewerkschaften eine Friedenspflicht auferlegt. Solche Eingriffe in das Tarifvertrags- und Arbeitskampfrecht wären verfassungswidrig und kommen aus Sicht der Gewerkschaften nicht in Frage. Letztlich geht es den Arbeitgebern darum, durch das Festschreiben des Spezialitätsprinzips weiterhin einen gewerkschaftlichen Unterbietungswettbewerb zu ermöglichen und einen Überbietungswettbewerb zu verhindern.»

Wenn dem so ist, und es ist kaum daran zu zweifeln, fragt sich nur: Warum zieht der IG-Metall-Vorstand daraus nicht die Konsequenz und pfeift die «Sommer»-Truppe aus der Koalition der zur Beschädigung des Koalitionsrechts Willigen zurück?

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