Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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Nur Online PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 07/2010

Ein Eigentor für die SPD
von Angela Klein

Die Pein muss groß sein mit schwarz-gelb, dass die Medien so unisono – von der SZ und taz über den Spiegel bis zu Faz und Springer - nichts unversucht ließen, den Kandidaten der Bundesregierung vor seiner Wahl gründlich zu demontieren, und Gauck vor der Zeit als Sieger durch die Schlagzeilen spazieren ließen.

Am liebsten hätten sie ihn zum „Präsidenten der Herzen“ gekürt, wenn er sich dafür geeignet hätte. So sind die Herzen der Bevölkerung eher Thomas Müller und Mesut Özil zugeflogen als diesem pathetischen Pastor, bei dem jedes Wort so schwer wiegt wie Blei.

Irgendjemand hat das Gesetz aufgestellt, der Ausgang einer Präsidentenwahl kündige eine Regierungskonstellation an. Wenn das so ist, bleibt uns schwarz-gelb noch eine Weile erhalten, trotz all ihrer inneren Zerrissenheit, die man auch bei der Präsidentenwahl beobachten konnte. Und die Machtrochaden der Kanzlerin erweisen sich als langlebiger als eine Medienkampagne, und sei sie noch so breit getragen.

Über diese Medien kann man sich nur wundern: Die Vernarrtheit in die Möglichkeit eines Präsidenten war so groß, dass alle politischen Maßstäbe abhanden gekommen sind. Gauck hätte diesen Wunschvorstellungen zufolge nicht nur einen taktischen Einbruch ins rechte Lager schaffen müssen (was er vorübergehend getan hat), er hätte zugleich, ein Konservativer und Stasi-Jäger, die Zustimmung der gesamten LINKEN erhalten sollen also die ganz große Koalition von linksaußen bis konservativ schaffen sollen. Nur unter diesen Umständen wäre eine rechnerische Mehrheit für ihn zustande gekommen.

Politisch konnte solch eine Mehrheit zu keinem Zeitpunkt keine Chance haben: Erstens konnte man von der LINKEN nicht verlangen, dass sie sich vor der SPD auf den Bauch legt, ohne wenigstens ein Minimum an Anerkennung dafür zu bekommen. Rot-Grün aber wollte der LINKEN diese Anerkennung partout verweigern und forderte sie dennoch auf, zu Kreuze zu kriechen. Die LINKE hätte für das Ja zu Gauck nichts bekommen außer einen Bundespräsidenten, der sie im Amte noch tüchtig geärgert hätte. Das hat die LINKE nicht mehr nötig, dafür ist sie inzwischen zu stark.

Aber selbst, wenn sie sich darauf eingelassen hätte, wäre das Kalkül nicht aufgegangen, denn niemand in der schwarz-gelben Koalition wäre bereit gewesen, sich als Steigbügelhalter für einen Kandidaten, der von rot-grün und der LINKEN unterstützt wird, herzugeben. Hätte die LINKE vor dem 3.Wahlgang ihre Zustimmung zu Gauck signalisiert, wären die Abtrünnigen aus dem konservativen Lager ganz schnell wieder in Reih und Glied gesprungen wie sie es dann auch taten. Wenn es für die SPD schon undenkbar ist, dass sie mit der LINKEN über einen möglichen gemeinsamen Kandidaten spricht, bevor sie von ihr verlangt, dass sie einen eingefleischten Antikommunisten wählt, dann ist es für Union und FDP noch viel undenkbarer, irgend eine gemeinsame Sache mit den „DDR-Nostalgikern“ zu machen.

Sollte Gabriel ernsthaft an einen Sieg Gaucks geglaubt haben, hat er sich gnadenlos verzockt, nicht Frau Merkel. Die hat ihren Kandidaten durchbekommen, gegen eine Medienmauer ohnegleichen.

