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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 07/2010
A Night in Berlin
Piranharecords Berlin, 2009
von Heiko Bolldorf
DJ Robert Soko verließ 1990 Bosnien-Herzegowina und landete in Berlin. Als sein Heimatland in einem grausamen Bürgerkrieg versank und Flüchtlinge nach Berlin kamen, begann er in der Kreuzberger Punkrockbar «Arcanoa» jugoslawischen Punkrock und Ska für die Flüchtlinge aufzulegen,

um die Ex-Jugoslawen wenigstens auf der Tanzfläche zu einigen, und feierte mit ihnen die alten jugoslawischen sozialistischen Feiertage. Über die Filme Underground (1995) und Schwarze Katze, weißer Kater (1998) des jugoslawischen Regisseurs Emir Kusturica wurde in Westeuropa auch traditionellere Musik vom Balkan bekannter. Nun begann auch Soko sie aufzulegen, woraus die Balkanbeats-Partys entstanden, die in Berlin gegenwärtig monatlich in der Kreuzberger Bar «Lido» stattfinden und Ableger in ganz Europa haben.

Soko präsentiert eine Auswahl aus seinem Repertoire auf verschiedenen Samplern. Nach Balkanbeats 1–3 ist letztes Jahr unter dem Titel Balkanbeats – A Night in Berlin bereits der vierte erschienen. Wie auch die bisher erschienenen überzeugt er durch seine regionale und stilistische Vielfalt. Das Boban i Marko Markovic Orkestar aus Serbien präsentiert mit «Maruska» den Balkanbrass, die traditionelle Blasmusik in Südserbien und Makedonien sowie Teilen Rumäniens und Bulgariens, die im 19.Jahrhundert aus der Berührung von österreichischer und türkischer Militärmusik mit serbischer und Roma-Volksmusik entstand.

Boban Markovic stammt aus einer alten Roma-Musikerfamilie, hat beim alljährlichen serbischen Guca-Trompetenfestival bereits fünfmal die «Goldene Trompete» gewonnen und darf seitdem nur noch außer Konkurrenz teilnehmen. Die Mischung dieser Musik mit moderneren Stilen vertritt etwa Cinnamon Girl, das Produkt einer Kooperation der Markovics mit dem Wiener DJ «Dunkelbunt», der für die Fusion traditioneller Balkanmusik mit elektronischer Musik steht, ebenso wie die ebenfalls in Österreich wohnhafte Band !DelaDap (Romani für «Gib mir den Beat»), die sich aus zwei Romni-Sängerinnen aus Prag sowie Musikern aus Serbien, Bosnien und Russland zusammensetzt.

Die Belgrader Roma-Band Kal (Romani für «schwarz») bezeichnet ihre Mischung aus Romafolklore und Rock als «Gypsy Rockabilly» oder «Rock’n Roma» und setzt sich auch politisch gegen Antiziganismus ein. Die Amsterdam Klezmer Band fusioniert Klezmer, die traditionelle Musik der osteuropäischen Jüdinnen und Juden, mit Romamusik und Jazz. Der Slowene «Magnifico» versteht sich als Parodie auf das Klischee des Balkanmachos. Geografisch wird der Bogen von Deutschland (der Frankfurter DJ Stefan Hantel alias Shantel, der neben Soko in Deutschland wohl am meisten für die Popularisierung von Balkanmusik getan hat, oder die Berliner Band Rotfront, zu deren Gründern Yuriy Gurzhy gehört, neben Wladimir Kaminer eine Hälfte der «Russendisko») bis nach Südafrika gespannt (die «Kolo Novo Movie Band» mit dem eher schwermütigen, auf serbokroatisch gesungenen «Bolujem ja»).

Für Kenner dieser Musik bietet das Album sicher keine großen Überraschungen; Einsteiger erhalten jedoch einen ersten Einblick in die Vielfalt dieser Richtung und eine Anregung für weitere Beschäftigung.

Durchgängig handelt es sich um eine sehr lebendige Musik, bei der es nahezu unmöglich ist, nicht zu tanzen. So kommt eine Ahnung von den ausgelassenen Balkanbeats-Partys auch in die eigenen vier Wände. Schade wäre es jedoch, würde diese Musik nur als unpolitisches Partyvergnügen behandelt emotionale Erlebnisse, wie Musik sie auslösen kann, können ja durchaus ein Anstoß zur intellektuellen Durchdringung des Gegenstands sein. In diesem Fall hat die Musik ihre Funktion erst voll und ganz erfüllt, wenn sie Interesse an ihren ernsten politischen Hintergründen wie dem blutigen Zerfall Jugoslawiens oder der Ausgrenzung der Roma in Osteuropa weckt.

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