Hält man Gabriel nicht für so dumm, stellt sich die Frage, was er mit seinem Manöver bezweckt hat: Er hat Unruhe im schwarz-gelben Lager gestiftet, das aber an einem Punkt, der nicht nachhaltig wirken kann und auch nicht wird. Wenn Wulff sich nicht dumm anstellt, ist die Sache in einem halben Jahr vergessen. Dass es eine Blamage sein soll, erst im dritten Wahlgang gewählt zu werden, davon wussten weder Gustav Heinemann noch Roman Herzog etwas, die beide ebenfalls drei Wahlgänge brauchten. Gabriels Sieg ist ziemlich billig und zahnlos. Außer einem Medienhype bleibt nicht viel übrig.

En passant gedachte Gabriel auch noch DIE LINKE vorzuführen. Das sieht aber eher nach einem Eigentor aus. DIE LINKE kann den Vorstoß mit Fug und Recht als unernst zurückweisen und sich ansonsten daran weiden, wie die SPD an der Krise von schwarz-gelb zwar zu erstarken sucht, und dennoch den Wechsel nicht schafft - um dann DIE LINKE ins Boot zu zerren, damit sie konservative Politik mit einem rot-grünen Personal mitträgt, und sie sofort abzustrafen und als grundsätzlich koalitionsunfähig darzustellen, wenn diese sich für ein solches Spiel nicht hergibt. Hier wurde hier die Taktik von NRW auf die Präsidentenwahl angewandt.

Sie scheint Gabriels besonderer Beitrag zur Belebung des Koalitionsreigens und zur Lösung einer diffizilen Aufgabe zu sein: Im Sinne der Stabilisierung bürgerlicher Herrschaft in dieser turbulenten Zeit und angesichts dessen, dass die FDP personell wie politisch nicht auf der Höhe der Aufgaben ist, wäre die Fortführung einer Großen Koalition die geeignetste Konstellation, die anstehenden Herausforderungen zu bewältigen: am ehesten geeignet, die Krisenlasten auf die kleinen Leute abzuwälzen und sie gleichzeitig möglichst ruhig zu halten auch wenn dies die Gefahr der Stärkung der politischen Ränder erhöht.

Merkel macht jeden Tag, an dem ihr Westerwelle auf die Füße tritt, den Eindruck, als wünsche sie sich Steinmeier als Koalitionspartner zurück. Und auch von der SPD kann man nicht sagen, dass sie diese Variante verteufelt. Aber sie kann sie nicht anpreisen, sie würde in Gestalt einer erstarkenden Linken den höchsten Preis dafür bezahlen. Die SPD muss eine Koalitionsalternative vorweisen, die wenigstens vortäuschen kann, eine politische Alternative darzustellen. Sie klammert sich an rot-grün. Das ist derzeit ohne die LINKE nicht mehrheitsfähig.

Die SPD will nun den Vorwurf nicht auf sich sitzen lassen, sie ignoriere die Möglichkeit einer Zusammenarbeit mit der LINKEN, um eine Mehrheit zu bekommen aber sie will rot-rot-grün nicht. Sie macht der LINKEN deshalb Angebote, die diese ausschlagen muss, um alsogleich die Verantwortung für das Scheitern dieser Option der LINKEN in die Schuhe zu schieben. Ypsilanti wollte der LINKEN noch etwas anbieten und stieß damit auf einen Orkan der Empörung; Kraft und Gabriel wollen das nicht. Das Manöver ist so durchsichtig, dass es schon in NRW nicht verfangen hat, es hat eher Unruhe in der SPD gestiftet, als der LINKEN zu schaden. Es ist nicht einmal ausgemacht, dass das Manöver geeignet ist, den Spaltpilz tiefer in die LINKE hereinzutreiben. Entzaubern geht anders.

So wird das nichts. Die SPD muss sich schon selber aus dem Sumpf herausziehen, dabei kann ihr nur schwarz-gelb helfen. Das allerdings ist nicht ausgeschlossen. DIE LINKE wäre dann konkurrenzlos in der linken Opposition. In beiden Fällen ist das für sie eine komfortable Position.

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